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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 21.1895 (Nr. 223-235)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16559#0013
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Meggendorfers Humoristische Blätter.

9

Die brill'ante Zöee.

ie Instizrätin von Reller besaß
die vielbewnnderte Gabe bril-
lanter Linfälle. Galt es einen
lVohlthätigkeitsbazar oder ein
<sriihlingssest mit köstlichen, kleinen
Neberraschnngen ausznstatten, — ihre
dominierende Stellung in der Laud-
stadt machte ihr dies zur jdflicht —
so besaß sie stets Ideen in Fülle —
Dank den Untergebencn ihres Mannes,
welche dieselben zu liefern hatten.
„Lieber 5L." hieß es da an ihrem
zvur 6x, dessen Besuch vasallenxflicht
war, „ganz unter uns gesagt, ich
bereite da eine kleine Ueberraschung
vor, etwas Apartes soll es werden, Sie beschäftigen sich wohl
ein wenig damitl" Und er beschästigte sich allerdings damit,
indem er seinem widerwilligen Gehirn einen kursfähigen Ge-
danken abrang und der Iustizrätin zur verfügung stellte. Diese
quittierte denselben dann als ihr zurückgestelltes Eigentum:
„Ganz ineine Intention, lieber H Ich muß Ihnen das Zeug-
nis ausstellen, daß Sie sich in meine Idee geradezu eingelebt
haben."

Ie häufiger sich aber die wohlthätigkeitsbazare und Früh-
lingsfeste wiederholten, desto sxärlicher rann die Tnelle der
Iustizrätin; im Stillen erwog sie bereits die baldige Notwendig-
keit einer versetzung von Unterbeamten.

Der wunderschöne Monat Mai brachte abermals die Aussicht
auf ein Frühlingsfest. Da trat der Assessor lvaldner eines
Abends verstört in die lsiuterstube der „Sonne", seiner Stamm-
kneixe, grüßte flüchtig die versammelte Skat-Gesellschaft und
schritt schweigend aus und nieder. Lr war zum dreißigsten
lNale unter dem Farbendruck von Glaube, lsoffnung und Liebe,
derlqauptzierde der ksinterstube, angelangt, als ein kleines munteres
lNännchen, der Stadtarzt vr. Rrömel die Rarten auf den Tisch
warf und ausrief: „Na zum Ruckuck, lvaldner, was hast Du denn
heute? Spricht nicht, trinkt nicht, trainiert sich zum Distanzlauf
und beguckt die schmierige Leinwaud, als ob es Fräulein Llses
Augen wären; von einem lNann in geordneten Lebensverhält-
nissen, als welcher Dn mir bekannt bist, kann ich doch unmöglich
annehmen, daß er dichtet, obschon die Symxtome das Äußerste
befürchten lassen. lvoher kommst Du denn eigentlich?" Der
Assessor blieb mit gekreuzten Armen unter den drei göttlichen
Tugenden stehen: „lvoher kann man in unserem friedliebenden
Städtchen verstimmt kommen, wenn nicht von der Iustizrätin I"
„So?" entgegnete der Doktor, „na ich habe Leute gekannt, die
das genaue Gegenteil behauxteten. llebrigens Aopf hoch, mein
Iunge I Lin kleines Mißverständnis unter Liebenden — genau
wie der Schnupfen, wiederholt sich zwar sehr leicht, hat aber
nichts zu bedeuten." Ietzt stürzte der Assessor an den Skat-Tisch.
„Ihr müßt mir helfen l" schrie er. „Nichts I — nichts l" Lr
machte eine für seine jderson wenig schmeichelhafte Bewegung
mit der Lsand über die Stirne. „lvaldner I" sagte der Doktor,
„thu' mir den Gefallen jene Grdnungsliebe, die Du von jeher

Deinem äußeren Menschen zu teil werden läßt, gegenwartig
dem inneren zuzuwenden, sie kann ihm nicht schaden. Line
Skat-Gesellschaft ist kein Mrakel, aber an Nächstenliebe sehlt es
nach zehn llhr abends nicht. Nedel" — „Ihr wißt," begann
der Assessor, „daß die Iustizrätin heuer wieder mit einem Früh-
lingsfest droht —" „Lhronisch und unheilbar!" brummte der
Doktor. — „Als bescheidener Zeitgenosse bin ich gern bereit einige
Mark in Nadelkissen, llhrständern und Aschenbechern anzulegen

