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^Neggendorfsrs humoristische Blätter.
wenige Wochen sind seitdem vergangen. Es ist ein schöner,
frischer Wintertag. In Breslau am Wassergange wogt eine
bunte Menge, den Schlittschuhläufern auf dein Stadtgraben zu-
sehend. Die Kapelle des Leib-Kürrassierregiments spielt einen
Strauß'schen Walzer. Unter den Zuschauern sieht man auch
die schlanken Gestalten zweier Infanterieoffiziere, die in leb-
haftem Gespräch begriffen sind, plötzlich wird der eine von
ihnen mit dein martialischen Schnurrbart und den kecken, blauen
Augen unruhig und sagt, den andern auf eine hübsche, junge
Dame aufmerksam machend, die nicht weit von ihnen ebenfalls
das frohe Treiben auf dein Eise beobachtet: „Alle Wetter,
Zinken, das ist sie!" Der Kamerad erblaßt: „Fräulein Rad-
nitzki?" frägt er mit bebenden Lippen, „wer denn sonst, nun
aber schnell hin zu ihr!"
Rungert, denn kein anderer ist's, hält ihn zurück. „Du ich
möchte lieber
weggehen, ich
störe ja doch
bloß!" - „I
bewahre, Du
kommst mit!"
Dein armen
Lieutenant
tritt derAngst-
schweißaufdie
Stirne.
Er will sich
losmachen und
das weite su¬
chen. Zu spät.
Eben sieht
diejungeDaine
zu ihnen hin,
Reitzenstein
läuft ihr freu¬
destrahlend be-
flügelten Schrittes entgegen, den Freund mit sich ziehend.
„Dann um alles in der Welt, nenne einen falschen Namen,
wenn Du mich ihr vorstellstI" flüstert er ihm hastig zu. Aber
Reitzenstein sieht nicht die (Dualen des bösen Gewissens auf dem
Antlitz des Freundes und hört nicht, was dieser sagt. In
Rungerts Kopf tritt der eine Gedanke mit furchtbarer Deut-
lichkeit hervor: „Jetzt wird es schrecklich tagenl"
Errötend reicht Fräulein Radnitzki ihr niedliches Händchen
dem Herrn von Reitzenstein, der ihr gar nicht genug versichern
kann, wie er sich freut, sie zu sehen. Dann erledigt er sich seiner
Pflicht und stellt ihr den Kameraden vor: „Gestatten Gnädigste,
Herr Premierlieutenant Rungert — -— — "
Das junge Mädchen zuckt zusammen, als er diesen Namen
nennt und ein Zug eisiger Kälte und hochmütiger Zurückhaltung
entstellt ihre anmutigen Züge. Sie entsinnt sich plötzlich, keine
Zeit mehr zu haben, grüßt mit einein kaum merklichen Neigen
des lockigen Köpfchens und verschwindet im Gedränge. Reitzen-
stein steht da, wie versteinert, „was sollte denn das heißen?
Diese Veränderung ihres BenehmensI Ich kann mir absolut
nicht erklären — — — "
„Aber ich!" sagt Rungert leise und schuldbewußt, dann
nimmt er-den Arm des Freundes und mit ihm weiterschreitend
beichtet er die ganze Geschichte. Er erzählt alles und schont
sich nicht. Seine Vergeßlichkeit, der unheilvolle Mißgriff seines
Burschen, dann seine Ueberraschung, als er zwei Tage darauf
das Bouquet zurückgeschickt erhält, alles, alles kommt zu Tage.
Reitzenstein will erst auffahren und ernstlich böse werden, aber
des Freundes Verzweiflung ist so echt, seine Reue so ehrlich,
daß er lächeln muß — und verzeiht. „Deine einzige Strafe
soll sein, Zinken, daß Du mir jetzt rätst, was zu thun seil"
„weißt Du
üenn, wo die
junge Dame
wohnt, La-
tinka?"
„Ich glaube
es wenigstens
zu wissen. Sie
hat eine Tante
hier, deren
Adresse ich
kenne. Sicher
logiert sie
dort!"
Dann ist
ja alles gul.
