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Meggendorfer-Blätter — 55.1903 (Nr. 667-679)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16705#0158
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Meggendorfer-Blätler, München


Ada.

Um so mehr erstaunte ich, als ich eines Morgens eine Lin-
ladung zu einein Familienball meines geliebten Gnkels erhielt,
der Ada eigenhäudig die Nachricht beigefügt hatte, daß sie unter
allen Umständen auf den ersten Utalzer niit mir rechne.

Ich war wie aus den Molken gefalleiu Mie kam denn
ich armcr theinrich als Reserveleutnant eines zu Fuße tappen-
den Rcgiments dazu, iu die geheiligtcu Reservatrechte einer
hohcn Reiterabteilung einzubrechen? Ich bin ja leider schon
dreißig Iahre alt, gehöre also nicht inehr zur Iugend vou
heute, sondern eher zu jcner von vorgestern, und insolgedesseu
pflcgc ich nicht wie eiu grüner lsecht aus jedeu Blechfisch los-
zufahren, sondern ich belrachte auch die feinsten Delikatesseu mit
berechtigtem NUßtrauen, wenn ich sehe, daß sie an einer Angel-
schnur befestigt sind. Trotzdem ging ich hin. Ich wollte wissen,
was denn eigeutlich los sei, daß man den Landsturm alarmieren
wollte.

Ich konnte aber vorerst gar nichts entdeckcu als eiue sast
unheimliche Licbeuswürdigkeit meines Vukels uud seiner Tochter,
die sich in herben vorwürfen über mein langes Ausbleiben gar
nicht genug tun konnte. Ich öffuete nicine Augen soweit wie
die Natur es niir gestattetc, wog sorgfLltigst alle Nuancen ab
uud konnle nur fesistellen, daß ich der Löwe des Abends war,
daß der schwere Reiter sich mit einer Rolle bescheiden mußte,
die eiue verzweifelte Aehnlichkeit mit ineiuer früheren hatts,
und daß nunmehr ihm die Aufgabe zuerteilt schieu, so zu tun,
als ob er es gar nicht gewescn ware.

Das ließ tief blicken — sehr tief. Ich begriff ja sehr
wohl, daß ich nur deshalb in den vordergruud geschoben wurde,
weil wahrscheinlich der schwere Reiter irgend ein lhaar in dcr
5uppe gefunden hatte und nicht mchr recht ziehen wollte. Auf
der einen Seite sagte ich mir, oder richtiger nieine Liebe sprach
zu mir, all diese Zutraulichkeit, dieses leise und deswegen dop-
pelt bescligende Lutgegenkomnien kauu nicht bloß Spiel sein,
nichts als rcine Aomödie, sie niüsse einen Untergrund habcn.
vielleicht war Ada zu dem Bewußtsein gclaugt, daß ich der fcinere,
vornehinere Niensch sei, vielleicht hatte sich geradc am Vcrgleich
die kleine, rühreude Flaninic entzündct, deren Wärme ich zu
spüren vermeinte?

Der verstand aber sang mir stets wieder das altc Lied vor:
„Gott stch mir bei, Du bist dic lscxe Loreley."

Im Miderstreit dieser Lindrücke wies ich die Aufforderung,
mich an einer Schlittcnpartie zu beteiligen, nach kurzem Kampfe
höflichst aber entschieden ab.

Der Mensch, und wäre er noch so gerieben, kann aber nun
einmal nicht um sein Schicksal herum, und so kam auch ich, in-
dem ich den Regen schlau vermeiden wollte, in die sprichwört-
liche Traufe. Auf einem Ball der ksassonen war das. Ich
lehne dort, keines Ueberfalls gewärtig, ziemlich gemopst an einer
Säule, niemand zur Freude, niemand zu Leide, da tixxt
mir von rückwärts jemand auf die Schulter. Ich schaue mich
u»i, wer steht da? Fräulein Ada in einem hellen Lrsps cke
Lliine, in einer Molke von duftigen Sxitzen, vom Tanze leicbt
gerötet, erstrahlend in Iugend und Schönheit und neben i^.
die unvermeidliche schwere Reiterei. Ich hatte keine Ahnung,
daß sie dieses Lämmerhüpfen mit ihrer Gegenwart schmückte
und mochte infolgedessen ein bißchen überrascht aussehen.