— umsomehr, als man diese Gottesgaben nächstes Iahr zu dein
gleichen Zweck stisten kann — aber eine Idee soll ich haben,
eine neue, verblüffende Idee? Drei Tage Bedenkzeit a äato?
Ich, der ich nie die Geheimnisse der Muadrille zu durchdringen
vermochte und den unberechenbaren Fährlichkeiten des psänder-
spieles ängstlich auswich I — Nun wäre mir die Iustizrätin
allein keine schlaflose Nacht wert, — aber ihre Mualität als
Mutter Llses — Sonntag nach dem unseligen Fest wollte ich
ja anhaltenl" „Schändlich" sagte der Doktor, „na laß 'mal
sehen: den Maibaum haben wir erlebt, auch den Brummkreisel
mit dem Stadtwappen, die gehäckelten Börsen mit dem Mono-
gramm des Bürgermeisters, die Lesezeichen mit sinnigen Devisen

— auf dem meinigen stand: „Ich weiß nicht was soll es be-
deuten," auch das ungemein xraktische Tintenzeug in Nußschalen
war schon da — bleibt nichte übrig, als Locosnüsse
mit f)ortraits eingeborener Rönige aus Lentral-Asrika zu
verschreiben I" — „Lrlauben Sie, meine bserren," ließ sich jetzt
eine dünne Stimme voin Nebentisch vernehmen, „ich hab' alles
gehört, ich hab' alles verstanden, ich bin der Samuel Ringstein,
Agent für Streichhölzer. Sie sollen haben eine Idee, eine
brillante Idee. Nehmen Sie von meine Steichhölzer, meine
j)atentstreichhölzer zu billigem jdreise, nehmen Sie die j?hoto-
graxhie von der Frau Iustizrätin, lassen Sie se machen in kleinem
Format und kleben Sie die Photographie auf der Dberseite
von die Schachteln. bsaben Sie was Neues, was Schönes, was
Billiges I" „kserrlich l Göttlich l" schrie der Asseffor, „ich bin
gerettet l Und Sie edler Menschenfreund ^err Samuel . . . ."
„Samuel Ringstein," ergänzte der Agent, „habe die Lhre auf-
zuwarten" — „sind heute mein Gast, — Reine lViderrede. —
Ludwig sechs Flaschen Sekt in Lisl" Die Skatxartie nahm
ihren Fortgang. In erhöhter Stimmung brachte der Agent den
ersten Toast auf Fräulein Llse aus; es war der schönste Tag
im Leben Samuel Uingsteins und um mehrere Stunden währte
er länger als die gewöhnlichen.

Die Iustizrätin war von der Idee gcradezu entzückt. Zwar
glaubte sie einige Bedenken äußern zu müssen, ließ sich aber
gern eines Besseren belehren, „daß jedes Rind der Stadt das
Bildnis der allverehrten Frau als köstliche Lrinnerung an das
frohe Fest und seinen Mittelxunkt betrachten werde." Sie selbst
wählte eine geeignete jdhotographie aus, Assessor lvaldner ge-
noß die Auszeichnung alle weiteren Anordnungen treffen zu
dürfen.

Der Maitag that sür das Zustandekommen des Frühling-
sestes sein Möglichstes. An Volksbelustigungen, Glückshafen
und Rraftmessern war kein Mangel, den Mittelxunkt aber bil-
dete ein reichgeschmücktes Zelt, in welchem die Instizrätin mit
ihrer hübschen Tochter zwischen Bergen von Streichholzschachteln
thronte. Diese fanden reißenden Abgang und die Iuftizrätin
quittierte jede Ueberzahlung des jdreises mit einem hold-
verschämten Blick. lvaldner war selig; er dachte eben daran
die günstige Stimmung noch heute nach Schluß des Festes aus-
zunützen, als er eine Schaar kserren — uuter ihnen I)r. Arömel
 
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