Zeitschrift für Hurnor und liunst
8s
Ideal.
er die Alingel seiner wohnung zieht, „hat der gnä' tserr etwas
vergessen?"
„Meine ksandschuhe, nein, das Taschentuch," stottert er
und steckt die ksandschuhe in die Rocktasche, wo ein Zixfel seines
Taschentuches verräterisch herausguckt. „5agen 5ie ineiner
Frau, sie soll mir schnell eines herausbringen."
„Die gnä' Frau ist gerade fortgegangen, ein bissel spazieren,
es ist gar so schön heute."
„Also die alte tsexe hilft ihr auch schon bei ihren lheimlich-
keiten," knirscht er grimmig, als er wieder sein tsaus verläßt.
„Natürlich, die lveiber helfen immer zusammen; gcgen solche
Verbündete ist ein ehrlicher Nann machtlos."
Und Rachepläne schmiedend, zermartert er sein Gehirn, ver-
gißt Geschäft und Bureau und merkt nicht einmal, daß er
von seinem wcge ganz abgekommen ist und sich in einem Stadt-
teil befindet, den er sonst höchst selten
aufsucht. Ein Gewoge von hastenden
Menschen ist um ihn herum, er wird ge-
pufft und gedrängt, wie er so gedankenvoll
dahinschreitet, daß er endlich wieder auf
andere Gedanken kommt und auf seine
Umgebung zu achten beginnt.
Plötzlich stockt er: Da, keine zehn
2chritte vor ihm, leuchtet ein wohlbekanntes
bsütchen mit roter Schleife im Sonnen-
schein. Ls ist Paula. Und eilig hat sie es,
daß fie nicht rechts und nicht links schaut,
sich wie eine Lidechse durchs Gedränge
windet und in einem der neugebauten
Riesenhäuser verschwindet. Theodor klopft
das lherz bis in den lsals hinauf; ob er
jetzt der Entdeckung ihrer lheimlichkeiten
nahe ist? Er wartet fünf Minuten, zehn
Uiinuten, dann tritt er in den lsausflur
und studiert das Verzeichnis der Inwohner.
In den unteren Stockwerken fast lauter
Geschäftsbureaus, eine Dienstvermittlung,
die Redaktion eines unbekannten Blattes,
eine Musikschule, im letzten Stockwerk
privatwohnungen von Personen, die ihm
gänzlich fremd sind. Das Rätsel läßt sich
nicht so leicht lösen. Aber da fällt ihm
ein, daß er den Wohnungsschlüssel bei sich
hat; falls die Dienstmagd gerade auf Lin-
kauf ist, kann er paulas Schreibtisch visi-
tieren, fie hat ja die Gewohnheit, öfters
die Schlüssel stecken zu lassen. Er unter-
drückt das Schamgefühl, das ihm bei dem
Gedanken an sein beabsichtigtes Tun auf-
steigt und eilt abermals seiner Wohnung
zu. Mie er vermutet hat, alles leer. Im
Schreibtische steckt ausnahmsweise kein
Schlüssel, aber da, im paxierkorb, sieht es
aus, als ob erst kürzlich eine Ausmusterung ^
von Schriftstücken stattgcfunden hätte. Er
kehrt ihn um und setzt sich, seine Würde
und die schwarzen lhosen gänzlich verges-
send, zu den zerknitterten Papieren auf
den Boden. Die Ausbeute ist nicht loh-
nend; lauter Briefe von gleichgültigen Ver-
wandten und Bekannten, die er ohnedies
schon gelesen hat, Mäschezettel, Preis-
kurante und da — halt, was ist das?
Ein Auvert von der Sorte, wie Paula
sie verwendet, darauf von ihrer kjand die Worte: „Lhiffre Ideal
Nr. Iyy" — dann ein Riesenklex, dcr offenbar die weitere Ver-
wendung des Auverts unmöglich gemacht hat. Theodor sitzt
wie gelähmt mit gekreuzten Beinen auf dem Teppich und starrt
entgeistert auf das verräterische Blatt. Also nach fünfmonat-
licher Lhe sucht sie sich schon ein anderes Ideall Dieses falsche
N)eib, diese Schlangel kvie er wohl aussehen mag, dieser Aerl,
das Ideal, mit dem sie wahrscheinlich jetzt beisammen sitzt und
über ihn lacht, über den dummen Ehemann, der glaubt, daß
die Liebe ciner Frau länger als fünf Monate dauertl Schwarze
Augen und schwarze lhaare wird er haben zur Abwechslung von
seinem blonden Schopf und dem rötlichen Schnurrbart, den sie
früher immer so liebevoll gestreichelt nnd gezaust hat — wütend
ist cr aufgesxrungen und steht nun vor dem Spicgel, mit allen
zehn Fingern seine wohlgepflegte Gesichtszierdc mißhandclnd,
Rache.
„Lrbärmliches Araut, was Sie da rauchen, Sie Schnorrerl"
„Bhol jdrima lvare — — —
da, riechen Sie einmall
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Ideal.
er die Alingel seiner wohnung zieht, „hat der gnä' tserr etwas
vergessen?"
