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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 21.1895 (Nr. 223-235)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16559#0123
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INeggendorfers Humoristische Blätter.

U9

Braktisch.

Student: „lVarmn gehst Du eiqentlich immer dieenge Gasse
von der Aneixe nach Lsaus'?"

Bemoostes tsauxt: „Ach weitzt Du, da kann man sich so zu
gleicher Zeit an zwei Nauern haltenl"

Blick zu erkennen, auch wenn das wohlklingende Mrgan
der schlanken Miß dieses Geheimnis nicht sosort verraten
hätte. 0 loolr tlwro, ciour, dorv interoslinA! sagte sie
mit mehr als englischer Lebhastigkeit, aus das wilde Ge-
tier in der bsalle weisend; der alte Herr erteilte, ohne ein
wort zu verschwenden, durch einen im wörterbuch jeden-
salls nicht vertretenen Ton seine Beistinnnung.

Die Aellnerin brachte zwei Gläser Bier und die junge
Dame netzte ihre Lixxen in dem deutschen Getränk, das
Glas schneller, als die in ihrer Nähe Skat sxielende „Dritte"
niedersetzend. „Dllat'L Korman besr; ich liebe es; die
Deutschen sind, glaube ich, brave Leute, nicht wahr? Ich
möchte so gern auch einmal deutsche „Gemütlichkeit"
kennen lernen, aber das ist, glaub' ich, nicht so leicht: sie
versteckt sich, wie ein lhäschen im Aohl, im Dämmerlicht."

. . . „§o zwitscherte sie, wie ein kleiner Vogel, schnell in
Worten, auseinandersolgenden Tinsällen und Bemerkungen,
die ich bei der Lntsernung, die uns trennte, und dem Ge-
xlauder der iibrigen in der Halle, seltner, als ich wiinschte,
verstehen konnte. Da meine Ghren mich im 5tiche ließen,
beschästigte ich meine Augen umsomehr, zumal ich mich
unbemerkt wußte. §ie hatte ein echt englisches Gesichtchen;
das Ainn ein wenig, doch nur so viel vorgebeugt, mn dem
Ropse etwas charakteristisches zu geben; blonde, volle
lhaare, wie man sie aus den Bildern der Benetianer sieht,
große blaue Augen und den Teint, von dem LlmüsspoLro
sagt: . . . so weiß, wie 5chnee und weich, wie eines
Denkmals Alabaster . . .; trotz biegsamer Schlankheit war
ihre Gestalt von graziöser Ziille; lebhast, wie ihre roten
Lippen waren ihre schönen Augen; sie schienen alle Er-
scheinungen zu ersassen und ihnen Interesse entgegenzu-
bringen. Ietzt beschaute sie offenbar die Bilder, welche,
wie ich glaubte, hinter mir an der wand hingen; ich
wandte mich unwillkürlich nach der wand hin, um das
Ziel ihrer Blicke zu erkunden und war erstaunt, ja sast
erschrocken, als ich bemerkte, daß sich an d er 5telle Bilder
gar nicht befanden. Iedensalls konnte die kahle wand
hinter meinem Rücken ihre Aufmerksamkeit kaum in An-
spruch nehmen; die Feststellung dieser Thatsache trug
natürlich nicht dazu bei, Mißmut in mir zu erregen, wohl
aber, meine bjavanna so zu vernachlässigen, daß sie in die kalte
Trstarrung eines ausgebrannten Araters überging.

In diesem Augenblick trat ein hochgewachsener junger
Nann nrit blondem wangenbart und angethan mit Bergstrüinpsen
in den Raum, eine Trscheinung, die bei ihrer Männlichkeit
mehr Interesse erregt hätte, wenn ans dem jugendlichen Ge-
sicht nicht ein Ausdruck von schläsriger Ruhe zu sinden gewesen
wäre. Die junge Tngländerin hatte den Ankömmling sosort
bemerkt und emxffng ihn mit dem Ausrus: „0 tüoro ars ^ou"
in einem Tone, wie man mehr ein bestimmt erwartetes, als ein
erhofftes Treignis bewillkommnet. Der Fremde begrüßte den
alten Lserrn und die junge Dame, um nach einigen Worten an
ersteren mit der jungen Miß eine ziemlich leise, xausenreiche
Unterhaltung mit einer Teilnahme zu versuchen, welche seinem
sonstigen jdhlegma jedensalls ungewohnt war. Trotzdem schweis-
ten die schönen Augen im Raum — auch wieder nach der „bilder-
losen" Stelle. Nach einiger Zeit richtete sich das Triumvirat
zum Ausbruch; ich that dasselbe, ich weiß nicht, ob in dem
Gefühl, meinem Bierbedürsnis genügt zu haben oder etwa in
dem dunklen Drange, neue Thäler und bjöhen — irgendwo —
zu entdecken. Ich ging unmittelbar hinter den dreien durch die
Thür; der jungen Dame entglitt ihr Schirm; ehe ihr blonder

Begleiter taschenmesserartig in seiner steilen lhöhe gewiffenhast
ganz zusammengeknickt war, hatte ich den Gesallenen bereits
in die bjände der Tigentümerin zurückgelegt. D^r junge Ljerr
dankte mir, der alte bemerkte mich, die schlanke Mitz sah mich
an — ganz wie die Stelle ohne Bilder.

Ich suchte mein Zimmer aus; halb im Traum hörte ich
das Rauschen des gegenüber vom Ront Lorvin hinunterbrau-
senden Gletscherbachs; ja ich glaubte ihn zu sehen und mir schien
es, als säße aus eincm vorspringenden Felsen, mitten in der
schäumenden Flut eine Nixe mit flatterndem bsaar, aus dem
Ljaupte ein Diadem von Nlafferperlen, vom Mondenschein durch-
glänzt, eine Nixe mit weißer Ljaut und schaue durch die Zen-
stervorhänge bis in mein Zimmer, bis in mein geschlossenes
Auge. Dann schlies ich fest ein.

Am nächsten Tage erkundigte ich mich nach den drei jdersön-
lichkeiten; man sagte mir : „ein reicher Tngländer; der junge
Ljerr scheine im einem gewissen, hoffenden Nerhältnis zu der
Dame zu stehen."

Zermatt kannte ich; das „hoffende" verhältnis wirkte aus
meinen Vorstellungskreis ungefähr so, wie ein unvorhergeseheucr
Tintenklex, der eine weiße Reinschrist verdirbt, auf einen Schülcr.
Nich ganz in dieses Bild versetzend, sagte ich mir, daß ich wcdcr
 
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