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Zeitschrift sür Humor und Knnst

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Das Schicksal des Erafen Bockenfeld
Denn die Redakteure — diese Sorte Menschen
sind eben leichtsinnige Naturen - - Pflegen mei-
stens zu schreiben: „Wir bedauern sehr usw.
usw. Vielleicht erfreuen Sie uns bei Gelegen-
heit mit einer neuen Einsendung." — Willi-
bald hielt es sür praktisch, eine solche Gelegenheit
immer möglichst umgehend eintreten zu lassen.

Die zwanzig Novellen gingen unendlich
ost auf Neiseu, aber immer erfüllte sich bei
allen der Wunsch, den man einem Wanderer
auf die Reise mitzugeben pflegt, daß er glück-
lich wieder heimkehren möge. Allmählich aber
nahmen die Manuskripte so viele Fremd-
körper an, daß sie für die Briespost zu schwer
wurden. „Ich verzichte auf den Abdruck in
Iournalen," erklärte Willibald nunmehr. „Ich
mache ein Buch aus den Novellen. Das ist
mir überhanpt viel sympathischer. Ein Iournal
ist für den ssüchtigen Augenblick geboren, ein
Buch aber für die Ewigkeit. Den Qualitäten
meiner Novellen entspricht es also viel besser,
daß sie gesammelt in einem Buch vor das
Publikum treten. Ich werde jetzt gründliche
Aeberlegungen anstellen, sür welchen Verleger
ich mich entscheiden soll. Denn das ist natür-
lich ein sehr wichtiger Punkt." —

Ei» Iahr verging. Es schien schließlich,
als ob es weniger darauf ankam, daß Willi-
bald sich für einen Verleger, als daß ein Ver-
leger sich für Willibald entschied. Der Novel-
list sagte jeht: „Ich suche einen Verleger."

Es sand sich aber keiner. Ein paar freilich
waren bereit, sich finden zu lassen, - - gegen
entsprechenden Finderlohn, den sie als „Ersatz
der Druckkosten" bezeichneten. Dazu aber wollte
Willibald sich nicht verstehen. Er hatte sich
Visitenkarten machen lassen mit dem Titel
„Schriftsteller"; hierbei hatte er Druck und
Papier bezahlt, und das schien ihm genug der
Kosten für seine Zugehörigkeit zur Literatur.

Als er vom hundertsten Verleger sein Post-
paket Novellen zurückerhalten hatte, erzählte
mir Willibald: „Für Novellen sind die Leute
nun einmal nicht zu haben. Einer hat mir
geschrieben: Solche kleinen Sachen verlege
ich nicht. Der Durchschnittsleser steigt nicht
gern um! Ganz fein gesagt, nicht wahr?

Vielleicht hat der Mann recht. Gut, ich werde
ihm den Gefallen tun. Ich mache aus meinen
zwanzig Novellen ein einziges Werk."

„Ia, Menschenskind, wie willst du das
machen?" fragte ich.

„Sehr einfach: durch einen Verschmelzungsprozeß. O,
es wird eine vorzügliche Arbeit werden. Wenn sie fertig
ist, komme ich und lese dir das ganze Buch vor." -

Der Verschmelzungsprozeß nahm einen Monat in An-
spruch. Dann erschien — es war am ersten April vor
zwei Iahren — Willibald mit einem Stoß Papier bei
mir. „Lier ist mein Werk. Es führt den Titel: Das
Schicksal des Grafen Bockenseld. — Bereite dich auf eiuen
ganz außerordentlichen Genuß vor."

Er siedelte sich in einem Sessel an, nahm eine Zigarre,
räusperte sich und begann:

„Das Schicksal des Grafen Bockenfeld.

Betäubender Zigarettendunst ersüllte das elegante
Spielzimmer. Die altertümliche Ahr an der mit echtem
Mahagoniholz getäfelten Wand zeigte bereits die doitte
Morgenstunde -

„Erlaube mal," unterbrach ich Willibald, „wie zeigt
die Ahr denn an, daß es morgens ist und nicht etwa nach-
mittags?"

Willibald war empvrt. „Laß diese Albernheiten! Wenn
du noch ein einziges Wort dazwischen redest, lese ich keine
Silbe mehr, — dann mußt du dir nachher das Buch kausen."
 
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