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Zeitschrift für Hurnor und KunsL

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Dreizehn Schläge um MitternachL
ganze bürgerlichcOrdnunc, würdeleiden,

Der alte Bracklow lächelte heimlich
in sich hineiw als der Lerr Bürger-
meister ihm die ganze Größe des An-
glücks vorstellte. Er fand im Gegen-
teil. daß es von der braven Ahr ein
guter Spaß war, gerade am Silvester-
tage entzwei zu gehen. Eben gab es
einen Ruck in ihrem Mechanismus, —
so, als ob ein Mensch den Arm zu kraft-
voller Tat heben will, aber dann doch
sich besinnt, daß die Faulheit angeneh-
mer ist. „Ein halb auf fünf, Äerr
Bürgermeister," sagte der Ahrmacher
und zog an einer der beiven Kerten,
die aus dem Schlagwerk zu den höher
gelegenen Glocken aufstiegen. Da gab
es zwei helle Schläge.

Bürgermeister Rathmann schob
verdrofsen das Kinn vor. „Das sollte
die Anglücksuhr eben selbst tun,Meister."

Ietzt erlaubte Bracklow sich auch
ein offenes Lächeln, „Wie wäre es
denn, Lerr Bürgermeister, wenn wir
heute nacht jemand am Schlagwerk
ziehn ließen? Von clf bis -wölf,—
vorhcr merkt es ja doch kein Mensch
in ganz Münsterwalde, daß die Ahr
nicht schlägt. Mein Geselle, der Gott-
lieb, tät's schon; der hat heut' doch kein
Plaisier vor."

„Lm, lieber Meister, — das ist so
einer von Ihren kuriosen Einfällen."

Bürgermeister Nathmann hatte Be-
denken; ein so ungewöhnlicbes Anter-
nehmen schreckte ihn. Aber der alte
Bracklow wußte, daß er sich den ganzen Replik
Rest seines Lebens über solch eine Ge-
schichte freuen würde,und deshalb redete
er dem Gebieter der Stadt so lange zu,
bis er endlich ja sagte und noch ganz
zufrieden war, die schwierige Sache in solcher Art erledigt
zu sehn. And so sollte denn der Ahrmachergeselle Gottlieb
Veenckamp, ohne daß sonst ein Mensch darum wußte, heute
um Mitlernacht den Bewohnern von Münsterwalde den Tod
des alten und den Phoenixaufstieg des neuen Iahres anzeigen.

Gottlieb Veenekamp hatte die Lektion, die er dem Star-
matz erteilen sollte, bald wieder abgebrochen. Ihm war
nicht danach zumute, die Lippen zu spitzen Trübsal zog
ihm den Mund in die Breite, und er hätte laut weinen
mögen. Wie schön war doch dieses Iahr gewesen, so voller
Süße und zarter Loffnung. Nichts als eitel Segen schien
es ihm zu bring n. And nun, da er zu Silvester die Rechnung
seines Glückes abschließen und einen schönen Posten auf
das nächste Iahr hatte vortragen wollen, — gerade da war
heute die Witwe Dettloff gekommen und hatte ihm all seine
Zahlen ausgelöscht. Zuerst hatte sie einen Ahrschlüffel bei
ihm gekauft, um doch eme Veranlassung zu haben, und dann
war sie so ganz allmählich auf ihr Ziel losgegangcn. Zu-
erst: der Lerr Veenekamp möchte es doch nicht übelnehmen,
daß sie die Einladung auf den heutigen Siloesterabend
wieder rückgängig machte, aber sie und ihre Tochter Renate
wären anderwärts ausgebeten. And dann: der Lerr Veene-

-- „Ihr Tarockverlust liegt Jhnen wohl bös im Magen, Lerr Wamperl."

„Warum net gar! die paar Markl. Bloß ärgert's mich, daß Sie s'
net g wonnen haben. Sie hätten wieder acht Tage davon privatisie-
ren können."

kamp möchte doch die Nenate morgen lieber nicht zum Eis-
lauf abholen. And schließlich: der Lerr Veenekamp möchte
es doch ja nicht mißverstehen, er wäre ihr ja lieb und wert,
aber er würde ihr einen Gefallen tun, wenn er seine Besuche
ganz und gar einstellte, denn schließlich käme Renate doch
ins Gerede mit ihm. And das möchte doch den Aussichten
schaden, die ihre Tochter vielleicht hätte. So ein Mädchen
könnte doch nur einmal im Leben ihr Glück machen, das
müßte der Lerr Veenekamp doch verstehen.

Ach ja, das veistand Gottlieb Veenekamp sehr wohl.
Aber er hatte gedacht, daß er selbst das Glück der Iungfer
Nenate Dettloff sein würde und sie das seine, und er hatte
auch weiter gar keine Lindernisse gesehn. Ein lleines Ka-
pital hatte er, genügend, von Meister Bracklow den Laden
zu übernehmen, und die sanfte, stille Renate, in der ver-
steckten Dürftigkeit einer von winziger Rente unterhaltenen
Witwenwirtschaft zu fröhlicher Bescheidenheit ausgewachsen,
hätte sich wohl und warm bei ihm fiihlen können.

Da aber hatte Kosmack, der Seisensieder rmd Lichtzieher,
seine unter buschigen Augenbrauen verkniffen hervorschau-
enden Augen auf die Iungfer Dettloff geworfen. Der
haite freilich Geld, war der reichste Mann in Münsterwalde
und wohnte auf dem Marktplatz, gerade gegenüber dem
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