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AI e g g e ii d o r f e r s L) u in c> r i st i s ch e Blätter.
Der Brief an das Ll^ristkind.
Schnell zog er dcis Lhrlstkind-Zorleschen ans der Tasche nnd
hielt es ihr vor die Angen.
„Lsast ?n das geschriebcn?"
Ia, das habc ich an das Lhristkindchcn gcschriebcn. Ist
es ivirklich angekcnnincn?"
„Gewiß, cs ist angckoninicn. Das Lhristkindchcn hat es
gelcscn nnd läßt Dir sagen, drei INark wäro allerdings etwas
vicl, aber cs will init Dir eine Ansnahine inachcn. Lsier", —
er zog das Gcldstiick hervor und legto es in die thand der
Aleinen — „hier schickt es Dir oinen Thaler, dafiir darfst Du
kauscn, was Dn willst. Abcr ein lsochzeitsgeschenk sollst Du
nicht kaiifen, läßt Dir das Lhristkindchen sagcn. Ls will gar
nicht haben, daß Deine Gertrnd nnd der Assessor Liobhardt sich
heiratcn."
Dic Aloine hattc dcn Thaler mit strahlendein Gcsicht bc-
trachtet. Ictzt aber gab sie ihn rasch zuriick.
„Dann will ich ihn nicht. lvenn das Lhristkind so schlecht
ist, ivill ich gar nichts von ihni habcn."
„Nnn, nnn," sagte der Aoininerzionrat vcrlegcn, das blonde
Aöpfchen strcichelnd, „das Lhristkind hat cs nicht so schliinin
geineint, behalte den Thaler nnr."
„lvcshalb ist das Lhristkind nicht selbst zn inir gekoniinen?"
„Ls ist zn schr beschäftigt."
„Dann sind 5ie wohl der Geldbricfträgcr voin Lhristkind?"
„Ia, zur Anshilfe."
„Dann werde ich dcn Thaler nehinen. Gehört er auch
wirklich inir?"
„Gewiß, Dir ganz allein."
„Dann iniiß ich ihn Licschcn zcigon," sauchzte sic, nnd ohnc
sich iveitcr nin den Uebcrbringer zn kiiininern, klopfto sie an die
Thiire, hinter welcher sie bald verschwand.
2lni nächsten Utorgen lioß der Uoinincrzienrat wicdcr don
jdroknristoii Mehl rnsen.
„lhat Uailfiiiann Schleicr schon sciintliche
ihin krediticrten lvaren crhaltcn?"
„Nein, der größtc Teil steht noch aus."
„Dann halten Sie niit der Liesernng oin
nnd schreibon 5ie dein Schleier, daß avs der
5ache nichts wcrden kann."
„lvir habcn iiber den Mann die bosto
Anskunft-"
„Gleichgiltig, der Mann hat sich in oinc
Spcknlation cingclasscn, die niir nicht gefällt.
Lr erhält nichts."
„5ehr wohl, lhcrr Uoninierzienrat."
Schon ani Nachnilttagc incldctc sich der
Aaufinann Schlcicr und bat dringend nin
eine Unterrcdung.
„Mag cr nnr koniinen", sagte dcr Aoin-
inerzienrat griininig, „er soll nieine Meinnng
hören."
Schleicr crschicn.
„Der lscrr Uoinnicrzienrat", bcgann cr,
„haben niir dcn bereits zugesagton Uredit
wiedcr entzogon. Das steht in Ihrer Macht.
Aber dnrch den Bnchhalter Rieinann hörte
ich, daß Sie sich in auffälligcr lveise nach
ineiner Tochtcr Gertrnd crknndigt haben.
Aleine Tochter behauptct, wedcr Sie zu kenncn,
noch je Ihrcn Ranicn gehört zu haben —"
„So ? Anch nicht den nicincs Sohnes, dcs Assossors-"
„Durchans nichtl"
„Ich habe os abcr aus dein lllnnde Ihres eigenen Töch-
terchcns, der kleinen Anna-"
„Ich habe kcine Tochtor nainens Anna."
„tvas sagon Sie da?" „Lin klcincs Atcidchcn von ctwa
zehn Iahren?"
„Line Tochter in diesein Alter habe ich, sie hcißt aber Llisc."
