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Meggendorfer-Blätter — 59.1904 (Nr. 719-731)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20904#0146
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Vom Himmel hoch öa komm' ich her.



versprechen. Sie, der vergötterte Liebling des Mnkel
der alle Gelehrten noch ärger haßte, als die Sünde,
jungen Naturwissenschaftler vr. Ulrich Mürzen-

das alles wegen dem verfl. . . Stein. Drei Tage später war das
Ding nämlich noch so heiß, daß man's nicht anfassen konnte,
er hätte es sonst — nur uni der lästigen Besuche ledig zu sein
— längst zum Teufel spediert.
Da kaut am fünften Tage ein junger Herr an — Or. Mürzen-
becher nannte er sich —, der den verteufelten Stein kaufen und
mit sich nehmen wollte. Gnkel Damrow hätte dein Manne
gern noch Geld dazu gegeben, wenn er ihin nur den unglücklichen
Stein vom Felde und damit die Besucher vom Halse schaffte.
Von einem Verkaufe wollte er deshalb nichts hören. „Nehmen
Sie den Stein, Herr Doktor, und machen Sie, daß Sie damit
davonkommen, soweit Ihre Beine Sie tragen wollen. Ich bin
zufrieden, wenn ich nichts mehr davon höre und sehe!" So er.
Aber so schnell, als Gnkel Damrow den Unglücksstcin los
sein wollte, ließ sich die Sache doch nicht machen. Ts waren Vor-
bereitungen nötig, ihn aus der Erde zu heben, und Vorberei-
tungen, ihn weiterzubcfördern, kurz, — hatte Gnkel Damrow
A gesagt, dann mußte er nun auch B sagen — so gern er des
Steines auf die schnellste weise ledig geworden wäre und so
sehr ihm alles gelehrte Federvieh verhaßt war, er mußte sich
bequemen, den Herrn Vr. Mürzenbecher einige Tage in seinem
Hause zu beherbergen.
Sonderbarerweise fand jetzt Fräulein Aäthe, der der Stein
bis dahin höchst schnuppe gewesen war, ein so großes Interesse
an ihm, daß sie den Herrn Or. Mürzenbecher stets begleitete,
so oft er zu ihm hinausging, und treulich draußen aushielt,
solange der Herr Doktor bei den Arbeitern verweilte. Ja,
selbst daheim im Hause, bei Tisch und abends, verschmähte sie
es nicht, mit dem Herrn Doktor über den Himmelssendling zu
plaudern, und als es endlich so weit war, daß Herr Or. Mürzen-
becher abfahren konnte, da ließ sie sich von ihm weitere
Nachrichten über seine Forschungen an dem Meteoriten in
die Hand
Damrow,
von dem
becher.
Und Or. Mürzenbecher hielt Wort. Lr schrieb sogar recht
oft und recht viel, und Jungfer Aäthe hatte ihm recht oft und
recht viel zu antworten. Sie hockte wenigstens, was sonst ihre
Sache nie gewesen war, jetzt halbe Tage lang an ihrem
Schreibtisch, zum großen Mißvergnügen des Großonkels, und
keine Woche verging mehr, daß nicht ein neues Ries Rosa-
briefpapier für sie aus der Stadt mitgebracht werden mußte.
Zu gleicher Zeit ward durch die Zeitungen publik, daß der
„bekannte Naturforscher", Or. Mürzenbecher, den auf der
Damrowschen Herrschaft niedergegangenen Meteoriten ana-
lysiert und darin ein neues, bisher noch nirgends aufgefundenes
Metall entdeckt habe, das er Helium oder Sonnengold genannt
habe. Und daun hieß es kurze Zeit darnach: „Das von
Or. Mürzenbecher in dem Damrowschen Meteoriten entdeckte
Helium sei das kostbarste Metall, das man auf Erden besitze.
Ls sei nicht allein einzig in seiner Art, sondern von solcher
Reinheit und von so edlem Glanze, daß ihm kein andres Metall
gleich komme." Von ganz besonderen: Interesse für die gesamte
Damenwelt war aber die Mitteilung, daß der junge Gelehrte
dieses einzige Metall von einem der geschicktesten Goldschmiede
der Residenz zu einen: Damenschmuck habe verarbeiten lassen,
und daß die Dame glücklich zu preisen sei, welcher diesen einzigen
Schmuck der Welt zu tragen gestattet sein werde.

