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INeggendor fer-Blätter, 2Nünchen
Raimund Flockerl, der Haustyrann.
mehr als einmal war er in seiner Herzensangst nahe daran,
seiner Gattin alles zu gestehen; aber der Gedanke an die unaus-
bleiblich schrecklichen Folgen dieses Geständnisses ließ ihn selbst
den Verlust seines Augenzahnes als ein Kinderspiel betrachten,
und so verharrte er lieber in dumpfem Schweigen.
Endlich, nach ungefähr einer Viertelstunde, erschien der Zahn-
arzt, sichtlich übel gelaunt, daß man ihn zu so später Stunde noch
belästige. — Schon bei seinem Eintritt sah Flockerl in seiner
Rechten jenes schreckliche Instrument blitzen, welches jeder au Zahn-
weh leidende Mensch nur mit Grauen zu betrachten vermag und,
mit beiden Händen abwehrend, rief er in den kläglichsten Tönen:
„Nicht reißen, Herr Doktorl Nicht reißen — der Zahn-
schmerz hat schon ganz nachgelassen!"
„Ja, ja, das kennen wir schon," lächelte jedoch jener sarkastisch,
„immer, wenn der Doktor mit der Zange kommt, ist's mit 'm
Zahnschmerz vorbei I Machen Sie einmal gefälligst den Mund auf!"
„Ach, Herr Doktorl" wimmerte Flockerl und preßte die
Zähne aufeinander, „mir tut wirklich gar nichts mehr weh!"
„Na, machen Sie nur 'mal den Mund auf!"
Herr Flockerl gehorchte noch immer nicht, und erst als
seine Frau mit einer Stimme, die gewohnt war, keinen Wider-
spruch zu dulden, ihm zurief:
„Wirst Du gleich die Klappe aufmachen, Du . . ." öffnete
er fast mechanisch den Mund.
„Melcher ist's denn?" fragte
der Zahnarzt.
„Der rechte Augenzahn ist's,
hat er gesagt!"
„Ja, der ist ja gar nicht ein¬
mal kariös!"
„Aber wurzelkrank ist er, Herr
Doktor, hat er vorhin gejammert!"
„(!), Herr Doktor," stotterte
Flockerl, „ich hab' ja bloß ins" —
weiter kam er aber nicht; mit ge¬
schickter Hand hatte der Zahnarzt
die Zange angesctzt, ein Ruck, ein
Krachen, ein Schrei und — der
Jahn war heraußen!
Während der arme Ehemann, bei¬
nahe weinend vor Schmerz und Wut,
noch spuckte und spülte, klingelte es
draußen und einen Augenblick später
trat ein Herr — ein Kollege Flok-
kerls — ins Zimmer und sagte:
„Pardon, wenn ich störe, aber
ich wollte mich nur erkundigen, ob
Herr Flockerl — ah, da ist er ja! —
heute uicht zum,Schwarzen Kater"
kommt, so wie er es versprochen;
die Erdbeerbowle ist ausgezeichnet
geraten!"
Frau Flockerl machte ein paar
Augen, so groß wie Wagenräder.
„Schwarzer Kater? — Lrdbccr-
bowlc!" — nun ging ihr ein Licht
auf. Also darum wollte dieser ab¬
gefeimte Heuchler durchaus heute
noch zum Zahnarzt gehen I . . .
Herrn Flockerl wurde bald
heiß, chald kalt, als er den alles
erratenden Blick seines Weibchens bemerkte; er tat aber so,
als ob er nur mit dem Ausspülcn der Zahnwunde beschäftigt sei.
„Nein Herr," erwiderte darum Frau Brigitta mit eisiger
Kälte, „sagen Sie den Herren Kollegen meines Mannes, daß
es mir sehr leid tut, wenn sie seine Anwesenheit vermissen, aber
ein anständiger Ehemann gehört längstens um neun Uhr abends
ins Bett — nicht wahr, lieber Raimund?"
Flockerl, mit einem Mund voll Wasser, nickte eifrig.
„Also wollen Sie, Herr Flockerl, wirklich nicht wenigstens
auf ein Stündchen wilkommen?"
„Bb er will oder nicht will," erwiderte statt seiner die
Frau, „ist ganz egal, mein Herr; vor allem kommt es darauf an,
ob ich so etwas erlaube — nicht wahr, lieber Raimund?"
Der „liebe Raimund" nickte abermals zustimmend und sein
Kollege, der nun ganz genau wußte, was von der Hausherren-
würde Flockcrls zu halten war, empfahl sich jetzt mitsamt den,
Doktor, um seine gemachten Beobachtungen im „Schwarzen
Kater" zum besten zu geben.
viele Jahre sind seit jenem Abend vergangen, aber wie eine
Lrdbecrbowle schmeckt, das weiß Herr Flockerl heute noch nichtI
-4S>-<-
Immer Aackfisch.
Backfisch: „Unbegreiflich, daß dieser Böcklin bei seiner Vorliebe für Farbenpracht
keine einzige Parade gemalt hat."
Verantwortlicher Redakteur: Ferdinand Schreiber jr. Druck von I. F. Schreiber, beide in Eßlingen bei Stuttgart.
In Vesterreich-Ungarn für Herausgabe und Redaktion verantwortlich: Robert Mohr in Wien I.
Verlag von I. F. Schreiber in München und Eßlingen.