Schreibe an sie,
kläre die ganze
Geschichte auf,
schick ihr den
Brief durch
Deinen Burschen mit einein schönen Blumenstrauß — kannst
ihn ja selbst kaufen und den braven Kuxitschka bis zu den:
betreffenden Hause begleiten, damit er sich nicht verläuft —
und bitte sie, falls sie nicht mehr zürne, Dir durch ein paar
Zeilen mitzuteilen, ob und wann Du nach Hirschberg zu ihren
Eltern fahren darfstI"
„Famos! Zinken, Du bist ein Universalgenie, trotz Deiner
zeitweiligen Latschigkeit! werde mir einen Rippenstoß geben,
um meine Aversion gegen alles Schriftliche zu überwinden, und
will alles thun, wie Du es sagtest!"
Der Rat des Freundes war diesmal wirklich gut. Das
sagte sich Reitzenstein, als er am Abend desselben Tages in
glücklichster Stimmung ein Briefchen an seine Lippen drückte,
dessen vielbedeutender Inhalt in lakonischer Kürze lautete:
„Reisen Sie morgen abl"
(Lin Münchener Kindl.
„Nun, wie macht sich denn Dein Stammhalter?"
„Gut, ausgezeichnet — bei jeden: Wirtshaus hat er
schon Durst!"
Reservierter Vtcch.
„warum befestigen Sie denn alle Lotilton-Grden am
Aermel, Herr Lieutenant, und nicht auf der Brust?"
Lieutenant (die Hand auf die undekorierte Brust legend): „Ge-
heiligte Stätte, Gnädige!"
Hausbacken.
„Aber, meine Liebe, ich begreife Ihre ewige Unzufrieden-
heit nicht — Ihr Mann ist doch so berühmt!"
„Nun, das ist aber auch alles!"
Tiefer Mick.
„Ich kann Ihre ewigen Witzeleien über die Schwieger-
mütter nicht begreifen ... werden doch auch unsere Frauen
einmal solche!"
„Na ja, bis dahin — sind sie auch reif dazu!"
Verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck und Verlag von I. F. Schreiber, beide in Eßlingen bei Stuttgart.
Geschäftsstelle in München, Schuberkstratze 6.
^Neggendorfsrs humoristische Blätter.
wenige Wochen sind seitdem vergangen. Es ist ein schöner,
frischer Wintertag. In Breslau am Wassergange wogt eine
bunte Menge, den Schlittschuhläufern auf dein Stadtgraben zu-
sehend. Die Kapelle des Leib-Kürrassierregiments spielt einen
Strauß'schen Walzer. Unter den Zuschauern sieht man auch
die schlanken Gestalten zweier Infanterieoffiziere, die in leb-
haftem Gespräch begriffen sind, plötzlich wird der eine von
ihnen mit dein martialischen Schnurrbart und den kecken, blauen
Augen unruhig und sagt, den andern auf eine hübsche, junge
Dame aufmerksam machend, die nicht weit von ihnen ebenfalls
das frohe Treiben auf dein Eise beobachtet: „Alle Wetter,
Zinken, das ist sie!" Der Kamerad erblaßt: „Fräulein Rad-
nitzki?" frägt er mit bebenden Lippen, „wer denn sonst, nun
aber schnell hin zu ihr!"
Rungert, denn kein anderer ist's, hält ihn zurück. „Du ich
möchte lieber
weggehen, ich
störe ja doch
bloß!" - „I
bewahre, Du
kommst mit!"
Dein armen
Lieutenant
tritt derAngst-
schweißaufdie
Stirne.
Er will sich
losmachen und
das weite su¬
chen. Zu spät.
Eben sieht
diejungeDaine
zu ihnen hin,
Reitzenstein
läuft ihr freu¬
destrahlend be-
flügelten Schrittes entgegen, den Freund mit sich ziehend.
