Bkeggendorfers Humoristische Blätter.
59
AnMlich.
Fräulein: „Schämen Sie sich nicht, so jung und schon bettelnI"
Bettler: „wer weiß, ob ich so alt werde, wie Siel"
Hin verzweifelter Nass.
Humoreske von Wilhelm Mchger-Wvi,tt
ihr fehlte? Ja, wer das mit Bestimmtheit anzu-
/ geben vermocht hätteI Lin Teil ihrer Bekannten,
-— der gutgesinnte, wohlwollende Teil — behauptete:
„Rinder". Lin anderer — der boshafte, gefiihlsrohe Teil —
meinte: „prügel".
So divergierten die Ansichten in Laienkreisen
Die sind jedoch keineswegs maßgebend, wenn es sich um sani-
täre Fragen handelt. Und darum handelte sich's bei der jungen,
hübschen Frau Mathilde.
Sie hatte alles, was ihr Perz begehrte. So behauptete die
Welt, und die inußte das wissen. Allerdings — daß ihr Gatte
fast dreißig Jahre älter war, als die kaum sechsundzwanzig-
jährige, niedliche Rommerzienrätin, das war immerhin ein Um-
stand , der etwas anders hätte sein dürfen. Aber was thut
nicht ein armes, elternloses Mädchen, wenn sich ihm die ver-
lockende Aussicht bietet, Frau Rommerzienrätin zu werden,
zumal wenn der Freier nicht eine steife, langweilige Respekts-
person oder ein verknöcherter Zahlenmensch, sondern, wie
Rommerzienrat Feldner, ein liebenswürdiger Ravalier ist, wel-
chen das herannahende Alter nur äußerlich zu streifen vermochte,
während ihm im Perzen noch eine gute Dosis jugendlichen
Frohsinns wohnt!
Rinder fehlten der kommerzienrätlichen Lhe freilich. Da
half auch weder Marienbad, noch das 'berühmte Bad Llster,
wo die Störche doch sonst häufig genug so gefällig sind. Diese
Bäder und noch einige andere hatte Frau Mathilde schon ver-
gebens besucht, — „immer mit ihrem Mann zusammen, ja, hur
ja" — flüsterten sich kenntnisreiche ältere Damen in den Kaffee-
gesellschaften bedeutungsvoll zu, um dann, nachdem sie schein-
heilige Blicke getauscht, die Stricknadeln und päkelhaken desto
emsiger zu handhaben. —
Frau Mathilde war also leidend. Monatelang hatte sie
der alte, brave Pausarzt schon in Behandlung, aber eine Besser-
ung war nicht zu konstatieren. Nicht, daß die junge Frau
bettlägerig gewesen wäre, 0 nein; sie ritt, fuhr spazieren, trank
nach einer täglichen, längeren Fußtour ihr vorgeschriebenes
(Puantum kuhwarme Milch — aber ihr reizbares, unstätes Wesen,
ihre hochgradige Nervosität, ihre Schlaflosigkeit und eine Legion
anderer Uebel mehr wollten nicht weichen.
„verehrter perr Sanitätsrat", wandte sich da der Rommer-
zienrat, dem die Sache auf die Dauer ängstlich wurde, an den
erfahrenen Pausarzt — „verehrter perr Sanitätsrat, Sie behan-
deln nun meine liebe Gattin schon so lange, ohne daß wir leider
eine Wendung zum Besseren sehen."
„Das stimmt", meinte der biedere Doktor phlegmatisch.
„Und weil das so ist," fuhr der Rommerzienrat nach einer
kleinen Verlegenheitspause fort, „wollte ich einmal mit Ihnen
Rücksprache nehmen, ob es nicht empfehlenswert sei, wenn ich
mit meiner lieben Frau nach der Residenz zu unserm berühmten
Professor Flechtenhauer fahren und diesem die weitere Behand-
lung überlassen würde."
„Das konnten Sie ohnedies thun, perr Rommerzienrat",
erwiderte der Sanitätsrat kühl, „dazu brauchten Sie nicht erst
mein Urteil."
„verstehen Sie mich nicht falsch, um Gottes willen nicht,"
beeilte Frau Mathildens Gatte sich, den Arzt zu beschwichtigen.
„Ich möchte meine Frau doch nicht ohne einen eingehenden
Krankenbericht von Ihnen dein Professor übergeben. Sie kennen
meiner Gattin Natur und da halte ich es doch für sehr wichtig,
wenn Sie uns ein eingehend gehaltenes Schreiben an Professor
Flechtenhauer mitgäben. Das werden Sie mir doch nicht ab-
schlagen, nicht wahr?"
„Und Sie versprechen sich von diesem schriftlichen Rrank-
heitsbericht etwas?"
„Aber natürlich, bester perr Sanitätsrat, natürlich! würde
ich Sie sonst darum bitten?"
„Nun, ich werde Ihnen den willen thun, mein verehrter
perr Rommerzienrat. Den Brief an den Professor können Sie
morgen Nachmittag bei mir abholen lassen."
Unter lebhaften Dankesworten verabschiedete sich Feldner. —
Als am nächsten Tage das ominöse Schriftstück in des
Rommerzienrats pänden war, ließ es der guten Frau Mathilde
keine Ruhe. Raum hatte ihr Gatte das paus verlassen, als
sie an seinen Schreibtisch eilte und das versiegelte Schriftstück
an sich nahm, welches unter dem broncenen Briefbeschwerer
lag. Der Rommerzienrat hatte sich nicht erst die Mühe gegeben,
den Brief wegzuschließen, da bereits für den nächsten Morgen
die Reise geplant war, und was man offen vor sich liegen sieht,
vergißt man bekanntlich nicht so leicht, als was den Blicken
verborgen ist.
