Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meggendorfer-Blätter — 55.1903 (Nr. 667-679)

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16705#0147
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zeitschrift für Humor und Aunst

f§3


Allerlei Delikatesfen kamen zum vorschein, Aaviar, Leb-
kuchen, Marzipan und andere gute 5achen. Auch einige Flaschen-
hälse schauten aus den inneren Rocktaschen des Aünstlers neu-
gierig hervor.

Bald erstrahlte der Baum in hellem Lichterglanze und ein
feiner Duft von Tannenharz und Machs erfüllte den Saal.

Die beiden Menschenkinder saßen sich am Tische gegen-
über, teilten sich in unbefangenem Geplauder ihre Lebensschick-
sale mit und langten von den Aostbarkeiten zu, die vor ihnen
auf der Tafel standen.

lhedwig erzählte von ihrer Aindheit, von den Eltern, den
Geschwistern, und wie glücklich sie zusammen gewesen waren,
bis die böse Seuche kam und alle dahinraffte, nur sie nicht.
Das Geschäft ihres vaters hatte verkauft werden und sie hatte
unter die Leute gehen müssen, um sich selbst ihren Unterhalt
zu verdienen.

„Das war vor sechs Iahrcn," schloß sie ihre Lrzählung.
„Seitdem lebe ich von meiner bsände Arbeit; ich bin gesund
und kann wohl zufrieden sein. Rur zur Meihnachtszeit, an
dem großen Feste der Familie, da fühle ich es erst, wie einsam
und verlassen ich bin. Aber heute ist es so — schön." —

Sie konnte vor innerer Bewegung nicht weiter sprechen.

Auch Peter Zöfel war tief ergriffen. Lr erhob sein Glas,
das mit grüngoldigem Moselwein gefüllt war, ließ es an das
ihre anklingen und sah ihr ernst ins Auge.

Gerade als tsedwig ihm Bescheid tun wollte und sich an-
schickte, an ihrem Glase zu nipxen, — schrillte plötzlich die Glocke
an der Saaltüre durch den stillen Raum.

Das junge Mädchen zog sich in ihr Zimmer zurück, wäh-
rend der Aünstler öffnete.

Der Dienstmann draußen hatte ein fdaketchen an lherrn
Uonzertmeister jdeter Zöfel persönlich abzugeben. Dieser nahm
es in Lmpfang und entfernts die lsülle desselben. Lin stark
parfümiertes Briefchen fiel ih>n entgegen, und er las:

„Lieber verehrter Freund!

Daß Sie heute nicht gekommen sind, hat mir die ganze
Meihnachtsfreude verdorben. Ich hatte geglaubt, dem Feste
der Liebe hoffnungsfreudig entgegensehen zu dürfen, und fühle
inich nun in meinsn Lrwartungen so grenzenlos enttäuscht, daß
ich ganz unglücklich bin.

Tun Sie mir die Liebe an und kommen S!e noch
heute zu unsl

Nur die feste Zuversicht, daß Sie kommen werden, hält
mich noch aufrecht!

Die kleine Arbeit, die ich beischließe, und bei welcher ich
mit jedem Nadelstich an Sie gedacht, habe ich selbst gefertigt.
Nehmen Sie sie freundlich an als ein Zeichen unwandelbarer
hcrzlichcr Zuneigung.

Ihre

Lva Rosenfeld."

Zöfel warf das Briefchen unwillig hin. Aber da hatte er
noch etwas zwischen den Fingern: „Die kleine Arbeit". Und
als er sie näher besah — wahrhaftig, da war sie wieder
die Brieftasche, die er heute schon einmal in lsänden ge-
halten hatte.

verwundert blickte er auf. Dann aber, da er sich unbeo-
bachtet wähnte, strich er zärtlich über die kleine Ledertasche hin
und drückte verstohlen einen Auß auf die Goldfäden.

lsedwig hatte gerade einen Blick aus ihrem Zimmer in
den Saal hinausgeworfen, und wenn sie auch nicht hatte er-
kennen können, was Zöfel da in der kjand hielt, so war ste
doch, ohne zu wollen, Ieugin seines Luffes gewesen.

Sie wußte selbst nicht weshalb, aber diese Iärtlichkeit des
Aünstlers, die doch nur einem ihm sehr lieben Menschen gelten
konnte, hatte sie mit einem Male tief verstimmt.

Als Zöfel jetzt nach ihr rief, mußte sie sich erst sammeln
und eine Träne aus dem Auge wischen, die da unversehens
hineingeraten war. Alle Freude war von ihr gewichen.

So trat sie wieder zu ihm hinaus in den hellen Schein des
Lichterbaumes.

„Jch werde soeben noch für heute abend eingeladen. —
Soll ich hingehen?" fragte er im Scherz.

„Tun Sie das doch! Damen darf man nicht warten lassen."

„woher wissen Sie denn, daß es sich um eine Dame
handelt?"

„Ich vermutete nur." —

„Sie haben recht — Fräulein Lva Rosenfeld läßt mich. . . ."

„Fräulein Lva Rosenfeld?" brachte sie mühsam hervor —
„zu der ich vorhin — die Briestasche trug? — die mich bei-
nahe geschlagen hat?" —

„Ah — ganz recht! — also sie war das bösartige weib?
Nun, seien Sie ganz beruhigt, Fräulein Andorf! Ich habe
nichts mehr mit ihr gemein. Fräulein Rosenfeld schenkte dem
Aünstler ihre Zuneigung, und er hatte sich auch von ihr be-
tören lassen. Das verlöbnis sollte — das war ihr wunsch —
noch heute abend geschlossen werden. Aber schon längst hatte
mich mancherlei, was ich von ihr sah und hörte, verletzt, und
darum scheute ich noch vor dem entscheidenden Schritte zurück
und folgte der Linladung heute nicht. wie recht ich daran
tat, zeigt mir Ihr Lrlebnis von heute und diese Sendung hier,
die ich soeben erhielt und morgen — wenn auch sehr ungern
aus gewiffen Gründen — zurückschicken werde. Fräulein An-
dorf, ich bitte Sie, sehen Sie selbst!"

Lr reichte ihr Brief und Brieftasche hin, aber sie begriff
nur das eine: Lr hatte die Brieftasche der Dame geküßt, und
sie schwieg still.

„Ich bin glücklich, daß es so gekommen ist. Diesen heiligen
Abend — mit Ihnen, ich werde ihn nie vergeffen. Damit auch
Sie sich seiner erinnern, dafür möge dieses kleine Andenken
sorgen, das zu tragen ich Sie herzlich bitte."

Lr zog einen zierlichen Goldreif hervor, nahm ihre lsand
in die seine und schmückte sie damit.

Lin herrlicher Stein blitzte ihr entgegen. Langsam kam
es ihr zum Bewußtsein: Nicht die Brieftasche, sondern die
Stickerei auf derselben hat er geküßt. Ihr lherz schlug zum
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
Die Brieftasche
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Meggendorfer-Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
B 2529-158-1 Folio

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Hlavaty, Franz
Entstehungsdatum
um 1903
Entstehungsdatum (normiert)
1898 - 1908
Entstehungsort (GND)
Esslingen am Neckar

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Frau
Mann
Tisch
Heiliger Abend
Weihnachten

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Aufbewahrungsort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Meggendorfer-Blätter, 55.1903, Nr. 678, S. 143
 
Annotationen