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Meggendorfer-Blätter — 55.1903 (Nr. 667-679)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16705#0146
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INeggendorfer-Blätter, INünchen

^2

Die Brieftasche.

ja nichts Unrechtesl Natürlich können wir nicht in rneinem
Iunggesellenheim bleiben, ebensowenig würde ich es wagen,
in dem Frauengemach da drüben Linlaß zu begehren. Aber
wir könnten uns doch auf neutralem Boden zusammen auf-
halten. — Der kleine vorsaal mit seinem gefälligen Aussehen
läßt sich ganz leicht zu einem traulichen Zimmer umgestalten."

Gesagt — getan. <Lr ösfnete seine Zimmertüre und trug
allerlei Möbelstücke in den 5aal heraus, wo er sie hübsch grup-
xierte. Darauf wandte er sich ihrer Türe zu und öffnete auch
diese. „Ich darf doch?" meinte er dabei. „So wird uns das
Feuer zweier Defen zugute kommen und unser ,Zimmer' bald
durchwärmt seinl"

lVirklich hatte sich binnen kurzer Zeit der Saal zu einem
gemütlichen Raume verwandelt, in dem man sich ganz behag-
lich fühlen konnte.

Als Peter, die Lamxe in der ksand, jetzt noch einmal prü-
fend die Runde machte und dabei an ksedwig vorüberkam, die
wie versteinert stand und verwundert dreinschaute, nahm er erst
wahr, daß ihre Augen vom lveinen gerötet waren und Tränen
noch in den Wiinxern hingen.

„was ist Ihnen dcnn? Sie haben geweint?" fragte er
voll Teilnahme.

Lrst wollte sie nicht mit der Sprache heraus, als er aber
mit so viel wärme in der Stimme und so viel Güte in den
Augen auf sie einwirkte, gewann sie vertrauen zu ihm und er-
zählte aussührlich von ihrem Unfalle. peter Iöfel hatte auf-
merksam zugehört. pdlötzlich lief es wie ein Lrinnern über seine
Gesichtszüge hin. Lr griff in seine Brusttasche, zog ein j?äk-
chen hervor und streifte die xapierne lhülle ab.

„Sieh da, wie schön!" rief er bewundernd. „Line Brief-
tasche — und gar mit meinem Namenszug — als wenn sie
für mich bestimmt wärel"

ksedwig traute ihren Augen nicht. 2lber es war kein
Zweifel, er hielt die verlorene Brieftasche in ksänden. peter
Zöfel hatte sie, wie er erzählte, unten vor der bsaustür, wo sie
ksedwig entfallen sein mußte, gefunden.

ksedwig war glückselig. Am liebsten wäre sie dem Finder
vor Freuden um den ksals gefallen. Aber das ging doch nicht
an, und so stammelte sie nur aus tiefstem kserzen kommende
heiße Dankesworte, die j?eter mit einem lustig klingenden
„wofür denn?" ablehnte.

ksedwig Andorf besann sich plötzlich. Sie mußte die Brief-
tasche noch heute abliefern.

Das sagte sie dem Aünstler und holte Nkantel und lsut herbei.

„Sie wollen fortgehen?" sprach er enttäuscht. „Nun gut,
aber einen Finderlohn darf ich mir doch ausbitten?"

„Gewißl"

„Nun dann nehmen Sie mich mit I Ich begleite Sie," rief
er und zog bereits seinen pelzverbrämten Ueberzieher an.

Sie erklärte sich mit Freuden einverstanden und beide
machten sich auf den N?eg.

Ls war noch kälter geworden. Der Schnee knirschte unter
den Füßen der schnell Dahinschreitenden.

Das Gedränge in den Straßen hatte nachgelaffen. Aber
aus den Fenstern der lhäuser strahlte allüberall der festliche
Glanz der Lichterbäume.

Lachend und plaudernd schritten die beiden dahin — glück-
lich wie Rinder. Auch in ihre Seelen war Weihnachten ein-
gezogen.

Aber plötzlich flog ein Schatten über ksedwigs Gesicht. Sie
machte ksalt und bestand darauf, daß Iöfel sic die letzte Strecke
ihres lveges allein gchen lasse.

Der junge Aünstler verstand ksedwig recht gut. Sie wollte
sich die srohe Erinnerung an ihren gemeinschaftlichen Gang

durch nichts trüben lassen und darum den geschäftlichen N?eg
von diesem gänzlich loslösen.

Sie trennten sich also. kfedwig lieferte die Brieftasche an
die Bestellerin ab, wobei sie wieder arge Schmähreden wegen
ihrer versxätung über sich ergehen lassen mußte, und Peter
machte unterdessen allerlei Linkäufe.

Als sie sich wie vereinbart wieder trafen, war er mit j?a-
keten beladen, und die Taschen seines jdelzrockes bauschten.

Sie reichten sich zum Gruße die ksände und traten zusammen
den Rückweg an. Aber das Gespräch wollte nicht wieder in
Fluß konimen.

Der junge Aünstler war bester Laune und voll freudigen
Uebermuts, aber kfedwig Zlndorf schritt ernst und still neben
ihm her.

Ls war ein unsicheres Gehen auf dem glatten Boden.
Iöfel bot ihr den Arm. Sie dankte ihm, lehnte es jedoch ab,
sich führen zu lassen. Da glitt sie aber auch schon aus, und nur
der Arm jDeters hielt sie noch aufrecht.

„Sehen Sie, sehen Sie l" lachte er und ließ sie nicht wieder
los. „Sie müssen mir schon erlauben." —

Und nun ließ sie es doch geschehen, daß er ihren Arm leicht
in den seinen nahm.

Ie näher sie ihrer Mohnung kamen, desto ernster und stiller
ward ksedwig.

Am ksause angelangt, zögerte sie erst einzutreten, und
innerlich widerstrebend, folgte sie nur langsam dem voranschrei-
tenden Rünstler.

Auf dem Treppenfiur fauden sie bereits das Tannenbäumchen
vor, welches Zöfel hierher hatte bringen lassen.

Nun begann beim milden Scheine der Lampe in dem wohlig
durchwärmten Raume ein emsiges lhantieren.

ksedwig, die erst unschlüssig stand, überwand bald alle Scheu,
sie griff wacker zu und in gleichem Ulaße ward sie heiterer
Stimmung. Zöfel zog ein Paketchen nach dem andern aus der
Tiefe seiner Taschen hervor, deren jedes sie mit frohem Lachen
begrüßten.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
Die Brieftasche
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Meggendorfer-Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
B 2529-158-1 Folio

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Hlavaty, Franz
Entstehungsdatum
um 1903
Entstehungsdatum (normiert)
1898 - 1908
Entstehungsort (GND)
Esslingen am Neckar

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Frau
Mann
Schnee
Winter
Straße
Brieftasche

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Aufbewahrungsort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Meggendorfer-Blätter, 55.1903, Nr. 678, S. 142
 
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