äthe Damrow, der
vergötterte Lieb-
ling eines Groß-
onkels, welchersich
den Luxus solch
eines verkörperten
Mischmasches von
Blumcnduft und
Sonnenschein,
Tyrannei und
Schelmenlust
allerdings gestat-
ten konnte, hätte
eigentlich ein
Junge werden
sollen, ein geschei-
ter Kerl natürlich,
derdemGroßonkel
dermaleinst die
Verwaltung
seiner Besitzungen abnahm und schließlich die Besitzungen selbst
ebenfalls, indem er das Geschlecht derer von Damrow verjüngte.
Als sie trotzdem ein Mädel war, da hätte der Großonkel sie in:
ersten Augenblick der Enttäuschung lieber dahin zurückgewünscht,
wo sie hergekommen war, und nur schwer hatte er sich ent-
schließen können, sie überhaupt willkommen zu heißen. Darüber
waren aber neunzehn Jahre vergangen, Aäthe spazierte ins
zwanzigste, war geworden, was sie ist, und rächte sich für den
unfreundlichen Empfang an dem alten Gnkel durch die ärgste
Tyrannei. Dieser aber tröstete sich um eines „Schwieger-Lnkel-
Neffen" willen, den Aäthe ihm zuführen sollte, auch eines
gescheiten Aerls natürlich, nut dein sich reden ließe, der ihn nach
jeder Richtung hin ersetzte und schließlich seinerseits den Namen
derer von Damrow weiterführte. Aeines Stubenhockers also,
keines Federviehs oder ähnlichen windigen Gelehrtengelichters,
das Bnkel Damrow in den Tod nicht ausstehen konnte.
Da sauste dem alten Herrn an einem gesegneten Sommer-
tage aus wolkenlosem Himmel ein Donnerkeil in die Grütze,
das heißt, so sagte er, und so sagten auch seine Leute, die bei
ihm dran und drum waren, Aäthe eingerechnet. In lvirklichkeit
war es ein Meteor von einen: Meter im Durchmesser, das ihm
in ein Buchweizenfeld niedergegangen war und hier, weniger
unmittelbar, als mittelbar, große Verwüstungen augerichtet hatte.
Fast metertief war es in glühenden: Zustande in den losen Boden
eingcdrungen und hatte dabei die Ackerkrume ringsum zu Aristall
zerschmolzen, zu Schlacken verbrannt. Das war die unmittelbare
Verwüstung. Die mittelbare war, daß aus allen Himmels-
richtungen die Neu- und Wißbegierigen in Hellen Haufen herbei-
kamen, das Phänomen zu sehen und bei der Gelegenheit den
ganzen Buchweizenacker zerstampften; die angrenzenden Getreide-,
Rüben- und Aartoffeläcker nicht minder, ohne daß Herr Damrow
es wehren konnte. Schulen kamen sogar mit ihren Lehrern,
Gymnasien, Polytechniken, Universitäten mit ihren Professoren.
— Gnkel Damrow war wütend, aber er konnte die Herrschaften
doch nicht davonjagen lassen. tVu coutruirs! Als gebildeter
Europäer mußte er gute Miene zum bösen Spiele machen, die
Herren Professoren und sonstigen Lehrer der Hochschulen — Aerls,
die er lieber vergiftet hätte — mit ihren Studenten zu Tisch
laden, seine Zeit, seine Ruhe, seine Weine ihnen opfern; und
 
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