Meggendorfer-Blätter, München
Urompt bedient.
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um den Missetäter unverzüglich aufsuchen und bestrafen zu
laffen.
„Das genügt nicht," entgegnete der feurige junge Sultan.
„Steh auf und laß sogleich durch mein ganzes Reich verkünden,
daß jeder Kaufmann, der sich die geringste Unredlichkeit oder
Schelmerei zu Schulden kommen läßt, auf der Stelle gehängt
werden soll."
Der vorsichtige Großwesir erhob sich zögernd. „Beherrscher
der Gläubigen I Sonne der Gerechtigkeit! Soll Deine Verord-
nung nur die Verkäufer oder auch die Einkäufer treffen?"
„Weshalb die Einkäufer?"
„Ulan kann auch gewissenlos einkaufen, Wenn ein Kauf-
mann aus Irrtum oder Unkenntnis, oder weil er augenblicklich
des Geldes bedarf oder die Ware schuldig geblieben ist, unter
dem Werte verkauft, ist der Käufer, der diese Gelegenheit aus-
nützt, nicht ebenfalls strafbar?"
„Allerdings."
„Wenn nun aber ein gewissenloser Einkäufer von einen:
schelmischen Verkäufer überlistet wird, sollen dann beide sterben,
oder wer von beiden?"
„Ich verstehe Dich nicht."
„Zum Beispiel. Ls bietet jemand ein Kleinod, welches
tooo Goldstücke wert ist, für ^oo Goldstücke feil. Ein gewissen-
loser Einkäufer ersteht es, selbst auf die Gefahr hin, daß es
gestohlenes Gut sei, für diese Summe. Es ergibt sich aber,
daß er in der Freude über einen so vorteilhaften Handel sich
dennoch übereilt und einen unechten Ring für einen echten
gekauft hat. Ist er durch dieser: Betrug hinreichend bestraft
für seine Gewissenlosigkeit oder verdient er noch härtere Strafe?"
Zornig griff Achmed nach seinem Handschar, aber nur zur
Hälfte zog er ihn aus der von Diamanten funkelnden Scheide
und blieb einige Augenblicke in dieser drohenden Stellung vor
dem kühnen Sprecher stehen, plötzlich aber stieß er die Waffe
in die Scheide zurück, seine Züge erheiterten sich und lächelnd
reichte er seinem treuen Großwesir die Hand.
„Habe Dank, Ibrahim," sprach er, „weil Du mich meine
Torheiten einsehen lehrst. Ja, ich war nicht bloß gewissenlos,
sondern auch töricht. Lin wenig List"gehört nun einmal leider
zum Handel, und wollte ich die geringste Unredlichkeit so grausam
bestrafen, ich würde den ganzen Handel in meinem Reiche
verderben. Wie wäre es aber, Ibrahim, wenn ich, statt den
Betrug zu bestrafen, die Redlichkeit belohnte. Was meinst Du,
wenn ich alle hier anwesenden Kaufleute, wes Landes und
Glaubens sie auch fein mögen, in meinem Palaste versammelte,
um den redlichsten und gewissenhaftesten unter ihnen glänzend
zu belohnen?"
Ibrahim zuckte die Achseln und meinte, die Tugend des
Kaufmanns sei, Geschäfte zu machen, und jedes Geschäft bringe
seinen Lohn und seine Strafe schon von selbst mit sich. Der
junge Sultan aber ließ dennoch nicht ab von seinem Plane.
Am folgenden Tage mußten sich alle Kaufleute zu einer
bestimmten Stunde in einem der großen Höfe des Palastes
versammeln. Da kamen Türken, Griechen, Franken, Juden,
Armenier in den seltsamsten und buntesten Trachten, und alle
sahen vergnügt und zuversichtlich aus, und jeder hielt sich für
so rechtschaffen, als könne der Preis der Redlichkeit unmöglich
ihm entgehen.
Sultan Achmed erschien, gefolgt von seinem glänzenden
Hofstaate, begab sich unter den großen Baldachin und ließ sich
auf den goldenen Thronsessel nieder.
Wie strahlte sein Antlitz, als er diese Menge von recht-
schaffenen Kaufleuten sah, die aus allen Enden und Ecken der
Welt sich hier versammelt hatten, um sich um den Preis der
Redlichkeit zu bewerben.
Aber während er noch mit stolzen Blicken die freudigen,
hoffnungsreichen Gesichter musterte, entdeckte er mitten unter
ihnen zu seiner grenzenlosen Verwunderung den fremden Ju-
welier, der ihn geprellt hatte. Er stand in der ersten Reihe
ganz nahe seinem Throne und sah nicht minder vergnügt und
hoffnungsreich aus als alle die andern.
Während sich sein Blick verfinsterte, winkte der Sultan
einem Sklaven, der ihm die goldene Kapsel mit dem Ringe
reichte, öffnete sie und befahl dem Juwelier, näher zu treten.
Dieser gehorchte ohne alle Verlegenheit.