Das bcmerkte sic sofort. Sie streckte mir fröhlich lachend
die ksand entgegen. „Grüß Gott könntest Du mir wohl sagen,
Rudi, dann kannst Du ja ruhig wieder über die Abschasfung
der Todesstrafe weiter uachsinnen."

„Im Gegenteil," erwidere ich, „ich dachte darüber nach,
ob man die ksexchen nicht wieder einmal scharf anfassen sollte.
Sie stiften wirklich zu viel Unheil."

So ncckten wir uns, indem ich an ihrer rechten Seite durch
den Saal schritt. Das schien aber dem Gberleutnant nicht recht
zu passen, denn er schnitt das Gespräch mit der Frage ab, ob es der
Gnädigen nicht an der Ieit schiene, die Lauben zu besichtigen.

Die lhassonen nämlich, die erfindungsreichen ILnglinge,
hatten in einem Nebensaal zierliche, elegante lfüttchen aus
Tanuenzweigen banen lassen, in die man sich nach dem Tanz
zurückziehen konnte, raffinierte Liebesfallen, von denen jede,
mit gedämpften, farbigen Glühlämpchen versehen, zu traulichen
Gesprächen reichliche klnregung gab.

„Gehst Du mit, Rudi?" fragte Ada. Bevor ich aber auf
diese kitzlige Einladung verzichten konnte, warf dcr Dberlcutnant
in der verbindlichsten Form ein, daß die Gnädige ja wissen
müsse, daß allen Gardedamen der Lintritt in diesc geheiligten
Räume verboten sei. Daraufhin zog Ada die Nase ein wenig
in die ksöhe und meinte, Nkama könnte sich über ihr zu langes
Ansbleiben alterieren, und bat ihren Tänzer, der offenbar einen
allerletzten Sturm wagen wollte, sie zum Tisch der Lltern zu
geleiten. Den nächsten Walzer mußte ich mit ihr vereinbaren.
Gut, deu tanzton wir auch mitsammen, aber nur bis zur ksälftc
etwa. Ada behauptcte, sie sei sehr müde heute und möchte lieber
ausruhen. Und cigentlich, mcinte sie, wäre sie nicht abgeneigt,
in den Lauben ein Gläschen Sckt zu trinkcn. Na, da hatten
wir also die Bescherung. Ich saß einen Augenblick wie auf
glühenden Aohlen, denn nunmehr, wenn mir nicht ein rettender
Gedanke emfiel, begab ich mich in eine Lage, die völlig ver-
wünscht und zugenäht war. Iedes Zurück war von selbst aus-
geschlossen. Und die Liebo, die mich in heißen Strömen durch-
flutete, wie zu neuem Leben erweckt, drängte mit Ungestüm
nach vorwärts zur Entscheidung und das NUßtrauen, das so
lebhaft, wie nie vorher mich mahnte, schüttete eisiges lvasser
auf die züngelnden Flammen der Leidenschast. Der Streit ent-
schied sich aber dieses Mal in kürzester Frist. vorsicht ist ja
ganz gut, aber wo sie iu Feigheit übergeht, war sie niemals
meine Sachc. Also ich ging in die Laube!

Zchön war's dort und gut ist's gegaugen. Ada bcnahm
sich wie ein ausgclasscnes Rind, und mich hatte so eine Art
Galgenhumor überkommcn. lvir lachten und schäkerten, tranken
ein Glas um das andere, und als ich sie daran erinnerte, daß wir
offiziell noch gar nicht Schmollis gemacht hätten, zierte sic sich nicht
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
Ada
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Meggendorfer-Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
B 2529-158-1 Folio

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Gutschmidt, Richard
Entstehungsdatum (normiert)
1903 - 1903
Entstehungsort (GND)
Esslingen am Neckar

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift
Paar
Frau
Mann
Gespräch
Ball <Tanzfest>

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Aufbewahrungsort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Meggendorfer-Blätter, 55.1903, Nr. 679, S. 154
 
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