Nr. 1236
Zeitschrift für Humor und Kunst
19l
Es kanu der Beste nicht im Frieden lebcn usw.
Mffaua
datz man ihn, den Sammler scheußlichen Getiers, nicht viel
höher einschätzte als die Fresser übler Dinge da oben auf
dem Podium. Diese erhoben jetzt ein Triumphgeheul beim
Anblick einer kleinen Mesfingbüchse, die, aus irgend einem
Burnus geholt, auf einmal neben dem Räuchertops stand.
Der Oberkellner, wohl mit dem Programm vertraut, hielt
eine Art Kornsieb bereit, in das einer der braunen Kerle
ein flinkes Lebewesen aus der Büchse warf. Der Ober-
kellner zeigte das Sieb herum. „Bitte, meine Lerrschaften,
ein Skorpion — ein echter Skorpionl" Das Tier lief wild auf
dem Drahtgeflecht des Siebes umher. Onkel Saalmann über-
zeugte sich, daß es auch wirklich einen tüchtigen Stachel hatte.
Camilla Kunkel hatte ein grünliches Gesicht bekommen,
— so etwa, wie viele Menschen auf Schiffen es haben, kurz
ehe die Seekrankheit bei ihnen ausbricht. „Ich sehe nicht
hin!" sagte sie leise vor sich. Aber sie konnte nicht anders,
— sie mußte doch hinschauen, mit weit aufgerissenen Augen
hinschauen, wie der Skorpion jetzt gefressen wurde, mit Lust-
gcheul gefressen wurde von einem der Kerle, der dazu noch
schnell ein paar Züge des stinkenden Nauches genommen
hatte.-
Eine halbe Stunde später begann die Abendtafel. Es
wurde im allgemeinen mit wenig Appetit ge-
speist. Camilla erschien erst beim Braten. Max
Rathke begrüßte sie demütig. Aber sie nahm
nicht neben ihm Platz; nein, Onkel Saalmann
kam dazwischen. Rathke sollte bestraft werden.
Frau Kunkel sah ihn streng an. „Sie haben
jetzt doch Ihr ekelhaftes Gewürm sortgeschafft?"
Aber da hatte Max Rathke auf einmal
nicht nur eine Falte auf der Stirn, sondern
gleich zwei. „Fällt mir nicht ein!" sagte er
rauh, und die Sehnsucht nach Besreiung klang
daraus, das Rasseln an Ketten, die er zu zer-
brechen wünschte.
Onkel Saalmann freute sich. „Er ißt sie
ja nicht!" sagte er.
Camilla kreischte. „Pfui, Onkel, wie kannst
du so was sagen I Des Viehzeug ist sowieso
fast mein Tod l"
Da leuchteten Lerrn Rathkes Augen.
„Insekten sind gar nicht so unappetitlich,"
sprach er, „nicht mehr als Austern oder Krebse
oder Schnepsendreck. Leuschrecken sollen sogar
sehr gut schmecken."
Onkel Saalmann rieb sich die Lände. „Na, ich möchte
aber doch mit Ihnen jede Wette-"
Rathke unterbrach ihn. „Wir brauchen gar nicht zu
wetten," sagte er. And dann holte er eine Zündholzschachtel
aus der Losentasche und einen Leuschreck daraus, einen
saftig grünen Leuschreck. „Passen Sie auf, Lerr Saal-
mann!" Da hatte er ihn auch schon hinuntergeschlungen.
Camilla schrie auf, And dann entfloh sie, die Serviette
sich vor den Mund pressend. Max Nathke lächelte höhnisch
und empfahl stch wortlos. —
Eine Viertelstunde später sah ich auf dem Korridor
den Kellner, wie er gerade an Lerrn Rathkes Zimmertür
klopfte; er trug eine Flasche Sekt. And um zehn Ahr abends,
ganz zufällig, traf ich den Kellner noch einmal. Da trug
er drei leere Sektflaschen aus Rathkes Zimmer heraus. —
Am nächsten Tage waren Kunkels abgereist, mit dem
Morgenzug nach Constantine. In dem Kasten für die Post-
sachen aber lag ein Brief an Lerrn Max Nathke, sichtbar
zur allgemeinen Ansicht aufgebaut. Durch den Amschlag
sah man etwas Rundes hindurch schimmern. Das konnte
nur ein Ning sein. —
Am zwölf Ahr erst tauchte Lerr Rathke auf, gewöhn-
lichen Ganges und mit sehr bleichem Antlitz. Aber ein
freudiges Lächeln ging darüber, als er den Brief aus dem
Kasten nahm. Jch begrüßte ihn. „Fühlen Sie sich nicht
wohl, Lerr Rathke?"
Er hielt sich den Kopf. „War das eine Nacht, — na,
ich kann Ihnen sagen! Erst die furchtbare Qual, bis ich
den Leuschreck wieder heraus hatte, und alles andere natür-
lich auch. And dann hab' ich Sekt getrunken, immerzu
Sekt, bis ich wie ein Toter ins Bett gefallen bin. Aber
jetzt muß ich mal auf die Post gehen, — nach Apolda zu
telegraphieren. Wissen Sie: ich muß mich da entschuldigen;
ich hab' so lange nichts von mir hören lassen."
Vermutung
— „Lerrschaft saxendi, wie mich die Fliege sekkiert.
muß rein aus so an feindlichen Land zugereist sein."
Die
Motivierung
— „Sie sind neuerdings so wortkarg, Lerr Meier?"
— „Bei den schlechten Zeiten muß man in allem sparen."
Zeitschrift für Humor und Kunst
19l
Es kanu der Beste nicht im Frieden lebcn usw.
Mffaua
datz man ihn, den Sammler scheußlichen Getiers, nicht viel
höher einschätzte als die Fresser übler Dinge da oben auf
dem Podium. Diese erhoben jetzt ein Triumphgeheul beim
Anblick einer kleinen Mesfingbüchse, die, aus irgend einem
Burnus geholt, auf einmal neben dem Räuchertops stand.
Der Oberkellner, wohl mit dem Programm vertraut, hielt
eine Art Kornsieb bereit, in das einer der braunen Kerle
ein flinkes Lebewesen aus der Büchse warf. Der Ober-
kellner zeigte das Sieb herum. „Bitte, meine Lerrschaften,
ein Skorpion — ein echter Skorpionl" Das Tier lief wild auf
dem Drahtgeflecht des Siebes umher. Onkel Saalmann über-
zeugte sich, daß es auch wirklich einen tüchtigen Stachel hatte.
Camilla Kunkel hatte ein grünliches Gesicht bekommen,
— so etwa, wie viele Menschen auf Schiffen es haben, kurz
ehe die Seekrankheit bei ihnen ausbricht. „Ich sehe nicht
hin!" sagte sie leise vor sich. Aber sie konnte nicht anders,
— sie mußte doch hinschauen, mit weit aufgerissenen Augen
hinschauen, wie der Skorpion jetzt gefressen wurde, mit Lust-
gcheul gefressen wurde von einem der Kerle, der dazu noch
schnell ein paar Züge des stinkenden Nauches genommen
hatte.-
Eine halbe Stunde später begann die Abendtafel. Es
wurde im allgemeinen mit wenig Appetit ge-
speist. Camilla erschien erst beim Braten. Max
Rathke begrüßte sie demütig. Aber sie nahm
nicht neben ihm Platz; nein, Onkel Saalmann
kam dazwischen. Rathke sollte bestraft werden.
Frau Kunkel sah ihn streng an. „Sie haben
jetzt doch Ihr ekelhaftes Gewürm sortgeschafft?"
Aber da hatte Max Rathke auf einmal
nicht nur eine Falte auf der Stirn, sondern
gleich zwei. „Fällt mir nicht ein!" sagte er
rauh, und die Sehnsucht nach Besreiung klang
daraus, das Rasseln an Ketten, die er zu zer-
brechen wünschte.
Onkel Saalmann freute sich. „Er ißt sie
ja nicht!" sagte er.
Camilla kreischte. „Pfui, Onkel, wie kannst
du so was sagen I Des Viehzeug ist sowieso
fast mein Tod l"
Da leuchteten Lerrn Rathkes Augen.
„Insekten sind gar nicht so unappetitlich,"
sprach er, „nicht mehr als Austern oder Krebse
oder Schnepsendreck. Leuschrecken sollen sogar
sehr gut schmecken."
Onkel Saalmann rieb sich die Lände. „Na, ich möchte
aber doch mit Ihnen jede Wette-"
Rathke unterbrach ihn. „Wir brauchen gar nicht zu
wetten," sagte er. And dann holte er eine Zündholzschachtel
aus der Losentasche und einen Leuschreck daraus, einen
saftig grünen Leuschreck. „Passen Sie auf, Lerr Saal-
mann!" Da hatte er ihn auch schon hinuntergeschlungen.
Camilla schrie auf, And dann entfloh sie, die Serviette
sich vor den Mund pressend. Max Nathke lächelte höhnisch
und empfahl stch wortlos. —
Eine Viertelstunde später sah ich auf dem Korridor
den Kellner, wie er gerade an Lerrn Rathkes Zimmertür
klopfte; er trug eine Flasche Sekt. And um zehn Ahr abends,
ganz zufällig, traf ich den Kellner noch einmal. Da trug
er drei leere Sektflaschen aus Rathkes Zimmer heraus. —
Am nächsten Tage waren Kunkels abgereist, mit dem
Morgenzug nach Constantine. In dem Kasten für die Post-
sachen aber lag ein Brief an Lerrn Max Nathke, sichtbar
zur allgemeinen Ansicht aufgebaut. Durch den Amschlag
sah man etwas Rundes hindurch schimmern. Das konnte
nur ein Ning sein. —
Am zwölf Ahr erst tauchte Lerr Rathke auf, gewöhn-
lichen Ganges und mit sehr bleichem Antlitz. Aber ein
freudiges Lächeln ging darüber, als er den Brief aus dem
Kasten nahm. Jch begrüßte ihn. „Fühlen Sie sich nicht
wohl, Lerr Rathke?"
Er hielt sich den Kopf. „War das eine Nacht, — na,
ich kann Ihnen sagen! Erst die furchtbare Qual, bis ich
den Leuschreck wieder heraus hatte, und alles andere natür-
lich auch. And dann hab' ich Sekt getrunken, immerzu
Sekt, bis ich wie ein Toter ins Bett gefallen bin. Aber
jetzt muß ich mal auf die Post gehen, — nach Apolda zu
telegraphieren. Wissen Sie: ich muß mich da entschuldigen;
ich hab' so lange nichts von mir hören lassen."
Vermutung
— „Lerrschaft saxendi, wie mich die Fliege sekkiert.
muß rein aus so an feindlichen Land zugereist sein."
Die
Motivierung
— „Sie sind neuerdings so wortkarg, Lerr Meier?"
— „Bei den schlechten Zeiten muß man in allem sparen."