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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 26.1896 (Nr. 288-300)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16564#0053
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§9

Meggendorfers Humoristische Llalter.

Äin Auallbalc.

„2lch, giitestcs Freilcin, die Zcchc hcitte ich bezahlt;
aber jetzt sind 5ie so gut und leitzen 2ie mir drci lllark, denn
wenn ich „iit dx„i leeren Bordemonnceh zu bsause komme, ist
der Deiwel los."

Äin Tyrann ist er wabrlich nicht!

Line tragische Geschichte von lNuh.

s ist doch merkwürdig wic vcrschiedenartig die Menschen
altcrn. Ivas z. B. mcin Frcund Liscnschmidt ist, dcm
sieht man seine süufzig Iahre anf den ersten Blick an.
Das graumelicrte, stark gclichtcte lsauptilaar, die verwitterten
Züge, die stark angcgilbten Zähne init ihren auffälligen
Lücken lassen isin auf den crstcn Llick als einen Mann erkennen,
der dcs Lcbcns Mai schon längst hinter sich hat und jetzt so
ungefähr im Gktober angelangt ist. Seine liebe Frau, Rosa
genannt, dagcgen wcckt noch immer, trotzdem sie nur drei
Jasir jünger ist, den Lindruck eines ältercn jungen Mädchens,
Ende der Zwauzigcr vielleicht, oder Anfang dreißig. Rot-
bloudcs Gelock ringelt sich in üppigcr Fülle auf ihren Racken
nieder, isir Tcint leuchtet wie Aremscrweiß und Karmin, perlen-
äsinliche ZLllnchen, aneinandcrgcreillt, blihcn bei jedem Ulorte,
jedem Lächeln zwischen den rotcn Lippcu llcrvor, und eine ver-
führerisch schivellendc Büste sicbt sich reizvoll ab von dem Rund
ihrer Mitte.

Daß lserr Lisenschmidt auf diesen unverwüstbaren Liebreiz
seiner ihm vor siebenundzwanzig Iastren angctrautcn Gattin
mit etlichem Neid blickte, war so begreiflich wie verzeilllich,
Freilich wußte er letzteren mit Schläue hinter einem spöttischen
Lächeln zu bergen, wenn die holdc in all illrem Glanz vor ikn trat
— aber die kluge Frau durchschaute ihn doch und fühlte ibre
allmälllig erzeugte Abneigung gegcn ihn dadurch nur noch machscn.

Uebcrllanpt war das verllältnis der beiden zu einandcr
kein allzu erfreuliches. Der ziemlich derbe und ihrer Mcinung

nach schr nüchtcrnc Mann paßte durchaus nicht zu der ätherischen,
gefühlvollen und schöngcistigcn Frau. welch schneidende Rou-
traste zmischen ihnen zu Tagc tratcn, das beweisen schon ihre
Gcschmacksrichtnngen hinsichtlich der Lektürc. Lr, der altmodische
Thor bcgeisterte sich noch an Gustav Freytag, Ieremias Gott-
helf, Fauny Lewald — sie dagegen schwärmte nur für kseinz
Tovote, lsans Land, Aarl Rosner, Nataly von Lschstruth. Daß
untcr solchen llmständeii kein rechtes Linvernehmen zu stande
kommen, oder von Daucr sein konnte, liegt auf der ksand, und die
uiiverstandene Lisenschmidten litt oft schwer, recht, schwer unter den
hieraus eiitstehendcii Fatalitäten. während ihr INann diese
wiederum mit einer lvurschtigkeit ertrug, die ihre Lmpörung
vcrvollftändigte.

