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Meggsndorfer-Blätter, München
Der wilde Jäger
Der Brillantring
Funk L Stiefenberg — das war die renommierteste
Firma der Stadt. Zigarrenfabrik. Funk war schon lange
ausgeschieden, und Stiefenberg war tot. Seine Witwe
hatte die Fabrik. Komisch, nicht wahr? Eine Frau, sollte
man meinen, versteht sich doch nicht auf Zigarren. Freilich,
die Fabrik stellte Zigarren her, die auch von einem männ-
lichen Besitzer des Unternehmens schwerlick geraucht worden
wären. Sechs Psennige, glaube ich, kostete die teuerste Sorte.
Aber es war ein blühendes
Geschäft. Die Menge brachte
es. Auf der Eisenbahn bringt
die dritte Klasse am meisten
ein, und so wird es wohl auch
bei den Zigarren sein.
Melanie Stiefenberg war
eine tüchtige Frau, eine emi-
nent tüchtige Frau. Dabei
hatte sie aber auch ein hohes
Interesse für die Kunst, be-
sonders die dramatische. Ie-
den Abend fast war sie im
Theater. Und die ersten Kräfte
jener Bühne gingen in ihrem
Lause ein und aus.
Auch ich. Selbstverständ-
lich, - - war ich doch überhaupt
der Liebling der ganzen Stadt.
Melanie Stiefenberg war da-
mals wohl schon an die Vier-
zig heran. Ich zählte dreißig
Iahre, mein Lerr. Das ist ein
bedenklicher Altersunterschied zwi-
schen Eheleuten, — wenigstens
nach der landläufigen Anschau-
ung. Aber Melanie war immer
noch von einem gewiffen jugend
lichen Reiz umstrahlt; o, sie war
schön und stattlich, und selbst ein
jüngerer Mann brauchte nicht
zu fürchten, lächerlich zu erschei-
nen, wenn seine Wahl auf sie fiel.
Oder vielleicht richtiger gesagt:
ihre Wahl auf ihn. Denn um es
gleich zu sagen: meine Loffnungen
bewegten sich in dieser Richtung.
stnd es waren auch wirklich keine
so überspannten Loffnungen. Be-
sonders, wenn ich das starke In-
teresse in Betracht zog, das Fra»
Stiefenberg dem Künstler in mir
entgegenbrachte. Natürlich hätte
ich der Bühne entsagen und auf
die mir dort winkenden glänzenden
Aussichten verzichten müssen. Ge-
wiß, ich hatte glänzende Aussich-
ten. Ieder junge Mime hat
glänzende Aussichten. Ueberhaupt,
wer glaubt es nicht, Aussichten
zu haben! Ieder Mensch hat sie.
Selbst der Bucklige glaubt, daß
er noch einmal wie ein schlanker,
kerzengerader Iüngling einher
stolzieren wird. Das macht einen
großen Teil des menschlichen
Glückes aus.
Aber ganz offen gestanden, ich hätte meine glänzenden
Aussichten gern aufgegeben, ganz gewaltig gern. Mit un-
geheurem Vergnügen hätte ich Teil genommen an den reichen
Erträgnissen der Zigarrenfabrik von Funk L Stiefenberg.
Ich hätte mich sogar mit Eiser auf den Kontorsessel gesetzt.
Ich hätte auch mit den Geheimnissen der Fabrikation mich
vertraut gemacht. Ich hätte sogar die Zigarren der Firma
geraucht. Uebrigens in bezug ans Tabak war ich gar nicht
so verwöhnt, — wenigstens, wenn ich nicht irgendwo ein-
geladen war.
Melanie lächelte mich
freundlich an, wenn wir uns
sahen. Ihr Ländedruck wurde
allmählich immer liebenswür-
diger und verheißungsvoller.
Ich durfte sie zum Tee be-
suchen, und wir waren allein,
und dann mußte ich ihr vor-
lesen. Die heißesten Liebes-
erklärungen, die dramatische
Dichter je ersannen, habe ich
ihr vorgelesen, als wenn sie
an sie gerichtet gewesen wären.
Allen Wohllaut meines präch-
tigen Organs entfaltete ich da-
bei. Ia, ich hatte Organ, mein
Lerr! Damals legte man noch
Wert darauf. Ietzt ist das
anders geworden. Wer heute
spricht, als käme es aus einem
zerbrochenen Blechkeffel her-
„Drachenhorst^ aus, kann doch ein gefeierter
Meggsndorfer-Blätter, München
Der wilde Jäger
Der Brillantring
Funk L Stiefenberg — das war die renommierteste
Firma der Stadt. Zigarrenfabrik. Funk war schon lange
ausgeschieden, und Stiefenberg war tot. Seine Witwe
hatte die Fabrik. Komisch, nicht wahr? Eine Frau, sollte
man meinen, versteht sich doch nicht auf Zigarren. Freilich,
die Fabrik stellte Zigarren her, die auch von einem männ-
lichen Besitzer des Unternehmens schwerlick geraucht worden
wären. Sechs Psennige, glaube ich, kostete die teuerste Sorte.
Aber es war ein blühendes
Geschäft. Die Menge brachte
es. Auf der Eisenbahn bringt
die dritte Klasse am meisten
ein, und so wird es wohl auch
bei den Zigarren sein.
Melanie Stiefenberg war
eine tüchtige Frau, eine emi-
nent tüchtige Frau. Dabei
hatte sie aber auch ein hohes
Interesse für die Kunst, be-
sonders die dramatische. Ie-
den Abend fast war sie im
Theater. Und die ersten Kräfte
jener Bühne gingen in ihrem
Lause ein und aus.
Auch ich. Selbstverständ-
lich, - - war ich doch überhaupt
der Liebling der ganzen Stadt.
Melanie Stiefenberg war da-
mals wohl schon an die Vier-
zig heran. Ich zählte dreißig
Iahre, mein Lerr. Das ist ein
bedenklicher Altersunterschied zwi-
schen Eheleuten, — wenigstens
nach der landläufigen Anschau-
ung. Aber Melanie war immer
noch von einem gewiffen jugend
lichen Reiz umstrahlt; o, sie war
schön und stattlich, und selbst ein
jüngerer Mann brauchte nicht
zu fürchten, lächerlich zu erschei-
nen, wenn seine Wahl auf sie fiel.
Oder vielleicht richtiger gesagt:
ihre Wahl auf ihn. Denn um es
gleich zu sagen: meine Loffnungen
bewegten sich in dieser Richtung.
stnd es waren auch wirklich keine
so überspannten Loffnungen. Be-
sonders, wenn ich das starke In-
teresse in Betracht zog, das Fra»
Stiefenberg dem Künstler in mir
entgegenbrachte. Natürlich hätte
ich der Bühne entsagen und auf
die mir dort winkenden glänzenden
Aussichten verzichten müssen. Ge-
wiß, ich hatte glänzende Aussich-
ten. Ieder junge Mime hat
glänzende Aussichten. Ueberhaupt,
wer glaubt es nicht, Aussichten
zu haben! Ieder Mensch hat sie.
Selbst der Bucklige glaubt, daß
er noch einmal wie ein schlanker,
kerzengerader Iüngling einher
stolzieren wird. Das macht einen
großen Teil des menschlichen
Glückes aus.
Aber ganz offen gestanden, ich hätte meine glänzenden
Aussichten gern aufgegeben, ganz gewaltig gern. Mit un-
geheurem Vergnügen hätte ich Teil genommen an den reichen
Erträgnissen der Zigarrenfabrik von Funk L Stiefenberg.
Ich hätte mich sogar mit Eiser auf den Kontorsessel gesetzt.
Ich hätte auch mit den Geheimnissen der Fabrikation mich
vertraut gemacht. Ich hätte sogar die Zigarren der Firma
geraucht. Uebrigens in bezug ans Tabak war ich gar nicht
so verwöhnt, — wenigstens, wenn ich nicht irgendwo ein-
geladen war.
Melanie lächelte mich
freundlich an, wenn wir uns
sahen. Ihr Ländedruck wurde
allmählich immer liebenswür-
diger und verheißungsvoller.
Ich durfte sie zum Tee be-
suchen, und wir waren allein,
und dann mußte ich ihr vor-
lesen. Die heißesten Liebes-
erklärungen, die dramatische
Dichter je ersannen, habe ich
ihr vorgelesen, als wenn sie
an sie gerichtet gewesen wären.
Allen Wohllaut meines präch-
tigen Organs entfaltete ich da-
bei. Ia, ich hatte Organ, mein
Lerr! Damals legte man noch
Wert darauf. Ietzt ist das
anders geworden. Wer heute
spricht, als käme es aus einem
zerbrochenen Blechkeffel her-
„Drachenhorst^ aus, kann doch ein gefeierter