Zeitschrift für Humor und Aunft
Der lange Schnurröart.
„Atz ebadtal Gnädiger Frau, dos sind ober
Ich schau' mir den Kerl genauer an, sechs Fuß zwei Zoll
schätze ich ihn und tfände hat er wie Reisetaschen, da scheint's
nicht gut sxassen zu sein. Ich will mir doch lieber in
jener Bude bei dem Arzt ein Gesundheitszeugnis kaufen. Dort
geht's zu, daß man sich anstellen muß, wie bei der Gxerntheater-
kasse, fünf Gehilfen kloxfen die patienten ab, dann kleben sie
ihnen einen Zettel auf die Schultern und die Schreiber füllen
dann die Zeugnisformulare aus, daß sie der Doktor nur zu
unterschreiben braucht. Als ich an die Reihe komme, tönt
draußen die Lchisfsglocke, guter Gott, die „Ninerva", meine
Steffi kommt, jetzt heißt es laufen, Schwiegermama möchte
schöne Augen machen, wenn ich am Landungsxlatze fehlte. Da
ist sie schon, der liebe, liebe Schatz — und die Schwägerinnen,
grüß Gott tausendmal! —
„Erster Fall, fünfzehnmal zwei Dollars, sind dreißig Dollars,
darf ich bitten, mein bferr?" Der schwarze Aerl steht neben
mir und streckt die kfand aus.
„Alfred, lieber Alfred, er tut Dir was," schreit Steffi angst-
voll und wirft fich schützend an meine Brust.
„Zweiter Fall, fünf Dollars xer Auß, sind fünfzehn, zwanzig
fünfundzwanzig-"
lveinend hört Steffi die grausame Lrklärung über die
virginischen Landesgesetze an; da sich unser bfüter gerade um-
dreht, küße ich ihr die Tränen aus den Augen und Schwieger-
mama fällt mir um den ksals.
Das hat der Schwarze schon wieder gesehen, mit einem
unbeschreiblichen Blicke sagt er: „Das war einer der ftrafbarsten
Fälle, höchste Stufe: zwanzig Dollars, im NAederholungsfall
Arrest."
Traurig langen wir in unserer wohnung an; der viertel-
stündige Weg kostet mich fünfundsiebzig Dollars, das wäre in
U9
Mien eine Praterfahrt und ein Souxer im Englischen Garten.
wäre ich doch nie nach diesem Unglücksland gekommenl
Unsere Zimmer sind mit einem tholzgitter abgeteilt, die
eine thälfte für mich, die andere für die Damen, in der NUtte
wandelt der baumlange Aufpasser herum. Die Schwägerinnen
haben Mitleid mit uns und tuscheln miteinander, wie man dem
Aerl eine Nase drehen könnte. Gewiß haben sie etwas aus-
gebrütet, weil fie so vergnügt in die bsände klatschen I Richtig,
da rührt sich was in der Lcke, wenn der Schwarze am andern
Ende des Zimmers ist — bald lockert sich ein Stab des Gitters,
jetzt noch einer, endlich können wir die Aöpfe durchsiecken, Gott,
ist das ein Genußl
„Mein bserr, Sie sind unverbesserlich und ich erkläre Sie
deshalb mit Ihrer ganzen Gesellschaft für verhaftet. Folgen
Sie mir zum bjerrn Vizegouverneurl"
Die Geschichte wird ernst, Steffi heult, Schwiegermama
heult, die Schwägerinnen bocken wie boshafte Schulmädels, aber
mitgehen müssen sie, der Schwarze macht Augen, als wollte er
uns verschlucken. Im Gerichtssaal ein Gedränge, weiße und
farbige Angeklagte, alte und junge, man sieht, daß fich die Be-
völkerung schwer an das neue Gesetz gewöhnt. Aber zurück
sind sie nicht in der Aultur, das muß man sagen, dort auf dem
erhöhten jdodium steht eine Dame in Amtstoilette, der Anwalt
der Angeklagten, und verteidigt mit einem Feuer der Bered-
samkeit, daß man sieht, es ist ihr nicht Amts- sondern kserzens-
sache. Bis wir daran kommen, schauen wir uns die Sache näher
an, es ist gar nicht uninteressant.
Der kserr Vizegouverneur, ein alter Mann mit jungen
Augen, hat gerade einen Angeklagten zu hundert Dollars Strafe
verurteilt, der arme Teufel hat nur sechzig bei sich und bittet
und bettelt um Strafherabsetzung, aber der Allmächtige ist un-
erbittlich. Da setzt die Frau Anwalt ihren Aneifer auf die sxitze
Nase — guter Gott, die ist in der Nähe besehen schon stark kano-
nischl — also sie beguckt sich ordentlich den Angeklagten und
(Lchluß nächste Seite.)
zwai liebe Buben!"
Der lange Schnurröart.
