Aeitschrifl für Hurnör und Aunst
59
Zes Liedes (Lnde.
Skizze von Anilll Burg.
lexis tfertcr saß an seinem Schreibtisch und räumte auf.
Das sah ja wieder 'mal kunterbunt ausl Die Schub-
laden sperrten und ließen stch nur mit Gewalt öffnen,
so vollgepfropst waren fle mit Zeitungen, Büchern, Manu-
skripten und Briefen. Und auf der schön gestickten, großen
Schreibmappe lag alles wild durcheinander, Billets von Ver-
lcgcrn, goldgeränderte Linladungskarten, Rechnungen — alles,
was die post einem so nach und nach ins lsaus
Alexis inachte sich mit einem wahren Todesmut an das
Geschäft des Aufräumens. Der umfangreiche Papierkorb füllte
sich raxid. Line Schublade nach der andern wurde ihres Inhaltes
entleert und dieser Inhalt mit nervösen Fingern und flüchtigen
Blicken durchgeslöbert.
Gottlob, nun gab es Lust. Nun wurde wieder alles, was
des Aufhebens wert schien, sorgsältig sortiert und in die ver-
schiedenen Fächer geordnet.
Dann machte Alexis die Türe auf und rief hinaus:
„Alina — holen Sie den Papierkorbl"
Lhe der dienstbare Geist seinem Rufe solgte, glitt der Blick
des Schriftstellers noch einmal prüfend über das nüt zerknüllter
Ukakulatur zum Bersten gefüllte Ungetüm. Vbenauf lag ein ver-
gilbtes Briesblatt. Das nahm er zusällig noch einmal in die bsand.
Ls war beschrieben mit gleichmäßigen, hie und da durch
eine Rorrektur unterbröchenen Zeilen — verse, die er selbst,
Alexis, vor Iahren einmal gedichtet hatte.
Lr setzte stch auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und las
die Strophen durch.
Dann ließ er die Lsand mit dem Paxier sinken, lehnte den
Roxf an die Stuhllehne und schloß die Augen.
Lr merkte nicht, daß die Magd den Rorb holte und die
Türe geräuschvoll wieder schloß.
Seine Gedanken hatten stch xlötzlich aufgemacht und waren
ihm entflohen — weit — weit!
Lr sah wieder das Mädchen vor sich, das seine erste Liebe
gewesen; ein braunes Landkind mit dunkeln, seetiefen Augen, mit
schwarzen Zöpfen und bloßcn Füßen.
Lr sah wieder das weithin
sich dchnende Lseideland, über das
er niit diesem Alädchen an der
bsand gewandert war.
Lr fühlte wicder die schwellende
Seligkeit, die damals seine junge
Brust erfüllt und die stch ergossen
hatte in die Verse, die da auf ver
gilbtem Papier so seltsam sremd
ihn anstarrten.
Damals war er ein Unbckannter
gewesen, voll leidenschaftlichen Lm-
pstndens, und dic verse waren ihm
aus seurigem Lserzen gefloffen.
kseute gehörte er zu den bekannten
„Literaten", schricb geistreiche
Lssays, schön stilisierte Feuilletons,
sxanncndc Romane — abcr keine
verse mchr.
Dort, wo seine Gcdanken
weilten, lag glutvolle Sonnc aus
poestedurchflutetcr Linsamkeit, —
da, wo sein Rörper saß, umhüllten
ihn dic Schattcn der prosa, der
Frost lügenhastcr Alltäglichkeit.
Und cr ließ seinc Gcdanken
weilen auf dem Liland der Iugend, bis sein müdes blasiertes
Gesicht von einem hellen Aindcrlächeln beleuchtet wurde.
Lr schrak zusammen, als die Türe aufgerissen wurde und
eine farbenschillernde Gestalt wie ein Mirbelwind auf ihn zuflog.
Unter einem mit Rosen bedeckten ksut von ungeheuren
Dimensionen sprühten ihm aus xikantem, gepudertem Gesicht
zwei unruhige Augen entgegen. Ringgeschmückte ksändchen
faßten nach den seinen und ein Schwall von süßem parfüm
strömte ihm entgegen.
