Zeitschrift für Huinor und Kunst
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ErsaH Onkel: „Ia Kinder, was habt ihr denn da
für ein merkwiirdiges Gefäß auf dem Tifche?"
— „Das ist unsere Goldfischglocke. DiePunsch-
bowle haben uns die Russen gestohlen."
DreizehnSchlägeumMitternacht VonPerer Robinson
Als Lerr Bürgermeister Rathmann am letzten Tage
des Iahres I84l fein zweites Schälchen Nachmittagskaffee
geleert hatte, zog er den goldenen Zeitmesser aus der Tafche:
gerade noch fünf Minuten bis vier Ahr. Er lehnte sich noch
einmal in den Sessel zurück und zog weiter an der füßen
Duft verbreitenden Pfeife. So. jetzt wollte er noch
warten, bis drüben vom Rathausturm her die Ahr
die volle Stunde kündete. Dann aber wollte er die
Pfeife in die Ecke ftellen und wieder über den Markt-
platz in fein Amtszimmer wandeln, um auch am lehten
Tage des Iahres unermüdlich für das Wohl der
Stadt Münsterwalde zu wirken, wie er es getreulich
das ganze Iahr hindurch getan hatte, vom ersten
Tage an. Oder nein: vom zweiten Tage an. Der
erste Tag ist ja ein Feiertag.
Der Lerr Bürgermeister saß also behaglich zu-
rückgelehnt und fah dem spielerisch durch das Zimmer
ziehenden Rauche zu. Die feltsamen Vögel aus der
bunten Tapete saßen wie in Wolken da. Ob es wohl
überhaupt folch merkwürdiges gefiedertes Mehzeug
gab? Nun, jedenfalls nicht hier in nordischen Landen.
Nein, in fernen, fernen Gegenden mit nvch vielem
anderem Wunderkram, aber ohne Ordnung und Dis-
ziplin, ohne Verwaltung und ohne Bürgermeister.
Da, auf einmal, gab es in der Pseife das bekannte
Gurgelgeräusch; noch ein paar Wolken ließ fie sich
entziehen, dann war sie aus, leergebrannt. Oho!
Der Lerr Bürgermeister fah seine Ahr an: schon fünf
Minuten nach vier. Und er hatte doch fo genau auf-
gepaßt; er hatte auf die Schläge der Rathausuhr
die ganze Zeit gewartet und die Ohren aufgesperrt.
Da follte doch gleich-—! Er machte, daß er
auf den Marktplatz kam. Die Ahr auf dem Rathaus-
turm ging, und ihre Zeiger stimmten mit denen seiner
Sackuhr überein. Also hatte die Rathausuhr ihre
Pflicht nicht getan oder wenigstens nur halb: fie hatte
ihre Leistung nicht laut der Welt verkündet. llnd das
foll eine Rathausuhr doch, so gut wie es auch viele
Menschen tun.
Bürgermeister Rathmann zog ein verdrießliches
Geficht und bog vom Marktplatz links ab in die kleine
Gasse, wo Uhrmacher Bracklow wohnte. Der alte
Bracklow war gerade dabei, seinem Star ein vergnügliches
Liedchen vorzupfeifen. Sein Geselle, Gottlieb Veenekamp,
saß bei der nötige» Arbeit; er hatte trübe Augen und machte
ein Eesicht, als hätte ihm das zu Ende gehende Iahr nur
Iammer und Trübsal gebracht. Der Äerr Bürgermeister
steckte nur den Kopf zur Tür hinein. „Ach, bitte, lieber
Meister, kommen Sie doch schnell einmal mit!" Der Ahr-
macher verließ seinen Schüler ungern. Aber das half nichts;
der Äerr Bürgermeister hatte die Macht. „Pfeif' weiter,
Gottlieb, — aber hübsch lustig!" sagte er noch schnell zu dem
blonden Gesellen. Der nickte gehorsam und stimmte dann
die Weise des Liedchens an: „Ei, was braucht man, um glück-
lich zu sein, das wird ja den Lals noch nich' kosten; wir
mieten uns in en Stübeken ein, da setzen wir en Paar
Stühleken 'rein". Aber es klang tief traurig, und als ob
das Glücklichsein doch sehr, sehr viel kostete.-
Bürgermeister Rathmann und Ahrmacher Bracklow
kletterten aus den Rathausturm. Viel Anstrengung kostete
das nicht, denn es war nur ein kleiner Turm. Die Mün-
sterwalder hatten sreilich schon immer den Wunsch ge-
habt, ihn etwas zu verlänger». Anno 1780 baten sie sogar
Seine Majestät den König um eine Beihilfe dazu. Aber
Seine Majestät ließ ihnen den Bescheid geben, er hätte sein
Geld für nützlichere Dinge nötig, und wenn der Turm auch
zehnmal höher wäre, deshalb würden die Münsterwalder
doch nicht gescheiter werden. Diese Antwort jagte den Mün-
sterwaldern einen solchen Schrecken ein, daß sie ihren Rat-
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In der Silvesternacht
Schutzmann: „Werden Sie denn nicht bald weiter gehen?"
— „Ich kann ja nicht, Lerr Wachtmeister ... ich bin mit'm
Ohrwaschl angefroren!"
