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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 28.1897 (Nr. 314-326)

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Nr. 323
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https://doi.org/10.11588/diglit.28504#0109
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Nieggendorfers Humoristische Blätter.

99

er Emir Abdullah, der Großvezier,
Hat einen Schreiber entlassen.
Der Schreiber war zwar gescheit, doch frech
— Der Emir läßt nicht mit sich spaßen.


Das Amtsgeheimnis.
Der Schreiber Hub klug zu reden an:
„G weiser Radi, Hörei
Ich stütze mich auf den Alkoran,
Drin steht: ,Gieb der Wahrheit die Ehre!'

„Wohl steht das alles im Alkoran,
Doch durftest Du's trotzdem nicht wagen,
Ich will aus demselben heiligen Buch
Ein anderes Sprüchlein Dir sagen:

Der Schreiber lief wutentbrannt davon
Und schrie: „Ihr Leute, wißt,
Der Emir Abdullah, der Großvezier,
So dumm wie ein Esel ist!"
Die Mär ging schnell von Mund zu Mund;
Ls dauerte kaum zwei Wochen,
So war dein Emir auch schon kund
Wer von ihm Uebles gesprochen.
Der Schreiber ward zum Radi citiert,
(Dein hatte der Linir befohlen:
„Daß mir der Lump verurteilt wird,
Sonst soll Dich der Scheitan holenl")

Und wer die Wahrheit gesprochen hat,
Sei heilig den Menschen allen,
Frei wandle er durch die Straßen der Stadt,
Fort aus des Gerichtes Hallen I
Nun habe, o weiser Radi, ich
Doch wirklich die Wahrheit gesprochen,
Der Großvezier ist wie ein Lsel so dumm,
Drum hab ich nichts Uebles verbrochen."
Der Radi strich durch den Silberbart
Mit seinen Fingern und sann,
Lin Lächeln sein Antlitz überflog
Und schmunzelnd sprach er alsdann:

Hier steht: ,wer des Amtes Geheimnis
Und unter die Leute plaudert, sverletzt,
Dem seien Peitschenhiebe versetzt,
Daß ihm die Haut davor schaudert ll
wenn das, was Du gesprochen hast,
Auch Wahrheit gewesen wäre,
So war es ein Amtsgeheimnis doch,
Deine Missethat bleibt eine schwere "
Dreihundert Hiebe der Schreiber bekam
Auf die Sohlen und auf den Rücken,
Noch tiefer sah man seitdem das Volk
Vor dem weisen Radi sich bücken.
Nr. Granarius.

Der latent-Neldstubt.

eit jeher war es meine Passion,
mich mit allein zu versorgen, was
unter dein bekannten Motto „un-
entbehrlich für jedermann" an No-
vitäten auftanchte und ich hatte
im Laufe der Jahre so viel von
derlei Gegenständen angesammelt,
daß ich — wenn ich alle diese Un-
entbehrlichkeiten immer mit
mir geführt hätte, — nie ohne Be-
gleitung eines Möbelwagens hätte
ausgehen dürfen. — Heute beim
Frühstück war mir wieder ein
großes Inserat in die Augen gefallen, in welchem mit dem
Aufwande der überschwänglichsten Superlative eine neue Er-
findung, der Patent-Feldstuhl, als größte Errungenschaft des
neunzehnten Jahrhunderts angexriesen wurde. Daß ein solches,
jedenfalls unentbehrliches Möbel, sofort in meinen Besitz
übergehen müßte, war selbstverständlich und so machte ich
mich denn auch augenblicklich auf den weg, ein Exemplar die-
ser größten Errungenschaft des neunzehnten Jahrhunderts zu
erwerben. Der höfliche Ladenbesitzer empfing mich äußerst
würdevoll. Man konnte in seinen Mienen das erhabene Be-
wußtsein lesen, einen berühmt werdenden Namen zu besitzen,
einen Namen, der noch» von. den spätesten Geschlechtern als der
des Patent-Feldstuhl-Erfinders genannt werden würde. — Auf
«nein Verlangen begann dieser Herr seinen Gegenstand zu
demonstrieren. Er that dies, mit Rücksicht auf das beschränkte
Fassungsvermögen eines Laien, in sehr ausführlicher Weise.
Der Patent-Feldstuhl war eigentlich nichts anderes, als ein
etwas korpulenter Spazierstock. Durch Abnahme des Rnopfes
teilte sich derselbe in drei Stäbe, welche in der Mitte kreuzweise
zusammen gehalten wurden und oben, durch Bänder verbunden,
einen Sitz frei ließen. Das war aber noch nicht alles. — wenn
man den Stuhl znklaxpte, ihn dann am unteren Ende faßte
und kräftig schwang, so entfaltete sich wie durch Zauberei ein
ziemlich umfangreicher Regenschirm. — Ich war entzückt I —
Nachdem ich dem genialen Erfinder mein Rompliment gemacht

hatte, zahlte ich den geforderten Preis und eilte glücklich im
Besitze meines Wunderwerkes von dannen.
Auf der Straße schritt ich langsam dahin, wollte ich doch allen
Vorübergehenden Gelegenheit geben, mein neues Eigentum zu
bewundern. Diesen Zweck erreichte ich in einer jede Erwartung
übertreffenden Weise, ohne daß ich mich nur im mindesten zu
bemühen brauchte. Aller Augen richteten sich auf meinen um-
fangreichen Spazierstock, viele Blicke hafteten mit einer gewissen
Scheu auf mir und manche Passanten wichen mir schon von
weitem mit besorgter Miene aus. Ich mußte mir wohl selbst
gestehen, daß mein Aussehen — mit dem unheimlichen Instru-
ment an der Seite — allerdings sehr wenig „vertrauener-
regendes" besitzen mochte, auch war das Ding ziemlich schwer
und durchaus nicht angenehm zu tragen. Doch, das waren
kleine Uebelstände und ich tröstete mich mit dein Gedanken an
die großen Vorteile dieser neuen Erfindung. Dieser Prügel,
den ich da mit mir schleppte, wird ja bald nichts Auffallendes
mehr an sich haben und alle die, welche mich jetzt mit zweifel-
haften Blicken mustern, werden in kurzem gewiß selbst einen
Patentstuhl tragen. Dieses Möbel ist doch unentbehrlich für
jedermann, wie mir der Erfinder persönlich versicherte und
ich war gewiß der Erste, der ein solches besaß. — Welches
Bewußtsein I —
Auf die Dauer aber wurde mir die Sensation, welche meine
Reule erregte, doch etwas peinlich und ich beschloß einen
Spaziergang in den abgelegenen und ziemlich menschenleeren
Auen zu machen. Dort konnte ich auch die Vorteile des Patent-
stuhles gleich praktisch erproben. —
Gedacht — gethanl —
Ich schlug mich seitwärts in die Büsche. Weit und breit
war niemand zu sehen und in einer einsamen Allee begann ich
mein Zelt aufzuschlagen. Die Eisenspitze des Stockes wurde in
das feuchte Erdreich gebohrt, der Rnopf abgeschraubt und ich
nahm auf meinem improvisierten Sitze Platz. — Man saß aller-
dings nicht ganz bequem, die Sitzfläche war sehr beschränkt, so
daß man beständig balanzieren mußte, um das Gleichgewicht
zu erhalten, auch fehlte die Lehne, so daß von einem wirklichen
Ansruhen eigentlich keine Rede sein konnte. Das war nun
 
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