„Ain Sonntag sah ich ein kleines Aiädchen aus Ihrer
ivohnnng koininen, das sich Anna nannte, init blauen Augen
nnd blonden Locken — —"
„Ach, das war die kleine Anna von Windiniihl, die hin
und wieder zu Lieschen koinint, uin niit ihr zn spielen."
„Licschon, — richtig, Lieschen, — von ihr sprach die kleino
Anna, — von tvindniiihl, wohnt die Faniilie iin lsause?"
„Die Fran von tvindiniihl ist die Tochter des lserrn Uon-
snls Blten. Sie bcfindct sich init der kleinen Schwcster ihres
Geinahls znin Besnch bei dem therrn Uonsnl, schon seit längcrer
Zeit-"
„Nnd bcfindet sich in der Fainilie des Uonsuls oinc Gertrud?"
„Ls ist eine zweitc Tochtor des lsanscs, noch unverhciratet."
„Ruii, dann liegt allerdings cinc verwechslung vor. Dic
Sache hat niit Ihrer Tochter gar nichls zn thun. Ilnd was
Ihrc Angelegenheit betrifft, so wcrde ich Sie schon zufrieden
stellen."
* ->-
Ain Iveihnachtsabcnd gab es vier glnckliche Fainilien in
der Lsplanadenstraße 9. Dio Gltcns nnd Liebhardts feierten
die Vcrlobnng Gertruds init dcm Asscssor. Deni Uaiifniann
Schleicr war der Urcdit von Seiten dcr Firina Licbhardt in
vollein Uinfange bewilligt wordcn. Und der Buchhaltcr Ricinann
erhielt nicht nur dic Gratifikation, sondcrn auch eine ansehnliche
Gehaltserhöhnng.
Gnte Nusrede.
th errtsoci>cn aus den,Socbadczurückgokchrt)I „Ra, die Snppc ist aber nial gründlich versalzcn."
Uöchini „Ach ivas, Sie haben wohl bloß noch den Nachgeschinack von der
Nordsee ini Munde."
Rcdaklioni Ntax Schrcibcr. Drnck und vcrlag von I. F. Schreibcr, bcide in Lßlingcn bei Stnttgart.
GvIUzäftsHelle in Miinchen, Cvrneliusstentzr 19.
AI e g g e ii d o r f e r s L) u in c> r i st i s ch e Blätter.
Der Brief an das Ll^ristkind.
Schnell zog er dcis Lhrlstkind-Zorleschen ans der Tasche nnd
hielt es ihr vor die Angen.
„Lsast ?n das geschriebcn?"
Ia, das habc ich an das Lhristkindchcn gcschriebcn. Ist
es ivirklich angekcnnincn?"
„Gewiß, cs ist angckoninicn. Das Lhristkindchcn hat es
gelcscn nnd läßt Dir sagen, drei INark wäro allerdings etwas
vicl, aber cs will init Dir eine Ansnahine inachcn. Lsier", —
er zog das Gcldstiick hervor und legto es in die thand der
Aleinen — „hier schickt es Dir oinen Thaler, dafiir darfst Du
kauscn, was Dn willst. Abcr ein lsochzeitsgeschenk sollst Du
nicht kaiifen, läßt Dir das Lhristkindchen sagcn. Ls will gar
nicht haben, daß Deine Gertrnd nnd der Assessor Liobhardt sich
heiratcn."
Dic Aloine hattc dcn Thaler mit strahlendein Gcsicht bc-
trachtet. Ictzt aber gab sie ihn rasch zuriick.
„Dann will ich ihn nicht. lvenn das Lhristkind so schlecht
ist, ivill ich gar nichts von ihni habcn."
„Nnn, nnn," sagte der Aoininerzionrat vcrlegcn, das blonde
Aöpfchen strcichelnd, „das Lhristkind hat cs nicht so schliinin
geineint, behalte den Thaler nnr."
„lvcshalb ist das Lhristkind nicht selbst zn inir gekoniinen?"
„Ls ist zn schr beschäftigt."
„Dann sind 5ie wohl der Geldbricfträgcr voin Lhristkind?"
„Ia, zur Anshilfe."
„Dann werde ich dcn Thaler nehinen. Gehört er auch
wirklich inir?"
„Gewiß, Dir ganz allein."
„Dann iniiß ich ihn Licschcn zcigon," sauchzte sic, nnd ohnc
sich iveitcr nin den Uebcrbringer zn kiiininern, klopfto sie an die
Thiire, hinter welcher sie bald verschwand.
