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LNeggendorfers Humoristische Biätter.
nur in ihre Tasche zu stecken. viel Mßgeschick wäre ihr da-
dnrch ersxart geblieben. So aber passierte cs Frau Rosa, daß
sie im Laufe des Nachmittags nach eincr kleinen häuslichen
Scene mit ihrein Gatten bis zu Thränen geriihrt, ihr Taschen-
tuch und damit auch unbewußt das Briefchen hervorzog. Das-
selbe fiel auf den Teppich, ohne von der ahnungslos zur Thiire
hinausrauschenden, schonen Frau beachtctet zu werden. Lisen-
schmidt dagcgen, der wenige Minuten später ebenfalls daran
vorübcrschritt, sah es und bückte sich darnach niit seinem ge-
wohnten Phlegnia, das ihn nierkwiirdiger kveise auch nicht
ini Stich ließ, als er folgende Zeilen las:
„Gottin meiner Seele l
Lin Rausch, cin Götterrausch I tobt niir durch dic Adcrn l
B Dn, Du — — Dul Und von Dir, von Dir niußte ich
niich losreißcn — init Allgewalt bannst Du niich in Deine
göttliche Nähc, und cin rauhes Geschick rcißt niich grausani
wicder von Dir los. Lr aber, dcr Tyrann, der herzlos rauhe
Ukann, der Dich, erhabcnes Frauenbild nicht zu wiirdigen weiß,
in dessen beklcniincnder Nähe Du unverstandcn cin beklagens-
wertes Dasein fiihrst, hat das Rccht auf Deine stcte Nähe.
V ungerechtes, fluchwiirdiges Geschick! B einen Tag, einen
einzigen nur ungestört in Deinen Reizcn schwclgen, mit
kosenden Fingern in Deinein Goldgelock (o Loreley —)
spielen zu dürfen, laben dürfen den cntzückten Blick an deni
Schinelz Deiner Perlcnzähne, den frischen Farbcn Deines
göttlichcn Antlitzes; Rnhe suchcn für das trunkene lfaupt an
deineni schwellenden Busen — o Göttin, Göttin — nnd dann
stcrben dürfen — seligcr Tod, den mit allen Fibern scincr Seele
herbeisehnt Dein — Dein für inimer — Dein Iakob."
Lisenschmidt las den Brief und raste nicht; iin Gegenteil,
cr schniunzelte sogar; faltete ihn bedächtig zusaninien und legte
ihn an dieselbe Stelle des Teppichs nieder, von wo er ihn auf-
genoninicn hatte und wo ihn auch Frau Rosa, als sie später
angsterfüllt darnach suchtc, noch fand. lvas niittlcrwcile mit
deni Schreiben geschchen war, welch „unwürdige" Augen darauf
geruht hatten, konnte sie ihm so wenig ansehen, wie ihrcm
Gatten etwas anzumerken war von seiner Kenntnis der ge-
heimen Leidenschaften, die um ihn herum thätig warcn.
Lr hatte sich in sein Zimmer begeben, hier nach kurzem
Nachdenken einen Brief geschrieben, sich dann von seincm Diener
einc mäßig große Aiste bcsorgen lassen, in die er mit Linbruch
der Nacht, als seine schöne Frau schon längst den Schlaf der
Gerechten schlief, verschiedene, ihrem Toilettcntisch heimlich
cntnommene Gegenstände verpackte. lvohlverschnürt übergab
cr dann noch die Aiste dem draußen harrenden Friedrich mit
dem Auftrage, sie am nächsten lNorgen so früh wie möglich in
die lvohnung des stuä. tti. Aribscr zu schaffen. Schliefe letztercr
noch, so solle die lvirtin ihn ja wccken.
Alles geschah den Befehlen des lferrn Lisenschmidt gemäß.
Der Student wurde aus süßem Morgcntraum aufgeschrcckt mit
der Botschaft, daß an ihn eine Kiste von lferrn Lisenschmidt
zur sofortigen Annahme gelangt sei.