Trohdcm brauchtc sie auf die, für eine schöne Frau uiium-
gänglich nötige, männliche Anbetung nicht ganz zu verzichten.
Liscnschmidt war cin schr reicher lllann, cr hatte offcne kfand
nnd offcne Tafel; ein llmstand, der ihm naturgemäß eine lNcnge
guter Frcundc zuführte. Und diese nun fühlten sich aus Dank-
barkeit verpflichtet, seinem jungen Frauchen den lfof zu machcn.
Augenblicklich befand sich sogar eincr darunter, der mit feuriger
Leidcnschaft brillicrte. Ls war dies ein zwanzigjähriger Student,
dem Lisenschmidt zweimal wöchentlich Freitisch gewährte. Direkt
aus Ncustettin importiert, wo er ganz entsetzlich hatte ochsen
müsscn, um endlich, nach einigen Anläufen das Reifezeugnis zu
erlangen, was ihn selbstverständlich auch zur Lindämmung seiner
Gefühle gczivungen hatte, licß dcr frcihcitbcrauschte lUuscnsohn
dicsc jetzt nach lfcrzcnslust hervorflutcn. Und da er in Neustetlin
kcin auch nur annähernd so reizvolles lvcsen kcnncn gelcrnt hatte,
stürzte er sich über lfals und Vopf in dic Leidenschaft für die
-^fjährige Sircne, die scine anfänglich ganz schüchtcrne vcrehrung
übcraus huldvoll entgegenzunehmen und zu schüren geruhtc.

Aus dcn harmlosen „Blickchcn hin und Blickchen her" wurdc
schr bald, ivcnn sich der gute Lisenschmidt nach Tisch zurückzog,
um sein lNittagsschläfchen zu haltcn, ein feuriges Zwiegespräch,
an dem Augen und Lippen sich gleichmäßig beteiligten. Und
cndlich; eines schöncn Tages, Frau Rosa hatte dem mitfühlen-
den Iüngling all das Leid geklagt, daS ihr, der Unvcrstandcnen,
aus der Alltäglichkcit und Rauheit des altcrndcn lNannes er-
wuchs — da schwang sich der Student zu ciiicr Liebeserklärung
auf, die an Deutlichkeit und Feuer nicht das Gcringste zu
wünschen iibrig ließ. Auch der Auß, den cr als Besicgclnng
scincr Schwüre auf ihre ihm vcrlangend entgegeiikommcnden,
roten Lipxen preßtc, cntsprach ganz ihrcn Lcgriffcn von cincm
bcseligenden „verhältniß."

Nachdem die bciden Liebenden sich getrcnnt hattcn, flüchtctc
Frau.Rosa in ihr Zimmer, nm dort in ungestörtcr Linsämkeit
die Sturmflut ihrcr Lmpfindungcn sich anstobcn zu lassen.
Dann handelte sie dnrchaus dcr wundcrvöllen Sitnalion anae-
niesscn, indem sie sich auf ihre Lhaiselongue warf und sich in Aarl
Rosners, in Bnchform vereinte psychopathische Fälle, betitelt „Gc-
fühle" vertiefte. lvicder und wiedcr entzückte sie sich an dcm er-
greifenden Bilde der „lechzendcn, blntigcn Lippen, vön denen süße,
sehnende Düfte niedersickern;" wicdcr und ivicder quälte sie sich ab
den Tiefsinn der worte: „ein Glück, das voll ist von Düften, die
nicht riechen, und von Tönen, die nicht klingcn" zu ergründen.
Aurz, sie war so ün cks siäcle-haft wic nur dcnkbar.

Der nächste Morgen brachle ihr dann dcn Bcweis, daß
anch dcr vcrlicbte Studcnt, nach der Trcnnung von ihr, seine
Gedanken nur auf sie gcrichtet hatle: cin glühendes Lriefchen
an die „Göttin scinqr Seele", gab Kunde davon. Daß sje die
Zcilen rvieder und wiedcr mit Aüsscn bedecktc nnd sic mit dcn
Augen förmlich verschlang, war selbstvcrständlich — bcsscr frci-
lich wäre cs gewcscn, sie hätte nach bcrühmten alten Mustcrn
die kicbcsepistcl in lvirklichkcit vcrschlungcn, statt sie spätcr
 
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