2lni nächsten Utorgen lioß der Uoinincrzienrat wicdcr don
jdroknristoii Mehl rnsen.
„lhat Uailfiiiann Schleicr schon sciintliche
ihin krediticrten lvaren crhaltcn?"
„Nein, der größtc Teil steht noch aus."
„Dann halten Sie niit der Liesernng oin
nnd schreibon 5ie dein Schleier, daß avs der
5ache nichts wcrden kann."
„lvir habcn iiber den Mann die bosto
Anskunft-"
„Gleichgiltig, der Mann hat sich in oinc
Spcknlation cingclasscn, die niir nicht gefällt.
Lr erhält nichts."
„5ehr wohl, lhcrr Uoninierzienrat."
Schon ani Nachnilttagc incldctc sich der
Aaufinann Schlcicr und bat dringend nin
eine Unterrcdung.
„Mag cr nnr koniinen", sagte dcr Aoin-
inerzienrat griininig, „er soll nieine Meinnng
hören."
Schleicr crschicn.
„Der lscrr Uoinnicrzienrat", bcgann cr,
„haben niir dcn bereits zugesagton Uredit
wiedcr entzogon. Das steht in Ihrer Macht.
Aber dnrch den Bnchhalter Rieinann hörte
ich, daß Sie sich in auffälligcr lveise nach
ineiner Tochtcr Gertrnd crknndigt haben.
Aleine Tochter behauptct, wedcr Sie zu kenncn,
noch je Ihrcn Ranicn gehört zu haben —"
„So ? Anch nicht den nicincs Sohnes, dcs Assossors-"
„Durchans nichtl"
„Ich habe os abcr aus dein lllnnde Ihres eigenen Töch-
terchcns, der kleinen Anna-"
„Ich habe kcine Tochtor nainens Anna."
„tvas sagon Sie da?" „Lin klcincs Atcidchcn von ctwa
zehn Iahren?"
„Line Tochter in diesein Alter habe ich, sie hcißt aber Llisc."
„Ain Sonntag sah ich ein kleines Aiädchen aus Ihrer
ivohnnng koininen, das sich Anna nannte, init blauen Augen
nnd blonden Locken — —"
„Ach, das war die kleine Anna von Windiniihl, die hin
und wieder zu Lieschen koinint, uin niit ihr zn spielen."
„Licschon, — richtig, Lieschen, — von ihr sprach die kleino
Anna, — von tvindniiihl, wohnt die Faniilie iin lsause?"
„Die Fran von tvindiniihl ist die Tochter des lserrn Uon-
snls Blten. Sie bcfindct sich init der kleinen Schwcster ihres
Geinahls znin Besnch bei dem therrn Uonsnl, schon seit längcrer
Zeit-"
„Nnd bcfindet sich in der Fainilie des Uonsuls oinc Gertrud?"
„Ls ist eine zweitc Tochtor des lsanscs, noch unverhciratet."
„Ruii, dann liegt allerdings cinc verwechslung vor. Dic
Sache hat niit Ihrer Tochter gar nichls zn thun. Ilnd was
Ihrc Angelegenheit betrifft, so wcrde ich Sie schon zufrieden
stellen."
* ->-
Ain Iveihnachtsabcnd gab es vier glnckliche Fainilien in
der Lsplanadenstraße 9. Dio Gltcns nnd Liebhardts feierten
die Vcrlobnng Gertruds init dcm Asscssor. Deni Uaiifniann
Schleicr war der Urcdit von Seiten dcr Firina Licbhardt in
vollein Uinfange bewilligt wordcn. Und der Buchhaltcr Ricinann
erhielt nicht nur dic Gratifikation, sondcrn auch eine ansehnliche
Gehaltserhöhnng.
Gnte Nusrede.
th errtsoci>cn aus den,Socbadczurückgokchrt)I „Ra, die Snppc ist aber nial gründlich versalzcn."
Uöchini „Ach ivas, Sie haben wohl bloß noch den Nachgeschinack von der
Nordsee ini Munde."
Rcdaklioni Ntax Schrcibcr. Drnck und vcrlag von I. F. Schreibcr, bcide in Lßlingcn bei Stnttgart.
GvIUzäftsHelle in Miinchen, Cvrneliusstentzr 19.