„Grüß Gott, Alexis. Mar ich lange sort? ksast Du schon
Ulittag gegessen? Nein? Desto besser, dann essen wir zu-
sanimen. Ich war mit Mathilde bei Gerson. Sie hat sich ein
Rleid gekauft — suxerb — sag' ich Dir; ein Gedicht von einem
Aleid! Linfach reizendl Aber es steht ihr nicht, — fie ist zu
gelb. Aproxos, Du — in der Friedrichstraße hab' ich einen
Lsut gesehen — wie gemacht für mich. Ganz einfach — ohne
allen Schmuck — nur mit Phantasteband garniert; — süß, sag'
ich Dir. Und so billigl Nur zwanzig Ulark. Den muß ich
haben. Nicht wahr, Schägchen, den kaufst Du mir?"
Sie ließ sich schmeichelnd aus sein Rnie nieder und um-
schlang ihn. Lr sah ihr wie geistesabwesend in das leben-
zuckende Gesicht.
„Schon wieder einen ksut," meinte er gedehnt, „das geht
nicht, Aind. Ich habe dafür kein Geld!"
Sie schnellte empor und rief schmollend:
„Niemals hast Du Geld, wenn es gilt, niir eine Freude
zu machen. Ich muß aber den lsut habcn — ich muß. Ich
habe schon niit Ukathilde darüber gesprochen."
Sie stampfte mit dem Fuß.
Plötzlich fiel ihr Blick auf das zu Boden geglittene Briefblatt.
„!vas ist das? Lin Gedicht? — von Dir?"
Lhe er es hindern konnte, hatte sie es ausgehoben und las es.
Ihr Gesicht verfinsterte sich. Lin sörmliches kvetterleuchten
zog darüber.
„wcm gelten diese Stroxhen?" ries sie. „Jst es möglich,
Du besingst eine andre? Du betrügst inich?"
(Lorlsetzung 5eite 60.)
Diagnose.
Tierarzt: „lvissen Sie, was der Auh sehlt, lsiiberbauer, „„h warum sie den Ropf
hängen läßt? . . . Die schämt stch nur, weil Sie mir meine letzte Rechnung noch nicht
bezahlt haben!"
59
Zes Liedes (Lnde.
Skizze von Anilll Burg.
lexis tfertcr saß an seinem Schreibtisch und räumte auf.
Das sah ja wieder 'mal kunterbunt ausl Die Schub-
laden sperrten und ließen stch nur mit Gewalt öffnen,
so vollgepfropst waren fle mit Zeitungen, Büchern, Manu-
skripten und Briefen. Und auf der schön gestickten, großen
Schreibmappe lag alles wild durcheinander, Billets von Ver-
lcgcrn, goldgeränderte Linladungskarten, Rechnungen — alles,
was die post einem so nach und nach ins lsaus
Alexis inachte sich mit einem wahren Todesmut an das
Geschäft des Aufräumens. Der umfangreiche Papierkorb füllte
sich raxid. Line Schublade nach der andern wurde ihres Inhaltes
entleert und dieser Inhalt mit nervösen Fingern und flüchtigen
Blicken durchgeslöbert.
Gottlob, nun gab es Lust. Nun wurde wieder alles, was
des Aufhebens wert schien, sorgsältig sortiert und in die ver-
schiedenen Fächer geordnet.
Dann machte Alexis die Türe auf und rief hinaus:
„Alina — holen Sie den Papierkorbl"
Lhe der dienstbare Geist seinem Rufe solgte, glitt der Blick
des Schriftstellers noch einmal prüfend über das nüt zerknüllter
Ukakulatur zum Bersten gefüllte Ungetüm. Vbenauf lag ein ver-
gilbtes Briesblatt. Das nahm er zusällig noch einmal in die bsand.
Ls war beschrieben mit gleichmäßigen, hie und da durch
eine Rorrektur unterbröchenen Zeilen — verse, die er selbst,
Alexis, vor Iahren einmal gedichtet hatte.
Lr setzte stch auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und las
die Strophen durch.
Dann ließ er die Lsand mit dem Paxier sinken, lehnte den
Roxf an die Stuhllehne und schloß die Augen.
Lr merkte nicht, daß die Magd den Rorb holte und die
Türe geräuschvoll wieder schloß.
Seine Gedanken hatten stch xlötzlich aufgemacht und waren
ihm entflohen — weit — weit!
Lr sah wieder das Mädchen vor sich, das seine erste Liebe
gewesen; ein braunes Landkind mit dunkeln, seetiefen Augen, mit
schwarzen Zöpfen und bloßcn Füßen.