„Meine ksandschuhe, nein, das Taschentuch," stottert er
und steckt die ksandschuhe in die Rocktasche, wo ein Zixfel seines
Taschentuches verräterisch herausguckt. „5agen 5ie ineiner
Frau, sie soll mir schnell eines herausbringen."
„Die gnä' Frau ist gerade fortgegangen, ein bissel spazieren,
es ist gar so schön heute."
„Also die alte tsexe hilft ihr auch schon bei ihren lheimlich-
keiten," knirscht er grimmig, als er wieder sein tsaus verläßt.
„Natürlich, die lveiber helfen immer zusammen; gcgen solche
Verbündete ist ein ehrlicher Nann machtlos."
Und Rachepläne schmiedend, zermartert er sein Gehirn, ver-
gißt Geschäft und Bureau und merkt nicht einmal, daß er
von seinem wcge ganz abgekommen ist und sich in einem Stadt-
teil befindet, den er sonst höchst selten
aufsucht. Ein Gewoge von hastenden
Menschen ist um ihn herum, er wird ge-
pufft und gedrängt, wie er so gedankenvoll
dahinschreitet, daß er endlich wieder auf
andere Gedanken kommt und auf seine
Umgebung zu achten beginnt.
Plötzlich stockt er: Da, keine zehn
2chritte vor ihm, leuchtet ein wohlbekanntes
bsütchen mit roter Schleife im Sonnen-
schein. Ls ist Paula. Und eilig hat sie es,
daß fie nicht rechts und nicht links schaut,
sich wie eine Lidechse durchs Gedränge
windet und in einem der neugebauten
Riesenhäuser verschwindet. Theodor klopft
das lherz bis in den lsals hinauf; ob er
jetzt der Entdeckung ihrer lheimlichkeiten
nahe ist? Er wartet fünf Minuten, zehn
Uiinuten, dann tritt er in den lsausflur
und studiert das Verzeichnis der Inwohner.
In den unteren Stockwerken fast lauter
Geschäftsbureaus, eine Dienstvermittlung,
die Redaktion eines unbekannten Blattes,
eine Musikschule, im letzten Stockwerk
privatwohnungen von Personen, die ihm
gänzlich fremd sind. Das Rätsel läßt sich
nicht so leicht lösen. Aber da fällt ihm
ein, daß er den Wohnungsschlüssel bei sich
hat; falls die Dienstmagd gerade auf Lin-
kauf ist, kann er paulas Schreibtisch visi-
tieren, fie hat ja die Gewohnheit, öfters
die Schlüssel stecken zu lassen. Er unter-
drückt das Schamgefühl, das ihm bei dem
Gedanken an sein beabsichtigtes Tun auf-
steigt und eilt abermals seiner Wohnung
zu. Mie er vermutet hat, alles leer. Im
Schreibtische steckt ausnahmsweise kein
Schlüssel, aber da, im paxierkorb, sieht es
aus, als ob erst kürzlich eine Ausmusterung ^
von Schriftstücken stattgcfunden hätte. Er
kehrt ihn um und setzt sich, seine Würde
und die schwarzen lhosen gänzlich verges-
send, zu den zerknitterten Papieren auf
den Boden. Die Ausbeute ist nicht loh-
nend; lauter Briefe von gleichgültigen Ver-
wandten und Bekannten, die er ohnedies
schon gelesen hat, Mäschezettel, Preis-
kurante und da — halt, was ist das?
Ein Auvert von der Sorte, wie Paula
sie verwendet, darauf von ihrer kjand die Worte: „Lhiffre Ideal
Nr. Iyy" — dann ein Riesenklex, dcr offenbar die weitere Ver-
wendung des Auverts unmöglich gemacht hat. Theodor sitzt
wie gelähmt mit gekreuzten Beinen auf dem Teppich und starrt
entgeistert auf das verräterische Blatt. Also nach fünfmonat-
licher Lhe sucht sie sich schon ein anderes Ideall Dieses falsche
N)eib, diese Schlangel kvie er wohl aussehen mag, dieser Aerl,
das Ideal, mit dem sie wahrscheinlich jetzt beisammen sitzt und
über ihn lacht, über den dummen Ehemann, der glaubt, daß
die Liebe ciner Frau länger als fünf Monate dauertl Schwarze
Augen und schwarze lhaare wird er haben zur Abwechslung von
seinem blonden Schopf und dem rötlichen Schnurrbart, den sie
früher immer so liebevoll gestreichelt nnd gezaust hat — wütend
ist cr aufgesxrungen und steht nun vor dem Spicgel, mit allen
zehn Fingern seine wohlgepflegte Gesichtszierdc mißhandclnd,
Rache.
„Lrbärmliches Araut, was Sie da rauchen, Sie Schnorrerl"
„Bhol jdrima lvare — — —
da, riechen Sie einmall
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Meggendorfer Blätter
Titel
Titel/Objekt
Rache
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Meggendorfer-Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
B 2529-158-1 Folio
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildunterschrift: - "Erbärmliches Kraut, was Sie da rauchen, Sie Schnorrer!" / - "Oho! Prima Ware - - - // da, riechen Sie einmal!"
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum (normiert)
1903 - 1903
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Aufbewahrungsort (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Meggendorfer-Blätter, 55.1903, Nr. 673, S. 81
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg