19V
Meggendorfer-Blätter, München
Rr. 1236
Aissaua
Am sieben Uhr abends sammelte man sich im Foyer
des Lotels. Ein primitives Podium war aufgeschlagen
worden, und dieses erklomm ein Dutzend brauner Gestalten,
die schon eine halbe Stunde vor dem Lotel umhergelungert
hatten. Frau Kunkel war enttäuscht. „Aber die sehen ja
nach gar nichts Besonderem aus," meinte sie. Onkel Saal-
mann aber, Profeffor Sählmän, belehrte sie, die Leute
wären ja auch ganz gewöhnliche solide Landwerker und
Gewerbetreibende unten aus der Stadt, Schuster, Schneider,
Dattelhändler, — auch ein Barbier sollte darunter sein.
Der einzige Unterschied gegenüber der übrigen Menge der
Eingeborenen wäre an ihnen, daß sie zur kleinen Sekte der
Aissaua zählten. Das wäre ja gerade das Wunderbare,
daß es sich nicht um professionelle Fresser ungenießbarer
Dinge handelte, sondern um Amateure.
Neun der Lerren aus dem Podium hockten sich im
Lalbkreise nieder; in die Mitte setzten sich die übrigen drei,
von denen zwei ein mattes Trommelkonzert begannen,
während der dritte ein kleines Feuer in einem irdenen
Topfe schürte. Rauchwolken von stinkendem Aroma stiegen
auf. „O Gott, ich werde Kopfschmerzen bekommen", klagte
Fräulein Camilla Kunkel. Lerr Rathke erbot sich, Kölnisch
Waffer herbeizuschaffen, wurde aber kurz abgewiesen, —
man ließ ihn noch immer Angnade fühlen. Das Trommeln
schwoll an und wurde dann wieder schwächer, in regel-
mäßigen Intervallen; der Rauch, von beinahe zäh-klebriger
Beschaffenheit, ballte sich zu scheußlichen Klumpen. Die
neun Männer im Lalbkreis schlenkerten die Köpfe im Takt
zu einem Singegeräusch, das ungefähr aus jenen Lauten
zusammengesetzt war, die der gebildete Europäer gern aus-
stoßen möchte, wenn er bei einer Kneippbehandlung in ein
naffes Laken eingewickelt wird. Lerr Kunkel gähnte ein
paarmal herzhaft; er schien am Einschlafen zu sein. Er-
schreckt fuhr er zusammen, als plötzlich der Gesang der neun
Männer in ein boshaftes, gefährlich klingendes Gebrüll
überging, worauf sie sämtlich wie Automaten sich erhoben
und dem Mittelpunkt des Kreises zuwankten, bis ihre ge-
senkten Köpfe zusammenstießen, gerade über dem Topf mit
dem Räucherwerk, das seinen schwarzen Qualm in ihre
weit geösfneten Schlunde schickte. Das Brüllen wurde noch
tückifcher, bedenklich drohend. Dann, mit einem Male,
schnappte es ab; die neun Männer taumelten zurück, richteten
die Köpfe auf und stierten aus glasig weißen Augen auf
einen Korb, der von irgendwoher Plötzlich auf das Podium
geschoben worden war. Der Mann, der bisher den Topf
mit dem Feuer behütet hatte, holte Kaktusblätter aus dem
Korb. Ein Paar warf er unter die Zuschauer, — große,
hartholzige Blätter mit gewaltigen Stacheln daran, Stacheln,
mit denen sich Selbstmord verüben ließe. An zwanzig
Pfund mochte der Korb enthalten. Mit gierigen Länden
griffen die neun zu; krachend bissen ihre Zähne zu, ihr
Schmatzen übertönte den Lärm der beiden Trommeln; neun
Adamsäpfel sah man unter heftigen Schluckbewegungen
erzittern. Der Korb wurde geleert wie ein Korb mit Radi
in einem Münchener Bräu. Dann kam das Dessert: alte,
schwarzberußte Lampenzylinder. Sie verschwanden hinter
schnappenden Kiefern. „Zucker!" sagte Lerr Grünvogel aus
Friesoythe. Da schraubte der Oberkellner, der neben ihm
an der Wand stand, die nächste Glühlampe aus und hielt
sie auf das Podium hinauf: zwischen zwei Kerlen entspann
sich ein Kampf darum, — der Sieger steckte sie zu drei
Vierteln in den Mund und zermalmte sie mit einem Viß.
„Das ist ja scheußlich!" stöhnte Frau Kunkel. Fräulein
Camilla war kreideweiß geworden. Max Nathke erbot sich
noch einmal vergeblich, Kölnisch Wasser herbei zu schaffen.
Man drehte ihm den Nücken, als wollte man ihm zeigen.
Es kanu der Beste nicht im Frieden leben usw.
— „Trau dich nur, Peterl, wir helfen dir schon!"
— „Ia, da hört sich doch alles auf!"
Meggendorfer-Blätter, München
Rr. 1236
Aissaua
Am sieben Uhr abends sammelte man sich im Foyer
des Lotels. Ein primitives Podium war aufgeschlagen
worden, und dieses erklomm ein Dutzend brauner Gestalten,
die schon eine halbe Stunde vor dem Lotel umhergelungert
hatten. Frau Kunkel war enttäuscht. „Aber die sehen ja
nach gar nichts Besonderem aus," meinte sie. Onkel Saal-
mann aber, Profeffor Sählmän, belehrte sie, die Leute
wären ja auch ganz gewöhnliche solide Landwerker und
Gewerbetreibende unten aus der Stadt, Schuster, Schneider,
Dattelhändler, — auch ein Barbier sollte darunter sein.
Der einzige Unterschied gegenüber der übrigen Menge der
Eingeborenen wäre an ihnen, daß sie zur kleinen Sekte der
Aissaua zählten. Das wäre ja gerade das Wunderbare,
daß es sich nicht um professionelle Fresser ungenießbarer
Dinge handelte, sondern um Amateure.
Neun der Lerren aus dem Podium hockten sich im
Lalbkreise nieder; in die Mitte setzten sich die übrigen drei,
von denen zwei ein mattes Trommelkonzert begannen,
während der dritte ein kleines Feuer in einem irdenen
Topfe schürte. Rauchwolken von stinkendem Aroma stiegen
auf. „O Gott, ich werde Kopfschmerzen bekommen", klagte
Fräulein Camilla Kunkel. Lerr Rathke erbot sich, Kölnisch
Waffer herbeizuschaffen, wurde aber kurz abgewiesen, —
man ließ ihn noch immer Angnade fühlen. Das Trommeln
schwoll an und wurde dann wieder schwächer, in regel-
mäßigen Intervallen; der Rauch, von beinahe zäh-klebriger
Beschaffenheit, ballte sich zu scheußlichen Klumpen. Die
neun Männer im Lalbkreis schlenkerten die Köpfe im Takt
zu einem Singegeräusch, das ungefähr aus jenen Lauten
zusammengesetzt war, die der gebildete Europäer gern aus-
stoßen möchte, wenn er bei einer Kneippbehandlung in ein
naffes Laken eingewickelt wird. Lerr Kunkel gähnte ein
paarmal herzhaft; er schien am Einschlafen zu sein. Er-
schreckt fuhr er zusammen, als plötzlich der Gesang der neun
Männer in ein boshaftes, gefährlich klingendes Gebrüll
überging, worauf sie sämtlich wie Automaten sich erhoben
und dem Mittelpunkt des Kreises zuwankten, bis ihre ge-
senkten Köpfe zusammenstießen, gerade über dem Topf mit
dem Räucherwerk, das seinen schwarzen Qualm in ihre
weit geösfneten Schlunde schickte. Das Brüllen wurde noch
tückifcher, bedenklich drohend. Dann, mit einem Male,
schnappte es ab; die neun Männer taumelten zurück, richteten
die Köpfe auf und stierten aus glasig weißen Augen auf
einen Korb, der von irgendwoher Plötzlich auf das Podium
geschoben worden war. Der Mann, der bisher den Topf
mit dem Feuer behütet hatte, holte Kaktusblätter aus dem
Korb. Ein Paar warf er unter die Zuschauer, — große,
hartholzige Blätter mit gewaltigen Stacheln daran, Stacheln,
mit denen sich Selbstmord verüben ließe. An zwanzig
Pfund mochte der Korb enthalten. Mit gierigen Länden
griffen die neun zu; krachend bissen ihre Zähne zu, ihr
Schmatzen übertönte den Lärm der beiden Trommeln; neun
Adamsäpfel sah man unter heftigen Schluckbewegungen
erzittern. Der Korb wurde geleert wie ein Korb mit Radi
in einem Münchener Bräu. Dann kam das Dessert: alte,
schwarzberußte Lampenzylinder. Sie verschwanden hinter
schnappenden Kiefern. „Zucker!" sagte Lerr Grünvogel aus
Friesoythe. Da schraubte der Oberkellner, der neben ihm
an der Wand stand, die nächste Glühlampe aus und hielt
sie auf das Podium hinauf: zwischen zwei Kerlen entspann
sich ein Kampf darum, — der Sieger steckte sie zu drei
Vierteln in den Mund und zermalmte sie mit einem Viß.
„Das ist ja scheußlich!" stöhnte Frau Kunkel. Fräulein
Camilla war kreideweiß geworden. Max Nathke erbot sich
noch einmal vergeblich, Kölnisch Wasser herbei zu schaffen.
Man drehte ihm den Nücken, als wollte man ihm zeigen.
Es kanu der Beste nicht im Frieden leben usw.
— „Trau dich nur, Peterl, wir helfen dir schon!"
— „Ia, da hört sich doch alles auf!"