„Dann um alles in der Welt, nenne einen falschen Namen,
wenn Du mich ihr vorstellstI" flüstert er ihm hastig zu. Aber
Reitzenstein sieht nicht die (Dualen des bösen Gewissens auf dem
Antlitz des Freundes und hört nicht, was dieser sagt. In
Rungerts Kopf tritt der eine Gedanke mit furchtbarer Deut-
lichkeit hervor: „Jetzt wird es schrecklich tagenl"
Errötend reicht Fräulein Radnitzki ihr niedliches Händchen
dem Herrn von Reitzenstein, der ihr gar nicht genug versichern
kann, wie er sich freut, sie zu sehen. Dann erledigt er sich seiner
Pflicht und stellt ihr den Kameraden vor: „Gestatten Gnädigste,
Herr Premierlieutenant Rungert — -— — "
Das junge Mädchen zuckt zusammen, als er diesen Namen
nennt und ein Zug eisiger Kälte und hochmütiger Zurückhaltung
entstellt ihre anmutigen Züge. Sie entsinnt sich plötzlich, keine
Zeit mehr zu haben, grüßt mit einein kaum merklichen Neigen
des lockigen Köpfchens und verschwindet im Gedränge. Reitzen-
stein steht da, wie versteinert, „was sollte denn das heißen?
Diese Veränderung ihres BenehmensI Ich kann mir absolut
nicht erklären — — — "
„Aber ich!" sagt Rungert leise und schuldbewußt, dann
nimmt er-den Arm des Freundes und mit ihm weiterschreitend
beichtet er die ganze Geschichte. Er erzählt alles und schont
sich nicht. Seine Vergeßlichkeit, der unheilvolle Mißgriff seines
Burschen, dann seine Ueberraschung, als er zwei Tage darauf
das Bouquet zurückgeschickt erhält, alles, alles kommt zu Tage.
Reitzenstein will erst auffahren und ernstlich böse werden, aber
des Freundes Verzweiflung ist so echt, seine Reue so ehrlich,
daß er lächeln muß — und verzeiht. „Deine einzige Strafe
soll sein, Zinken, daß Du mir jetzt rätst, was zu thun seil"
„weißt Du
üenn, wo die
junge Dame
wohnt, La-
tinka?"
„Ich glaube
es wenigstens
zu wissen. Sie
hat eine Tante
hier, deren
Adresse ich
kenne. Sicher
logiert sie
dort!"
Dann ist
ja alles gul.
Schreibe an sie,
kläre die ganze
Geschichte auf,
schick ihr den
Brief durch
Deinen Burschen mit einein schönen Blumenstrauß — kannst
ihn ja selbst kaufen und den braven Kuxitschka bis zu den:
betreffenden Hause begleiten, damit er sich nicht verläuft —
und bitte sie, falls sie nicht mehr zürne, Dir durch ein paar
Zeilen mitzuteilen, ob und wann Du nach Hirschberg zu ihren
Eltern fahren darfstI"
„Famos! Zinken, Du bist ein Universalgenie, trotz Deiner
zeitweiligen Latschigkeit! werde mir einen Rippenstoß geben,
um meine Aversion gegen alles Schriftliche zu überwinden, und
will alles thun, wie Du es sagtest!"
Der Rat des Freundes war diesmal wirklich gut. Das
sagte sich Reitzenstein, als er am Abend desselben Tages in
glücklichster Stimmung ein Briefchen an seine Lippen drückte,
dessen vielbedeutender Inhalt in lakonischer Kürze lautete:
„Reisen Sie morgen abl"
(Lin Münchener Kindl.
„Nun, wie macht sich denn Dein Stammhalter?"
„Gut, ausgezeichnet — bei jeden: Wirtshaus hat er
schon Durst!"
Reservierter Vtcch.
„warum befestigen Sie denn alle Lotilton-Grden am
Aermel, Herr Lieutenant, und nicht auf der Brust?"
Lieutenant (die Hand auf die undekorierte Brust legend): „Ge-
heiligte Stätte, Gnädige!"
Hausbacken.
„Aber, meine Liebe, ich begreife Ihre ewige Unzufrieden-
heit nicht — Ihr Mann ist doch so berühmt!"
„Nun, das ist aber auch alles!"
Tiefer Mick.
„Ich kann Ihre ewigen Witzeleien über die Schwieger-
mütter nicht begreifen ... werden doch auch unsere Frauen
einmal solche!"
„Na ja, bis dahin — sind sie auch reif dazu!"
Verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck und Verlag von I. F. Schreiber, beide in Eßlingen bei Stuttgart.
Geschäftsstelle in München, Schuberkstratze 6.