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ErsaH Onkel: „Ia Kinder, was habt ihr denn da
für ein merkwiirdiges Gefäß auf dem Tifche?"
— „Das ist unsere Goldfischglocke. DiePunsch-
bowle haben uns die Russen gestohlen."
DreizehnSchlägeumMitternacht VonPerer Robinson
Als Lerr Bürgermeister Rathmann am letzten Tage
des Iahres I84l fein zweites Schälchen Nachmittagskaffee
geleert hatte, zog er den goldenen Zeitmesser aus der Tafche:
gerade noch fünf Minuten bis vier Ahr. Er lehnte sich noch
einmal in den Sessel zurück und zog weiter an der füßen
Duft verbreitenden Pfeife. So. jetzt wollte er noch
warten, bis drüben vom Rathausturm her die Ahr
die volle Stunde kündete. Dann aber wollte er die
Pfeife in die Ecke ftellen und wieder über den Markt-
platz in fein Amtszimmer wandeln, um auch am lehten
Tage des Iahres unermüdlich für das Wohl der
Stadt Münsterwalde zu wirken, wie er es getreulich
das ganze Iahr hindurch getan hatte, vom ersten
Tage an. Oder nein: vom zweiten Tage an. Der
erste Tag ist ja ein Feiertag.
Der Lerr Bürgermeister saß also behaglich zu-
rückgelehnt und fah dem spielerisch durch das Zimmer
ziehenden Rauche zu. Die feltsamen Vögel aus der
bunten Tapete saßen wie in Wolken da. Ob es wohl
überhaupt folch merkwürdiges gefiedertes Mehzeug
gab? Nun, jedenfalls nicht hier in nordischen Landen.
Nein, in fernen, fernen Gegenden mit nvch vielem
anderem Wunderkram, aber ohne Ordnung und Dis-
ziplin, ohne Verwaltung und ohne Bürgermeister.
Da, auf einmal, gab es in der Pseife das bekannte
Gurgelgeräusch; noch ein paar Wolken ließ fie sich
entziehen, dann war sie aus, leergebrannt. Oho!
Der Lerr Bürgermeister fah seine Ahr an: schon fünf
Minuten nach vier. Und er hatte doch fo genau auf-
gepaßt; er hatte auf die Schläge der Rathausuhr
die ganze Zeit gewartet und die Ohren aufgesperrt.
Da follte doch gleich-—! Er machte, daß er
auf den Marktplatz kam. Die Ahr auf dem Rathaus-
turm ging, und ihre Zeiger stimmten mit denen seiner
Sackuhr überein. Also hatte die Rathausuhr ihre
Pflicht nicht getan oder wenigstens nur halb: fie hatte
ihre Leistung nicht laut der Welt verkündet. llnd das
foll eine Rathausuhr doch, so gut wie es auch viele
Menschen tun.
Bürgermeister Rathmann zog ein verdrießliches
Geficht und bog vom Marktplatz links ab in die kleine
Gasse, wo Uhrmacher Bracklow wohnte. Der alte
Bracklow war gerade dabei, seinem Star ein vergnügliches
Liedchen vorzupfeifen. Sein Geselle, Gottlieb Veenekamp,
saß bei der nötige» Arbeit; er hatte trübe Augen und machte
ein Eesicht, als hätte ihm das zu Ende gehende Iahr nur
Iammer und Trübsal gebracht. Der Äerr Bürgermeister
steckte nur den Kopf zur Tür hinein. „Ach, bitte, lieber
Meister, kommen Sie doch schnell einmal mit!" Der Ahr-
macher verließ seinen Schüler ungern. Aber das half nichts;
der Äerr Bürgermeister hatte die Macht. „Pfeif' weiter,
Gottlieb, — aber hübsch lustig!" sagte er noch schnell zu dem
blonden Gesellen. Der nickte gehorsam und stimmte dann
die Weise des Liedchens an: „Ei, was braucht man, um glück-
lich zu sein, das wird ja den Lals noch nich' kosten; wir
mieten uns in en Stübeken ein, da setzen wir en Paar
Stühleken 'rein". Aber es klang tief traurig, und als ob
das Glücklichsein doch sehr, sehr viel kostete.-
Bürgermeister Rathmann und Ahrmacher Bracklow
kletterten aus den Rathausturm. Viel Anstrengung kostete
das nicht, denn es war nur ein kleiner Turm. Die Mün-
sterwalder hatten sreilich schon immer den Wunsch ge-
habt, ihn etwas zu verlänger». Anno 1780 baten sie sogar
Seine Majestät den König um eine Beihilfe dazu. Aber
Seine Majestät ließ ihnen den Bescheid geben, er hätte sein
Geld für nützlichere Dinge nötig, und wenn der Turm auch
zehnmal höher wäre, deshalb würden die Münsterwalder
doch nicht gescheiter werden. Diese Antwort jagte den Mün-
sterwaldern einen solchen Schrecken ein, daß sie ihren Rat-
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In der Silvesternacht
Schutzmann: „Werden Sie denn nicht bald weiter gehen?"
— „Ich kann ja nicht, Lerr Wachtmeister ... ich bin mit'm
Ohrwaschl angefroren!"