„Atz ebadtal Gnädiger Frau, dos sind ober
Ich schau' mir den Kerl genauer an, sechs Fuß zwei Zoll
schätze ich ihn und tfände hat er wie Reisetaschen, da scheint's
nicht gut sxassen zu sein. Ich will mir doch lieber in
jener Bude bei dem Arzt ein Gesundheitszeugnis kaufen. Dort
geht's zu, daß man sich anstellen muß, wie bei der Gxerntheater-
kasse, fünf Gehilfen kloxfen die patienten ab, dann kleben sie
ihnen einen Zettel auf die Schultern und die Schreiber füllen
dann die Zeugnisformulare aus, daß sie der Doktor nur zu
unterschreiben braucht. Als ich an die Reihe komme, tönt
draußen die Lchisfsglocke, guter Gott, die „Ninerva", meine
Steffi kommt, jetzt heißt es laufen, Schwiegermama möchte
schöne Augen machen, wenn ich am Landungsxlatze fehlte. Da
ist sie schon, der liebe, liebe Schatz — und die Schwägerinnen,
grüß Gott tausendmal! —
„Erster Fall, fünfzehnmal zwei Dollars, sind dreißig Dollars,
darf ich bitten, mein bferr?" Der schwarze Aerl steht neben
mir und streckt die kfand aus.
„Alfred, lieber Alfred, er tut Dir was," schreit Steffi angst-
voll und wirft fich schützend an meine Brust.
„Zweiter Fall, fünf Dollars xer Auß, sind fünfzehn, zwanzig
fünfundzwanzig-"
lveinend hört Steffi die grausame Lrklärung über die
virginischen Landesgesetze an; da sich unser bfüter gerade um-
dreht, küße ich ihr die Tränen aus den Augen und Schwieger-
mama fällt mir um den ksals.
Das hat der Schwarze schon wieder gesehen, mit einem
unbeschreiblichen Blicke sagt er: „Das war einer der ftrafbarsten
Fälle, höchste Stufe: zwanzig Dollars, im NAederholungsfall
Arrest."
Traurig langen wir in unserer wohnung an; der viertel-
stündige Weg kostet mich fünfundsiebzig Dollars, das wäre in
U9
Mien eine Praterfahrt und ein Souxer im Englischen Garten.
wäre ich doch nie nach diesem Unglücksland gekommenl
Unsere Zimmer sind mit einem tholzgitter abgeteilt, die
eine thälfte für mich, die andere für die Damen, in der NUtte
wandelt der baumlange Aufpasser herum. Die Schwägerinnen
haben Mitleid mit uns und tuscheln miteinander, wie man dem
Aerl eine Nase drehen könnte. Gewiß haben sie etwas aus-
gebrütet, weil fie so vergnügt in die bsände klatschen I Richtig,
da rührt sich was in der Lcke, wenn der Schwarze am andern
Ende des Zimmers ist — bald lockert sich ein Stab des Gitters,
jetzt noch einer, endlich können wir die Aöpfe durchsiecken, Gott,
ist das ein Genußl
„Mein bserr, Sie sind unverbesserlich und ich erkläre Sie
deshalb mit Ihrer ganzen Gesellschaft für verhaftet. Folgen
Sie mir zum bjerrn Vizegouverneurl"
Die Geschichte wird ernst, Steffi heult, Schwiegermama
heult, die Schwägerinnen bocken wie boshafte Schulmädels, aber
mitgehen müssen sie, der Schwarze macht Augen, als wollte er
uns verschlucken. Im Gerichtssaal ein Gedränge, weiße und
farbige Angeklagte, alte und junge, man sieht, daß fich die Be-
völkerung schwer an das neue Gesetz gewöhnt. Aber zurück
sind sie nicht in der Aultur, das muß man sagen, dort auf dem
erhöhten jdodium steht eine Dame in Amtstoilette, der Anwalt
der Angeklagten, und verteidigt mit einem Feuer der Bered-
samkeit, daß man sieht, es ist ihr nicht Amts- sondern kserzens-
sache. Bis wir daran kommen, schauen wir uns die Sache näher
an, es ist gar nicht uninteressant.
Der kserr Vizegouverneur, ein alter Mann mit jungen
Augen, hat gerade einen Angeklagten zu hundert Dollars Strafe
verurteilt, der arme Teufel hat nur sechzig bei sich und bittet
und bettelt um Strafherabsetzung, aber der Allmächtige ist un-
erbittlich. Da setzt die Frau Anwalt ihren Aneifer auf die sxitze
Nase — guter Gott, die ist in der Nähe besehen schon stark kano-
nischl — also sie beguckt sich ordentlich den Angeklagten und
(Lchluß nächste Seite.)
zwai liebe Buben!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Meggendorfer Blätter
Titel
Titel/Objekt
Der lange Schnurrbart
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Meggendorfer-Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
B 2529-158-1 Folio
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildunterschrift: "Atz ebadta! Gnädiger Frau, dos sind ober // zwai liebe Buben!"
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1903 - 1903
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Aufbewahrungsort (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Meggendorfer-Blätter, 54.1903, Nr. 663, S. 119
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg