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Meggendorfer-Blätter — 57.1904 (Nr. 693-705)

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Nr. 700
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https://doi.org/10.11588/diglit.20902#0103
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Zeitschrift für Humor und Aunst

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ein verbrecherischer Plan in mir. Ich absentiere mich heimlich,
lasse alle vorübergehen, dann schleiche ich durch die menschen-
leeren Gassen. Jetzt stehe ich vor dem Schaufensterkasten des
Photographen Vogel. Vom Kirchturm schlägt es zwei Uhr.
Ich sehe mich stumm ringsum. Rein Nachtwachtrat zu erblicken,
soweit das Auge reicht. Das Schaufenster ist zum Glück ohne
Jalousie, ich sehe das Bild, ihr Bild, ihr liebes, bezauberndes
Bild, das Konterfei ihres süßen Gesichtchens; nur die elende
Fensterscheibe trennt mich von dem Ziel meiner Wünsche. Leider
ist sie ziemlich groß und dick, — Patentglas oder so was. Ist
es Diebstahl, wenn ich ...
Unsinn! Mag es sein, was
es will, das ist mir alles
egal. Du liebes Engels¬
antlitz Du, für Dich täte ich
ja noch viel Schlimmeres.
Räuber und Mörder würde
ich für Dich, wenn es sein
müßte, wie damals Karl
Moor, für seine Amalia.
Sterben würde ich für Dich,
Lisette, fände ich nur eine
einigermaßen anständige
Gelegenheit dazu, — ja, ja,
— wahrhaftig. Und nun:
„Auf in den Kampf
Torero!" Ich hole einen
Stein aus meiner Mantel¬
tasche, den ich unterwegs
aufgehoben.
Klicks l — kirriks I Mein
Stein sauft gegen das Fen¬
ster. Mit rneinem Mantel
fange ich schnell die Glas¬
scherben auf, um das Ge¬
räusch der aufs Pflaster
herabstürzenden Scherben
nach Möglichkeit zu dämp¬
fen. Ich fasse in den
Kasten, nehme das Bild
heraus und verschwinde um
die nächste Straßenecke.
Es ist geglückt und
niemand hat mich erspäht.
Gben schläft Herr Vogel
mit seiner reputierlichen
Ehehälfte in der dunklen
Kammer den Schlaf des
Gerechten. Mas weiß so
ein Philister von der Liebe.
Morgen früh hat er sein Geld für die kapute Fensterscheibe
und damit basta!
Zu Hause angekommen, schreibe ich einen Brief an Herrn
Vogel, erkläre ihm seinen Verlust und lege zo Meter hinein,
meine halbe Zulage für diesen Monat. Schadet nichts, ich habe
doch das Bild! —
Ich betrachte es immer und immer wieder, während ich
schon im Bette liege. Dabei brennt meine Zigarre ganz luftig
ein Loch in die Bettdecke. Ich drücke das corpus clslicti an
meine Lippen, ich berausche mein Herz daran: Lisette, — liebe
Lisette, — Lisette, Du Einzige, Du Nette, — ach wenn ich Dich
doch hätte! . . . Lisette . . . Lisette . . . Lisette — Lisss . . .
sss . . . s . . .
tz ri¬
tz

Am andern Morgen schicke ich meinen Putzer, den Tambour
Naumann, mit dem Geldbrief zu Herrn Vogel. Dann gehe
ich mit bestem Gewissen zum Dienst, denke aber dabei mehr an
meine Liebe, als an alles andere.
plötzlich ruft mich mein Hauptmann: „Portepeefähnrich
Klippert!"
„Herr Hauptmann" — zum Teufel, was kann denn
los sein!
„Es ist eben ein Regimentsbefehl gekommen," sagte der
Hauptmann und zieht den Befehl aus der Tasche: „Ich wünsche
den portexeefähnrich Klip-
pert zur Parole zu sprechen,
gez. von Hildebrandt,
Bberst und Regimentskom-
mandeur."
Der Hauptmann blickt
mich durchbohrend an:
„Haben Sie etwas aus-
gefressen?" fragte er.
Ich kriege beinahe einen
Schlaganfall. „Nein, Herr
Hauptmann," sage ich ener-
gisch; mir ahnt aber das
Schlimmste.
„Ich wollte es Ihnen
auch nicht geraten haben,
Fähnrich. Gehen Sie hin-
auf und ziehen Sie sich
schleunigst um: Grdon-
nanzanzug, besserer Garni-
tur. — Ich erwarte Sie
um dreiviertel am Exerzier-
haus, — vorwärts."
Wie ein Reh flüchte ich
hinauf in meine Bude.
Das Bett ist noch ungemacht
und gähnt mich an. Auf
dem Tisch steht der schmie-
rige Petroleumkocher, auf
dem Naumann meinen
Kakao gekocht. Auf der
Kommode sitzen drei feiste
Mäuse und delektieren sich
friedfertig an meiner Früh-
stücksleberwurst. Herrgott,
wie sieht das hier wieder
aus! Was ist das für eine
Art Leben! Und inmitten
dieses Tohuwabohus, auf
dem Nachttisch, neben der
eisernen Kommisbettstelle, steht ihr Bild, Lisettens Bild. Wie
eine Entweihung kommt mir das vor.
Die Nagetiere auf der Kommode nehmen übrigens keinerlei
Notiz von mir. Das fängt mich an zu ärgern. In aufloderndem
Zorn ergreife ich einen Pantoffel und schleudere ihn wütend
gegen die Viecher. Wurst und Teller fliegen zu Boden. Scherben
spritzen umher. Die Schmarotzer suchen das Weite.
Ich stürze wieder aus den: Zimmer und rufe meinen Putzer:
„Naumann! Naumann! Br'nanzanzug putzen! Vorwärts!
Galopp!"
Wie der Wind ziehe ich mich um. Fünf Minuten vor
dreiviertel stehe ich schon am Exerzierhause und warte. Jetzt
naht auch der Hauptmann. Er winkt mir, mustert mich von
Kopf bis zu Fuß und heißt mich, an seiner Linken auf den
 
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