Lisenschmidt, Lisenschmidt. — Iakob vernahm nur diesen
Namen und sprang iiber lsals und Aopf aus dem Bette.
Lisenschmidt, das konnte nur Frau Lisenschmidt sein, und
was von ihr kam, konnte nur Gutes seinl Line Riste? Sollte
sie ein opulentes Friihstück enthalten? Zuzutrauen war dieser
verständigen Frau eine so zarte Aufmerksamkeit schon, und
Iakob aß gern, sehr gern etwas — nein, viel Gutes.
Dhne an eine weitere Bekleidung zu denken, machte er sich
über das Beffnen der Aiste her und mit gierig spähenden Augen
und schnupperndcr Nase versenkte sich des Studenten wirrlockiges
lfaupt in die hölzernc Tiefe. Mas er dann mit zitternder ksand
so nach und nach ans Tageslicht zog — achl Frühstücksingre-
dicnzen waren es nicht, ach nein, die waren es nichtl
Das Bcgleitschreiben dcs lferrn Lisenschmidt mag uns,
statt jedcr sonstigen Schilderung über den Jnhalt der Aiste be-
lehren. Ls lautete:
Lieber junger Freundl
lNit inniger Betriibnis ersehe ich aus einem an mcine liebe
Frau gerichtetcn Schreiben, in das ich zufällig Linsicht gewann,
welch gründlich salsche vorstellnng Sie von meinem Lharaktcr
haben. Sie irren wirklich, ein Tyrann bin ich nicht, wahrlich
nichtl Um Ihncn dies zu bcweisen, erfülle ich sogar Ihren so
ergreifcnd schwungvoll ausgedrücktcn lvunsch, cincn Tag lang in
dcn Rcizcn meiner Frau schwelgen zu könncn, so schwer die dadurch
aufcrlcgte Lntbehrung mich anch trifft. Aber ich bin kein
Lgoist, bin dics so wenig ivie ein Tyrann. Lmpfangen Sie also
die heißcrschntcn Reize meiner Fran, nun sch.velgen Sie, schwel-
gen Siel Sollte ihr weiterer lvunsch, danach sterbcn zu dürfen,
ebcnso prompt erfüllt werden, so werde ich von lferzen gern
mich unter die Leidtragenden mischen.
Ihr wohlwollcnder Gönncr und väterlicher Freund
Max Lisenschmidt.
Lin goldblondes Lockenchignon, ein noch ziemlich neues,
vorzüglich gearbeitetes, vollständiges Gcbiß, eine Schachtel
Pnder, eine starke Stange Teintschminke, eine Tafel Lippen-
pomade und reichliches Taillenfüllsel aus Gummielasticum, alles
säuberlich in eine Kiste vcrpackt, wurde dann im Laufe des
vormittages abgegeben bei lserrn Lisenschmidt, der tagelang
danach mit eigentümlichen Kratzwunden im Gesicht herumging,
währcnd seine liebe junge Frau zum Besuche bei einer Tante
weilte. Sie kehrte erst wieder in das lfaus ihres Mannes
zurück, nachdem die Tante ihr klar gemacht hatte, daß sie keine
Lust habe, eine mittcllose nnd nichtsthuerische Nichte durchzu-
füttcrn. Den lserrn Studiosus der Gottcsgelahrtheit, Iakob
Kribser dagegen hat man nie wieder im Lisenschmidtschen
lsause gesehen, wie auch nie wieder dort von ihm gesxrochen
wurde. lvie das zusammenhängt, weiß ich nicht.
Äin Unerreichbarer.
„rvas denken Sie, lferr Lieutenant, wenn Sie vor dem Spiegel
stehen?" — „Aeh, — Musterschutz unnötigl"
verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck und verlag I. F. Schrciber, beide in Lßlingen bei Stuttgart.
Geschäftsstelle in München: Äorneliusstratze 19.