Lr sah wieder das weithin
sich dchnende Lseideland, über das
er niit diesem Alädchen an der
bsand gewandert war.
Lr fühlte wicder die schwellende
Seligkeit, die damals seine junge
Brust erfüllt und die stch ergossen
hatte in die Verse, die da auf ver
gilbtem Papier so seltsam sremd
ihn anstarrten.
Damals war er ein Unbckannter
gewesen, voll leidenschaftlichen Lm-
pstndens, und dic verse waren ihm
aus seurigem Lserzen gefloffen.
kseute gehörte er zu den bekannten
„Literaten", schricb geistreiche
Lssays, schön stilisierte Feuilletons,
sxanncndc Romane — abcr keine
verse mchr.
Dort, wo seine Gcdanken
weilten, lag glutvolle Sonnc aus
poestedurchflutetcr Linsamkeit, —
da, wo sein Rörper saß, umhüllten
ihn dic Schattcn der prosa, der
Frost lügenhastcr Alltäglichkeit.
Und cr ließ seinc Gcdanken
weilen auf dem Liland der Iugend, bis sein müdes blasiertes
Gesicht von einem hellen Aindcrlächeln beleuchtet wurde.
Lr schrak zusammen, als die Türe aufgerissen wurde und
eine farbenschillernde Gestalt wie ein Mirbelwind auf ihn zuflog.
Unter einem mit Rosen bedeckten ksut von ungeheuren
Dimensionen sprühten ihm aus xikantem, gepudertem Gesicht
zwei unruhige Augen entgegen. Ringgeschmückte ksändchen
faßten nach den seinen und ein Schwall von süßem parfüm
strömte ihm entgegen.
„Grüß Gott, Alexis. Mar ich lange sort? ksast Du schon
Ulittag gegessen? Nein? Desto besser, dann essen wir zu-
sanimen. Ich war mit Mathilde bei Gerson. Sie hat sich ein
Rleid gekauft — suxerb — sag' ich Dir; ein Gedicht von einem
Aleid! Linfach reizendl Aber es steht ihr nicht, — fie ist zu
gelb. Aproxos, Du — in der Friedrichstraße hab' ich einen
Lsut gesehen — wie gemacht für mich. Ganz einfach — ohne
allen Schmuck — nur mit Phantasteband garniert; — süß, sag'
ich Dir. Und so billigl Nur zwanzig Ulark. Den muß ich
haben. Nicht wahr, Schägchen, den kaufst Du mir?"
Sie ließ sich schmeichelnd aus sein Rnie nieder und um-
schlang ihn. Lr sah ihr wie geistesabwesend in das leben-
zuckende Gesicht.
„Schon wieder einen ksut," meinte er gedehnt, „das geht
nicht, Aind. Ich habe dafür kein Geld!"
Sie schnellte empor und rief schmollend:
„Niemals hast Du Geld, wenn es gilt, niir eine Freude
zu machen. Ich muß aber den lsut habcn — ich muß. Ich
habe schon niit Ukathilde darüber gesprochen."
Sie stampfte mit dem Fuß.
Plötzlich fiel ihr Blick auf das zu Boden geglittene Briefblatt.
„!vas ist das? Lin Gedicht? — von Dir?"
Lhe er es hindern konnte, hatte sie es ausgehoben und las es.
Ihr Gesicht verfinsterte sich. Lin sörmliches kvetterleuchten
zog darüber.
„wcm gelten diese Stroxhen?" ries sie. „Jst es möglich,
Du besingst eine andre? Du betrügst inich?"
(Lorlsetzung 5eite 60.)
Diagnose.
Tierarzt: „lvissen Sie, was der Auh sehlt, lsiiberbauer, „„h warum sie den Ropf
hängen läßt? . . . Die schämt stch nur, weil Sie mir meine letzte Rechnung noch nicht
bezahlt haben!"
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Meggendorfer Blätter
Titel
Titel/Objekt
Diagnose
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Meggendorfer-Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
B 2529-158-1 Folio
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Bildunterschrift: Tierarzt: "Wissen Sie, was der Kuh fehlt, Huberbauer, und warum sie den Kopf hängen läßt? ... Die schämt sich nur, weil Sie mir meine letzte Rechnung noch nicht bezahlt haben!"
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsdatum
um 1905
Entstehungsdatum (normiert)
1900 - 1910
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Aufbewahrungsort (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Meggendorfer-Blätter, 62.1905, Nr. 762, S. 59
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg