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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 28.1897 (Nr. 314-326)

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Nr. 326
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https://doi.org/10.11588/diglit.28504#0140
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Meggendorfers humoristische Blätter.


den: er alles gethan, wie die kluge Frau ihm augerateu, ging
er in den Grünewald und schlief ein. Als er erwachte, war
seine Uhr verschwunden, vor ihm aber stand, vom Mondschein-
licht umflossen, eine rätselhafte Gestalt, wie er eine solche noch
nie gesehen hatte. Ihr Gewand bestand aus Stullenpapier am
Saume des Kleides klapperten tausende Eierschalen.
„Ich bin die Fee Unverfrorenheit," so redete sie den vor
Frost und Schrecken zitternden Schneider an. „Ich weiß, was


Dich zu mir führt. Du hast keine Meinung. Das ist allerdings
ein Unglück. Ich will Dir helfen."
Und hiebei überreichte sie ihm ein seltsames Instrument,
das weder Siemens noch Edison kennen. „Don diesen: Instru-
ment'," so erläuterte sie ihm, „führen unsichtbare Fäden nach
drei verschiedenen Richtungen. Drehst Du es einmal in der
Tasche um, dann bekommst Du eine schöne, hohe, sittliche Mei-
nung, denn die Fäden gehen zur „Fee der Ideale" und die
wird Dir dann alle Worte zuflüstern, die Du brauchst. Drehst
Du es zweimal um, dann soufliert Dir die „Fee Nützlichkeit"
eine praktische Meinung, wendest Du es dreimal, dann höre
ich Dich und dann — brauchst Du gar keine Meinung, sondern
machst selber eine."
Damit verschwand sie und mein Schneider hätte an den
Spuck nicht geglaubt, wenn er nicht das merkwürdige Instru-
ment wirklich in seiner pand gehabt hätte.
Seine Frau schimpfte zwar über sein langes Ausbleiben.
Aber was kümmerte ihn das jetzt, wo er seine Meinung hatte?
Er versuchte bei nächster Gelegenheit den Zauber, drehte
den wunderbaren Apparat und sprach erhabene Worte. Aber
die Leute lachten darüber und hielten ihn für verrückt.
Und als er seinen Taschenapparat zweimal umdrehte und
die „Fee Nützlichkeit" ihn mit telephonischer Geschwindigkeit die
praktischsten Worte zulispelte, da äußerten sie, das lasse sich
zwar eher hören, sei aber von anderen schon gesagt worden.

Da wurde er zornig und drehte das Wunderinstrument
dreimal um. Die „Fee Unverfrorenheit" stand ihn: zur Seite
und alle erstaunten baß.
Was ist aus dem Schneider geworden I
Er sprach eine halbe Stunde lang mit Pathos und Feuer
und lebhaften Gesten, Worte, Worte, ohne ein Körnchen Sinn,
er blendete, begeisterte, riß die Zuhörer mit sich fort, es wor-
ein Beifallsorkan, ein Beisallstoben.
Die Fee Unverfrorenheit hatte ihr Wort gehalten und hält
es weiter.
Er braucht nun keine Meinung von anderen mehr, er macht
selbst — Meinung und die anderen tragen sie so gern wie
seine Röcke!

Vosbast.
„Aber Gretchen, so allein mit dem Lieutenant im Park
spazieren zu geh'n! Du mußt's ihn: doch nicht zu mundge-
recht machen!"

Anvcrffanden.


Alte Jungfer: „Ich fühle mich heute so jung — schade, daß
mich niemand um mein Alter fragt."

Verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck und Verlag von I. F. Schreiber, beide in Eßlingen bei Stuttgart.
Geschäftsstelle in München, Schubrrtsteatze 6.
 
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