LNeggendorfers Humoristische Biätter.
nur in ihre Tasche zu stecken. viel Mßgeschick wäre ihr da-
dnrch ersxart geblieben. So aber passierte cs Frau Rosa, daß
sie im Laufe des Nachmittags nach eincr kleinen häuslichen
Scene mit ihrein Gatten bis zu Thränen geriihrt, ihr Taschen-
tuch und damit auch unbewußt das Briefchen hervorzog. Das-
selbe fiel auf den Teppich, ohne von der ahnungslos zur Thiire
hinausrauschenden, schonen Frau beachtctet zu werden. Lisen-
schmidt dagcgen, der wenige Minuten später ebenfalls daran
vorübcrschritt, sah es und bückte sich darnach niit seinem ge-
wohnten Phlegnia, das ihn nierkwiirdiger kveise auch nicht
ini Stich ließ, als er folgende Zeilen las:
„Gottin meiner Seele l
Lin Rausch, cin Götterrausch I tobt niir durch dic Adcrn l
B Dn, Du — — Dul Und von Dir, von Dir niußte ich
niich losreißcn — init Allgewalt bannst Du niich in Deine
göttliche Nähc, und cin rauhes Geschick rcißt niich grausani
wicder von Dir los. Lr aber, dcr Tyrann, der herzlos rauhe
Ukann, der Dich, erhabcnes Frauenbild nicht zu wiirdigen weiß,
in dessen beklcniincnder Nähe Du unverstandcn cin beklagens-
wertes Dasein fiihrst, hat das Rccht auf Deine stcte Nähe.
V ungerechtes, fluchwiirdiges Geschick! B einen Tag, einen
einzigen nur ungestört in Deinen Reizcn schwclgen, mit
kosenden Fingern in Deinein Goldgelock (o Loreley —)
spielen zu dürfen, laben dürfen den cntzückten Blick an deni
Schinelz Deiner Perlcnzähne, den frischen Farbcn Deines
göttlichcn Antlitzes; Rnhe suchcn für das trunkene lfaupt an
deineni schwellenden Busen — o Göttin, Göttin — nnd dann
stcrben dürfen — seligcr Tod, den mit allen Fibern scincr Seele
herbeisehnt Dein — Dein für inimer — Dein Iakob."
Lisenschmidt las den Brief und raste nicht; iin Gegenteil,
cr schniunzelte sogar; faltete ihn bedächtig zusaninien und legte
ihn an dieselbe Stelle des Teppichs nieder, von wo er ihn auf-
genoninicn hatte und wo ihn auch Frau Rosa, als sie später
angsterfüllt darnach suchtc, noch fand. lvas niittlcrwcile mit
deni Schreiben geschchen war, welch „unwürdige" Augen darauf
geruht hatten, konnte sie ihm so wenig ansehen, wie ihrcm
Gatten etwas anzumerken war von seiner Kenntnis der ge-
heimen Leidenschaften, die um ihn herum thätig warcn.
Lr hatte sich in sein Zimmer begeben, hier nach kurzem
Nachdenken einen Brief geschrieben, sich dann von seincm Diener
einc mäßig große Aiste bcsorgen lassen, in die er mit Linbruch
der Nacht, als seine schöne Frau schon längst den Schlaf der
Gerechten schlief, verschiedene, ihrem Toilettcntisch heimlich
cntnommene Gegenstände verpackte. lvohlverschnürt übergab
cr dann noch die Aiste dem draußen harrenden Friedrich mit
dem Auftrage, sie am nächsten lNorgen so früh wie möglich in
die lvohnung des stuä. tti. Aribscr zu schaffen. Schliefe letztercr
noch, so solle die lvirtin ihn ja wccken.
Alles geschah den Befehlen des lferrn Lisenschmidt gemäß.
Der Student wurde aus süßem Morgcntraum aufgeschrcckt mit
der Botschaft, daß an ihn eine Kiste von lferrn Lisenschmidt
zur sofortigen Annahme gelangt sei.
