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Die alte Heidemünle

Spinnwebfeine Nebelstreiken schweben
Langsam über Moor und Heideland,
Ziehen um die Birken und umweben
Schleierzart die Mühle; finster heben
Ihre Flügel sich vom Himmelsrand.

Koki [2]
Stäbe hinab-, die ſeidenen Vorhänge hinaufgeklettert, hat
ſici aufs Fenſ»terbrett geſezgt und iſt mitten aus einem
funkelndem Sonnenſtrahl ins Freie geflogen. [@]
Im Fluge hat er erſt empfunden, daß er jahrelang in der
Gefangenſchaft gelebt hat, daß die Freiheit viel mehr iſt als
jeglihes Wohlleben, daß alle Zärtlichkeiten ſeiner kleinen
Herrin nichts »ſind im Vergleich zur Wärme der Sonne, und
daß der Duft der Natur erſt jenen ſüßen Rauſch gewährt,
der alle Lebensgeiſter in intenſiver Daſeinsluft ſprühen läßt.
D S6Gleichzeitig hat Koki wohl auch banges Herzklopfen
gefühlt ~ denn er ilt des Fliegens unkundig und an die
weiche Stubenluft gewöhnt. [2]
Jett ſißt er wohlgemut, wenngleich etwas ermattet, auf
einer mächtigen Buche und zerknabbert die Rinde eines
Aſtes. Er kreiſcht im Hochgefühl der goldenen Selbſtändigkeit
ein Lied und nickt mit dem Kopf den Takt dazu. [2]
Bald kehren die Bewohner der Buche von der Arbeit im
Feld und auf der Wieſe heim. Erſt erſchrecken ſie über den
Eindringling. Dann ſtaunen ſie ihn ſprachlos an.

Beſonders die Vogelfrauen gucken immer wieder nach inm,
ſtoßen einander, flüſtern aufgeregt und berechnen im ſtillen,



Wie erloschne Greisenaugen starren
Durch den Schleier, der vorüberschweikt,
Blinde Fenster unter morschen Sparren.
Die zerbrochnen Mühlenflügel knarren
Aechzend, wenn der Wind sie leise streift.

Thusnelda Woltfk-Kettner.

was Kokis prachtvolles grünſeidenes Wams und die grau-
ſamtene Weſte wohl ko»ſten mögen. - J]Ia, wer ſo was haben
könnte! Sie ſeufzen und ſind ein wenig verdrießlich. [©)
Die Elſter, die inre Jungen im leßten Buchenaſt untergebracht
hat, entſchließt ſich vermöge ihrer geſellſchaftlichen Sicherheit
zuerſlt, den Fremden anzuſ»òprechen. [©]
Sie tänzelt vor, ſhlägt mit dem Schwanz und ſagt von ungefähr :
„Heiß ilts heute . . . wie?: [©]
„Heiß!“ wiederholt Koki und lächelt. Das Wort überbrückt
die Jahre der Gefangenſchaft und läßt ihm ſeine afrikaniſche
Heimat erſtehnen. „Da ſollten Sie ſich mal in meinem Vater-
land umlſehen, verehrtes Fräulein. Dort iſt's heiß!“ [D
„So . . .!“ meint die Elſter und ſucht nach einem geiſtreichen
Wort ~ denn »ſie merkt, daß der Herr im grünen Roc
beileibe kein Grünling iſt. [2)
„Wenn ich nicht Unglück gehabt hätte, »ſäße ich jezt nicht
hier,“ fährt Koki fort, ſondern auf einem Gummi-, Brot-,
Dattel- oder Orangenbaum, und alle »ſüßen Früchte Afrikas
ſtänden mir zur Verfügung. Allerdings . . . in dieſem Falle
hätte ich Sie, mein ſchönes Fräulein, nicht kennen gelernt
und ich wäre um vieles ärmer durch das Leben gegangen,
das jezt von der Anmut Ihres Weſens beſtrahlt iſt.“ [2]




 
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