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Meggendorfer-Blätter, München

Der erste Hirsch.
Humoreske von I. Merkt.

aronesse Liefland war ein Teufelsmädel und vollständig
auf der Höhe des Jahrhunderts. Rein Sport schien
ihr fremd zu sein. Nicht nur, daß sie sämtliche Spiele
meisterlich beherrschte, sie ritt, sie schwamm, sie kraxelte mindestens
ebenso gut wie ihre männlichen Altersgenossen, und in der
letzten Zeit hatte sie sich auch noch auf die Schießerei verlegt
und war vom Scheibenstand den lieben langen Tag über gar
nicht mehr wegzubringen. Sie wollte sich zu allem Uebersluß
auch als Jägerin entwickeln.
Ihr Gnkel, ein Forstmeister im Gebirge, hatte sie eingeladen
zur Jagd, und da sie vorher keine Waffe in der Hand gehabt
hatte, so trainierte sie ein paar Wochen lang, was das Zeug
hielt, und verpulverte ihr ganzes Taschengeld.
Den Tag vor ihrer Abreise hatten wir ihr zugesehen, weil
wir behaupteten, sie treffe kein Scheunentor auf dreißig Meter.
Sie hat uns hübsch ausgelacht — sie schoß gar nicht so übel.
Sie war gerade dabei, sich daran zu gewöhnen, während des
Schusses nicht mit den Augen zu zucken, und das machte ihr,
wie sie sagte, höllisch zu schaffen. Das sei nur so eine Weiber-
unart, meinte sie, und sie wolle damit schon noch fertig werden.
„Sie sind also tatsächlich so grausam, Baronesse," fragte sie
der (Oberleutnant Zumbusch, „so ein armes Reh heimtückisch
niederzuknallen? Ich habe Sie für viel zu gutmütig gehalten."
„Bilden Sie sich nur ja keine Geschichten ein, mein Lieber,
ich werde mich doch nicht von euch allen verhöhnen lassen I"
Sie war wirklich ein wenig gereizt, das kleine Freifräulein,

und fest entschlossen, auch in der edlen Weidmannskunst uns
den Mann zu zeigen, der, wie sie glaubte, in ihr steckte. Sie
war auch kaum in Rodenkirchen angelangt, wo sie der Gnkel
Röder erwartete, ein alter Junggeselle, der froh war, wenn
jemand kam, der in seine Rlause ein wenig Leben brachte, als
sie schon mit allem sich befreundet hatte, was zur grünen
Farbe gehört. Von den biederen Jagdgehilfen angefangen,
denen sie reichliche Lnzianspenden opferte, bis zum Schweiß-
hund herab, den sie heimlicherweise mit Zuckerln zu verderben
suchte.
Und sie ruhte auch nicht, bis der Gnkel ihr versprach,
eine Treibjagd abzuhalten.
Er wählte, verschlagen wie er war, einen Grenzberg, wo
noch niemand, die ältesten Leute inbegriffen, ein Stück Wild
gesehen hatte, sie also schlechterdings keinen Schaden anzurichten
imstande war.
Das hinderte aber den alten Herrn durchaus nicht, seine
Phantasie einzuspannen und ihr den ganzen Abend hindurch
von den Gemsen und Hirschen vorzuschwärmen, die morgen
ohne Zweifel ihre sichere Beute sein würden.
Und sie stand völlig unter seinem Bann, und als sie endlich
sich schlafen legte, mußte die Haushälterin ihr versprechen, sie
möglichst frühzeitig zu wecken, damit sie ihr Jagdzeug noch
einmal ordentlich Herrichten könne.
Ls wäre aber gar nicht so notwendig gewesen, denn sie
schlief ungewöhnlich schlecht, und alle die Geschichten, die ihr
der, wie die meisten Jäger, äußerst wahrheits-
liebende Gnkel erzählt hatte, gingen ihr die
Nacht über im Ropfe herum.
Ls dämmerte noch, als sie schon fix und fertig
die Treppe hinabeilte und, da noch alles schlief,
in der Rüche die Vorbereitungen zum Frühstück
traf, um ja keine Minute zu versäumen.
Während das Raffeewasser zu kochen begann,
holte sie sich ihr Gewehr, unterzog es noch ein-
mal einer gründlichen Prüfung und übte sich im
Zielen, wobei ihr das Unglück begegnete, daß
sie die Maschine umwarf und durch den Sturz
zerbrach.
So etwas darf aber natürlich ein Weidmanns-
herz nicht erregen. Sie holte Holz und schürte
ein tüchtiges Feuer und vollführte dabei einen
Lärm, daß die Haushälterin erwachte und mit
verschlafenen Augen in die Rüche trat, um nach-
zuschen, ob nicht die Ratzen Unfug trieben.
Der Liesl war diese Begegnung nicht ganz
sympathisch. Lin altes Weib, das ist immer für
den Jäger eine bedenkliche Erscheinung, und
trübe Ahnungen von allerhand Pech bemächtigten
sich ihrer von der Leidenschaft erglühten Seele.
Der Gnkel, der ein unglaubliches Phlegma an
den Tag legte, kroch auch erst gegen sieben Uhr
aus den Federn, und so wurde die Geduld der
schießlustigen Dame auf eine harte Probe gestellt.
Endlich brach man auf. Ls war hübsch kühl
im Bergwald und das tat ihr wohl, denn das
minderte ihre Nervosität und beruhigte das
heiße Blut.
Nun stellte man sie an. Der erste Bogen
wurde getrieben. Sie horchte mit gespannten
Sinnen auf jedes Geräusch, das sich ihr näherte,

Ueberflufsige Ereiferung.

„ . . . Was, Sie erfrechen sich, mir ins Gesicht zu sagen, daß ich ein
Protz bin?! Mir, einein Menschen, der jährlich zwanzigtausend Mark
zu verzehren hat?! . . ."
 
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