Lisenschmidt, Lisenschmidt. — Iakob vernahm nur diesen
Namen und sprang iiber lsals und Aopf aus dem Bette.
Lisenschmidt, das konnte nur Frau Lisenschmidt sein, und
was von ihr kam, konnte nur Gutes seinl Line Riste? Sollte
sie ein opulentes Friihstück enthalten? Zuzutrauen war dieser
verständigen Frau eine so zarte Aufmerksamkeit schon, und
Iakob aß gern, sehr gern etwas — nein, viel Gutes.
Dhne an eine weitere Bekleidung zu denken, machte er sich
über das Beffnen der Aiste her und mit gierig spähenden Augen
und schnupperndcr Nase versenkte sich des Studenten wirrlockiges
lfaupt in die hölzernc Tiefe. Mas er dann mit zitternder ksand
so nach und nach ans Tageslicht zog — achl Frühstücksingre-
dicnzen waren es nicht, ach nein, die waren es nichtl
Das Bcgleitschreiben dcs lferrn Lisenschmidt mag uns,
statt jedcr sonstigen Schilderung über den Jnhalt der Aiste be-
lehren. Ls lautete:
Lieber junger Freundl
lNit inniger Betriibnis ersehe ich aus einem an mcine liebe
Frau gerichtetcn Schreiben, in das ich zufällig Linsicht gewann,
welch gründlich salsche vorstellnng Sie von meinem Lharaktcr
haben. Sie irren wirklich, ein Tyrann bin ich nicht, wahrlich
nichtl Um Ihncn dies zu bcweisen, erfülle ich sogar Ihren so
ergreifcnd schwungvoll ausgedrücktcn lvunsch, cincn Tag lang in
dcn Rcizcn meiner Frau schwelgen zu könncn, so schwer die dadurch
aufcrlcgte Lntbehrung mich anch trifft. Aber ich bin kein
Lgoist, bin dics so wenig ivie ein Tyrann. Lmpfangen Sie also
die heißcrschntcn Reize meiner Fran, nun sch.velgen Sie, schwel-
gen Siel Sollte ihr weiterer lvunsch, danach sterbcn zu dürfen,
ebcnso prompt erfüllt werden, so werde ich von lferzen gern
mich unter die Leidtragenden mischen.
Ihr wohlwollcnder Gönncr und väterlicher Freund
Max Lisenschmidt.
Lin goldblondes Lockenchignon, ein noch ziemlich neues,
vorzüglich gearbeitetes, vollständiges Gcbiß, eine Schachtel
Pnder, eine starke Stange Teintschminke, eine Tafel Lippen-
pomade und reichliches Taillenfüllsel aus Gummielasticum, alles
säuberlich in eine Kiste vcrpackt, wurde dann im Laufe des
vormittages abgegeben bei lserrn Lisenschmidt, der tagelang
danach mit eigentümlichen Kratzwunden im Gesicht herumging,
währcnd seine liebe junge Frau zum Besuche bei einer Tante
weilte. Sie kehrte erst wieder in das lfaus ihres Mannes
zurück, nachdem die Tante ihr klar gemacht hatte, daß sie keine
Lust habe, eine mittcllose nnd nichtsthuerische Nichte durchzu-
füttcrn. Den lserrn Studiosus der Gottcsgelahrtheit, Iakob
Kribser dagegen hat man nie wieder im Lisenschmidtschen
lsause gesehen, wie auch nie wieder dort von ihm gesxrochen
wurde. lvie das zusammenhängt, weiß ich nicht.
Äin Unerreichbarer.
„rvas denken Sie, lferr Lieutenant, wenn Sie vor dem Spiegel
stehen?" — „Aeh, — Musterschutz unnötigl"
verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck und verlag I. F. Schrciber, beide in Lßlingen bei Stuttgart.
Geschäftsstelle in München: Äorneliusstratze 19.