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Meggendorfer-Blätter — 56.1904 (Nr. 680-692)

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Nr. 689
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Meggendorfer-Blätter, München

Der uriMndüche Herr Professor.


2


Z


l
II
U



tzohe Schule für die Ehe.
ihre phonographischen Aufnahmeapparate in den vielen sogenannten
„Seufzeralleen" und „Seufzerwäldchen" aufstellen zu lassen. Da stehen sie
im Gebüsch verborgen. Lin sehr empfindliches Uhrwerk setzt die Walze
erst dann in Bewegung, wenn sie von Schallwellen getroffen wird, so
daß der Apparat die ganze Nacht über stehen kann, ohne daß unnötige
Walzenverschwendung stattfindet. Rinematographische Aufnahmen waren
hier leider untunlich, da es an Beleuchtung fehlte.
Ich habe mich immer gefragt, warum die „Seufzerwäldchen", wo
die meisten Rendezvous und Liebeszusammenkünfte stattfinden, einen so
eigentümlich traurigen Namen tragen? Aber es ist wirklich so, man
sollte es nicht glauben! Die glücklichsten Liebespaare seufzen viel mehr,
als sie reden. Nun denke Dir abgebrochene Sätze, Liebesschwüre, Glücks-
beteuerungen, stets unterbrochen von zärtlichen Seufzern; muß das nicht
die eingerostetsten Lachmuskeln reizen?
Da fängt z. B. einer an: „Mein Fräulein, wie sehnlich habe ich
Sie erwartetl Ich glaubte schon, Sie kämen nicht; vielleicht hätte ich
mir in der Verzweiflung das Leben genommen: — Nun aber welche
Seligkeit!"
„Achl — Ach! - Ach!"
„V meine Geliebte, Sie sind die Sonne meines Daseins! Meine
Seele schwimmt in Wonnetränen bei Ihrem holden Anblick, den ich
leider wegen der Dunkelheit nicht genießen kann. — Ach! — Achl —
Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen mein liebendes Herz zu Füßen lege!"
„Achl Wenn das meine Mutter wüßte!"
„Geliebter Engel, mache mich glücklich, sage ja! Ich halte es
nicht länger aus — ach!"
„Ach! Ja!"
„So laß uns unfern Bund besiegeln mit — — —"
Hier stellte Mrs. Williams den Phonographen ab.
Eine neue Walze wird aufgesteckt.
„OarlinZ!"
„was ist's, ckarlinA?"
„V nichts als ckarlinA, ckarlinZ, ckarlinZ!"
„Gewiß, in^ clarlin^!"
Mer muß da nicht lächeln? Wir unsrerseits brachen in schallen-
des Gelächter aus; denn einmal lachen junge Mädchen gern, und sodann
kam es uns gar zu komisch vor, daß die Liebenden, die so heimlich zu-
sammenkommen, keine wichtigeren Geheimnisse und keine vernünftigeren
Dinge zu besprechen haben und nur solch sinnloses Gegirr von
sich geben!
Mrs. Williams wollte den Phonographen wieder abstellen, aber
diesmal versagte die Mechanik und nun schmatzte und schallte es plötz-
lich — eine Flut von Rüssen und dazwischen Seufzer:
„Ach, laß mich doch los! — Du erstickst mich."
„Bist Du mir böse?"
„V nein, nein, aber ich schäme mich so sehr!"
„Ls ist ja dunkell Romme, noch einmal!" Und wieder schallten
Rüsse, diesmal deutlich gegeben und zurückgegeben.
Anfangs hatten wir hoch aufgehorcht; dann aber brach das Ge-
lächter um so unbändiger los. Mrs. Williams geriet in Verlegenheit,
weil es ihr nicht gelingen wollte, den Apparat zum Stillstand zu bringen.
Endlich kam sie damit zustande und atmete erleichtert auf, als hätte
sie ein großes Unglück verhütet.
Aber, soll ich es Dir gestehen, Alma? Mir war das Lachen ver-
gangen: dies ganze, unvernünftige Liebesgebahren fing an, einen poe-
tischen Reiz für mich zu gewinnen, und ich schämte mich, daß wir die
indiskret belauschten Reden so sehr verspottet hatten. Wer weiß, wenn
ich an der Stelle des Mädchens im Seufzerwäldchen gewesen wäre — ?
Ach! Wäre ich doch an seiner Stelle gewesenl
Als nun auch die Liebeserklärungen mit den jungen Herren prak-
tisch geübt wurden, hüteten wir uns wohl, uns die gehörten Gespräche
zum Vorbild zu nehmen, und setzten unsere Reden so meisterhaft und
poetisch, daß sie in Novellen und Dramen hätten Verwendung finden
 
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