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Meggendorfer-Blätter — 57.1904 (Nr. 693-705)

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Nr. 698
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Meggendorfer-BIätter, München

Der Gnkel.

zu unterscheiden trachte, gelingt es mir, die unliebsamen Ver-
wechslungen auf ein erträgliches Minimum zu reduzieren. Die
Zahl der groben Mahnbriefe, der Pfändungen, der Alimentations-
klagen ist in ständigem, erfreulichem Sinken.
„Doch mit des Geschickes Mächten" — aber ich will, statt
zu deklamieren, meine Geschichte erzählen.
„Lines Nachmittags werde ich durch den Telegraphenboten
aus meinem Siestaschläfchen geweckt. Ich bin kein Geschäfts-
mann, war daher erstaunt, eine Depesche zu erhalten; ihr Inhalt
erfüllte mich jedoch rnit lebhafter Freude: „Bin auf der Durch-
reise und komme 6 Uhr Ho Nordbahnhof an. Freue mich, Dich
zu sehen. Dein Gnkel Anton."
Besagter Gnkel war mein einziger naher Verwandter.
Als reicher, kinderloser Witwer brachte er seine meiste Zeit
auf Reisen zu und ich hatte, außer einigen Ansichtskarten seit
Monaten keine Nachricht. Nun wollte er selbst kommen, und
ich freute mich aufrichtig auf das Wiedersehen.
Mein Gnkel war ein Gourmand und da galt es, ganz
besondere Vorbereitungen für ein Souper zu treffen, denn, daß
ich ihn einige Tage nicht fort ließ, stand bei mir fest.
Lchte Natives, Lhablis,
Trüffelxasteten, Mumm extra
dry: das waren so ungefähr
Dinge, die nicht fehlen durften.
Fatal war, daß ich gerade heute
meinem Diener Urlaub gegeben
hatte und alles allein besorgen
mußte.
Ich rief die Portiersfrau,
die meine Wäsche besorgte und
mit ihrer Hilfe hatte ich bald
den Tisch festlich gedeckt. Dann
sollte sie die verschiedenen Dinge,
die ich nachHause schicken würde,
in Empfang nehmen, den Wein
einkühlen und mich erwarten.
Meine Einkäufe waren
bald erledigt, ich ließ mir alles
nach Hause bringen und begab
mich — es war schon höchste
Zeit — nach dem Nordbahnhofe.
Präzise 6 Uhr brauste der Zug in die Halle — aber
meinen Gnkel konnte ich unter den Passagieren nicht entdecken.
Diese Enttäuschung machte mich ärgerlich, und meine Laune
verbesserte sich nicht, als ein etwa zehnjähriger Schlingel mit
seinen groben, nägelbeschlagenen Schuhen mir auf die Hühner-
augen trat.
Ich stieß den Jungen etwas unsanft beiseite, worauf er
zu heulen begann, während seine Mutter die Arme in die
Seiten stemmte und mir eine Standrede hielt, daß mir die
Vhren gellten. Als nun auch der Vater des Jungen, ein un-
geschlachter Landmann, augenscheinlich ein Viehhändler, sich
einmengte, zog ich es vor, mich schleunigst zurückzuziehen, wobei
meine Freude über meines Gnkels Ankunft einen ordentlichen
Dämpfer erhalten hatte.
Ich wartete noch den nächsten Zug, der um acht Uhr an-
kam, ab, doch auch diesmal war mein Gnkel nicht gekommen
und wütend begab ich mich nach Hause, um mein teueres
Souper allein aufzuessen.
Als ich in meine Wohnung trat, klang mir aus dem Speise-
zimmer Tellergeklapxer und Gläsergeklirr entgegen. Was war
das? War mein Gnkel doch gekommen und hatte er sich ohne
mich zu Tische gesetzt?
Die Portiersfrau klärte mich auf. Der Gnkel sei vor

einer Stunde gekommen, habe sich geärgert, niemand zu Hause
zu finden und, nachdem er es sich bequem gemacht, ein
Nachtmahl verlangt, da Frau und Aind hungrig seien.
„Ich muß jetzt anzünden gehen, gnä' Herr, ich komm'
gleich wieder," setzte sie hinzu und entfernte sich.
Frau und Rind? Mein Erbonkel wieder verheiratet? Von
einer dunklen bösen Ahnung beschlichen, öffnete ich rasch die
Türe — —
An meinem Tische saßen der grobe Viehhändler mit seiner
noch gröberen Ehehälfte und taten sich an meinen Trüffel-
pasteten und all den anderen teuren Delikatessen gütlich, während
der Junge, der mir beinahe die Zehen zerquetscht hatte, das
Dessert verschlang und dabei mit der Gabel das Tischtuch in
ein Sieb zu verwandeln sich bestrebte.
Ich verlor beinahe den Atem.
„Wer sind Sie und was wollen Sie hier?" schrie ich wütend.
„Wer san denn So und was woll'n denn Sö da?" lautete
die mit verblüffender Grobheit gegebene Antwort.
„Ja, zum Teufel, ich bin doch hier in meiner Wohnung."
„In Ihnera Wohnung? Dös is do die Wohnung vom
Pepi Meier."
„Ich bin doch der Pepi
Meier," rief ich zornbebend.
„Ah, dös is net schlecht,
der will der Pepi Meier sein.
Sö, ich werd' doch mein' Neffen
kennen? Mir scheint, Sö san
a Gauner, a Wohnungsein-
schleicher—Schanerl, geh', renn'
um an Wachmann — und Sö
bleib'n da. Mir werd'n Ihna
zag'n, sich für an andern aus-
geben und in fremde Wohnungen
stehl'n geh'n."
Schanerl warf einen Blick
triumphierender Rache auf mich
und eilte davon, wobei er eine
Flasche umwarf, die mir zwei
Teller und drei Gläser zerschlug.
Ich glaubte, ich müsse
bersten.
„HausmeisterinI" brüllte ich und stürzte zur Türe, aber ein
eiserner Griff riß mich zurück.
„Ho, ho, mei' Liaber, dös kennen m'r schon — davonrenna
gibt's net. Sö bleib'n da, bis der Sicherheiter kommt, sonst
bind'n m'r Ihna wo an. Was, Alte?"
Ein Blick auf die mächtigen Fäuste des Mannes und die
resolute Miene der Frau ließ mich einsehen, daß alles nutzlos
wäre — auch jede Erklärung meinerseits. In stillem Grimm
sah ich zu, wie der Mann sich an meinen teueren Meinen gütlich
tat, und dabei eine meiner feinen Zigarren rauchte.
Es waren qualvolle Minuten, bis endlich die Türe aufging,
und Schanerl stolz mit einem Wachmann eintrat.
V weise Vorsicht, wie gut kommst Du mir jetzt l
„Jesses, Herr v. Meier, was is denn g'scheh'n bei Ihna?
A Einbrecher is da?"
Es war der wackere Rayonsposten, den ich fast täglich sah,
und mit dem ich manchmal einige Worte wechselte.
vor Zorn halb erstickt, hastend, übersprudelnd schilderte ich
meine Situation. Als ich meines Gnkels erwähnte und dem
Polizeimann die Depesche verlas, sprang der Landmann auf
und schrie, indem er mir die Depesche aus der Hand riß:
„Himmel Malefiz Dunnerwetter, dös is ja mei Telegramm —
i bin doch der Gnkel."
 
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