INeggendor fer-Blätter, 2Nünchen
Raimund Flockerl, der Haustyrann.
mehr als einmal war er in seiner Herzensangst nahe daran,
seiner Gattin alles zu gestehen; aber der Gedanke an die unaus-
bleiblich schrecklichen Folgen dieses Geständnisses ließ ihn selbst
den Verlust seines Augenzahnes als ein Kinderspiel betrachten,
und so verharrte er lieber in dumpfem Schweigen.
Endlich, nach ungefähr einer Viertelstunde, erschien der Zahn-
arzt, sichtlich übel gelaunt, daß man ihn zu so später Stunde noch
belästige. — Schon bei seinem Eintritt sah Flockerl in seiner
Rechten jenes schreckliche Instrument blitzen, welches jeder au Zahn-
weh leidende Mensch nur mit Grauen zu betrachten vermag und,
mit beiden Händen abwehrend, rief er in den kläglichsten Tönen:
„Nicht reißen, Herr Doktorl Nicht reißen — der Zahn-
schmerz hat schon ganz nachgelassen!"
„Ja, ja, das kennen wir schon," lächelte jedoch jener sarkastisch,
„immer, wenn der Doktor mit der Zange kommt, ist's mit 'm
Zahnschmerz vorbei I Machen Sie einmal gefälligst den Mund auf!"
„Ach, Herr Doktorl" wimmerte Flockerl und preßte die
Zähne aufeinander, „mir tut wirklich gar nichts mehr weh!"
„Na, machen Sie nur 'mal den Mund auf!"
Herr Flockerl gehorchte noch immer nicht, und erst als
seine Frau mit einer Stimme, die gewohnt war, keinen Wider-
spruch zu dulden, ihm zurief:
„Wirst Du gleich die Klappe aufmachen, Du . . ." öffnete
er fast mechanisch den Mund.
„Melcher ist's denn?" fragte
der Zahnarzt.
„Der rechte Augenzahn ist's,
hat er gesagt!"
„Ja, der ist ja gar nicht ein¬
mal kariös!"
„Aber wurzelkrank ist er, Herr
Doktor, hat er vorhin gejammert!"
„(!), Herr Doktor," stotterte
Flockerl, „ich hab' ja bloß ins" —
weiter kam er aber nicht; mit ge¬
schickter Hand hatte der Zahnarzt
die Zange angesctzt, ein Ruck, ein
Krachen, ein Schrei und — der
Jahn war heraußen!
Während der arme Ehemann, bei¬
nahe weinend vor Schmerz und Wut,
noch spuckte und spülte, klingelte es
draußen und einen Augenblick später
trat ein Herr — ein Kollege Flok-
kerls — ins Zimmer und sagte:
„Pardon, wenn ich störe, aber
ich wollte mich nur erkundigen, ob
Herr Flockerl — ah, da ist er ja! —
heute uicht zum,Schwarzen Kater"
kommt, so wie er es versprochen;
die Erdbeerbowle ist ausgezeichnet
geraten!"
Frau Flockerl machte ein paar
Augen, so groß wie Wagenräder.
„Schwarzer Kater? — Lrdbccr-
bowlc!" — nun ging ihr ein Licht
auf. Also darum wollte dieser ab¬
gefeimte Heuchler durchaus heute
noch zum Zahnarzt gehen I . . .
Herrn Flockerl wurde bald
heiß, chald kalt, als er den alles
erratenden Blick seines Weibchens bemerkte; er tat aber so,
als ob er nur mit dem Ausspülcn der Zahnwunde beschäftigt sei.
„Nein Herr," erwiderte darum Frau Brigitta mit eisiger
Kälte, „sagen Sie den Herren Kollegen meines Mannes, daß
es mir sehr leid tut, wenn sie seine Anwesenheit vermissen, aber
ein anständiger Ehemann gehört längstens um neun Uhr abends
ins Bett — nicht wahr, lieber Raimund?"
Flockerl, mit einem Mund voll Wasser, nickte eifrig.
„Also wollen Sie, Herr Flockerl, wirklich nicht wenigstens
auf ein Stündchen wilkommen?"
„Bb er will oder nicht will," erwiderte statt seiner die
Frau, „ist ganz egal, mein Herr; vor allem kommt es darauf an,
ob ich so etwas erlaube — nicht wahr, lieber Raimund?"
Der „liebe Raimund" nickte abermals zustimmend und sein
Kollege, der nun ganz genau wußte, was von der Hausherren-
würde Flockcrls zu halten war, empfahl sich jetzt mitsamt den,
Doktor, um seine gemachten Beobachtungen im „Schwarzen
Kater" zum besten zu geben.
viele Jahre sind seit jenem Abend vergangen, aber wie eine
Lrdbecrbowle schmeckt, das weiß Herr Flockerl heute noch nichtI
-4S>-<-
Immer Aackfisch.
Backfisch: „Unbegreiflich, daß dieser Böcklin bei seiner Vorliebe für Farbenpracht
keine einzige Parade gemalt hat."
Verantwortlicher Redakteur: Ferdinand Schreiber jr. Druck von I. F. Schreiber, beide in Eßlingen bei Stuttgart.
In Vesterreich-Ungarn für Herausgabe und Redaktion verantwortlich: Robert Mohr in Wien I.
Verlag von I. F. Schreiber in München und Eßlingen.