Da hielt nun die hübsche Frau den schrecklichen Brief, der
ihr Leiden bis in die kleinste Einzelheit beschrieb, in ihren
pändenI Und dieser brummige Sanitätsrat war ihr gegenüber
nie mit der Sprache herausgerückt, hatte ihr niemals reinen
59
AnMlich.
Fräulein: „Schämen Sie sich nicht, so jung und schon bettelnI"
Bettler: „wer weiß, ob ich so alt werde, wie Siel"
Hin verzweifelter Nass.
Humoreske von Wilhelm Mchger-Wvi,tt
ihr fehlte? Ja, wer das mit Bestimmtheit anzu-
/ geben vermocht hätteI Lin Teil ihrer Bekannten,
-— der gutgesinnte, wohlwollende Teil — behauptete:
„Rinder". Lin anderer — der boshafte, gefiihlsrohe Teil —
meinte: „prügel".
So divergierten die Ansichten in Laienkreisen
Die sind jedoch keineswegs maßgebend, wenn es sich um sani-
täre Fragen handelt. Und darum handelte sich's bei der jungen,
hübschen Frau Mathilde.
Sie hatte alles, was ihr Perz begehrte. So behauptete die
Welt, und die inußte das wissen. Allerdings — daß ihr Gatte
fast dreißig Jahre älter war, als die kaum sechsundzwanzig-
jährige, niedliche Rommerzienrätin, das war immerhin ein Um-
stand , der etwas anders hätte sein dürfen. Aber was thut
nicht ein armes, elternloses Mädchen, wenn sich ihm die ver-
lockende Aussicht bietet, Frau Rommerzienrätin zu werden,
zumal wenn der Freier nicht eine steife, langweilige Respekts-
person oder ein verknöcherter Zahlenmensch, sondern, wie
Rommerzienrat Feldner, ein liebenswürdiger Ravalier ist, wel-
chen das herannahende Alter nur äußerlich zu streifen vermochte,
während ihm im Perzen noch eine gute Dosis jugendlichen
Frohsinns wohnt!
Rinder fehlten der kommerzienrätlichen Lhe freilich. Da
half auch weder Marienbad, noch das 'berühmte Bad Llster,
wo die Störche doch sonst häufig genug so gefällig sind. Diese
Bäder und noch einige andere hatte Frau Mathilde schon ver-
gebens besucht, — „immer mit ihrem Mann zusammen, ja, hur
ja" — flüsterten sich kenntnisreiche ältere Damen in den Kaffee-
gesellschaften bedeutungsvoll zu, um dann, nachdem sie schein-
heilige Blicke getauscht, die Stricknadeln und päkelhaken desto
emsiger zu handhaben. —
Frau Mathilde war also leidend. Monatelang hatte sie
der alte, brave Pausarzt schon in Behandlung, aber eine Besser-
ung war nicht zu konstatieren. Nicht, daß die junge Frau
bettlägerig gewesen wäre, 0 nein; sie ritt, fuhr spazieren, trank
nach einer täglichen, längeren Fußtour ihr vorgeschriebenes
(Puantum kuhwarme Milch — aber ihr reizbares, unstätes Wesen,
ihre hochgradige Nervosität, ihre Schlaflosigkeit und eine Legion
anderer Uebel mehr wollten nicht weichen.
„verehrter perr Sanitätsrat", wandte sich da der Rommer-
zienrat, dem die Sache auf die Dauer ängstlich wurde, an den
erfahrenen Pausarzt — „verehrter perr Sanitätsrat, Sie behan-
deln nun meine liebe Gattin schon so lange, ohne daß wir leider
eine Wendung zum Besseren sehen."
„Das stimmt", meinte der biedere Doktor phlegmatisch.
„Und weil das so ist," fuhr der Rommerzienrat nach einer
kleinen Verlegenheitspause fort, „wollte ich einmal mit Ihnen
Rücksprache nehmen, ob es nicht empfehlenswert sei, wenn ich
mit meiner lieben Frau nach der Residenz zu unserm berühmten
Professor Flechtenhauer fahren und diesem die weitere Behand-
lung überlassen würde."
„Das konnten Sie ohnedies thun, perr Rommerzienrat",
erwiderte der Sanitätsrat kühl, „dazu brauchten Sie nicht erst
mein Urteil."
„verstehen Sie mich nicht falsch, um Gottes willen nicht,"
beeilte Frau Mathildens Gatte sich, den Arzt zu beschwichtigen.
„Ich möchte meine Frau doch nicht ohne einen eingehenden
Krankenbericht von Ihnen dein Professor übergeben. Sie kennen
meiner Gattin Natur und da halte ich es doch für sehr wichtig,
wenn Sie uns ein eingehend gehaltenes Schreiben an Professor
Flechtenhauer mitgäben. Das werden Sie mir doch nicht ab-
schlagen, nicht wahr?"
„Und Sie versprechen sich von diesem schriftlichen Rrank-
heitsbericht etwas?"
„Aber natürlich, bester perr Sanitätsrat, natürlich! würde
ich Sie sonst darum bitten?"
„Nun, ich werde Ihnen den willen thun, mein verehrter
perr Rommerzienrat. Den Brief an den Professor können Sie
morgen Nachmittag bei mir abholen lassen."
Unter lebhaften Dankesworten verabschiedete sich Feldner. —
Als am nächsten Tage das ominöse Schriftstück in des
Rommerzienrats pänden war, ließ es der guten Frau Mathilde
keine Ruhe. Raum hatte ihr Gatte das paus verlassen, als
sie an seinen Schreibtisch eilte und das versiegelte Schriftstück
an sich nahm, welches unter dem broncenen Briefbeschwerer
lag. Der Rommerzienrat hatte sich nicht erst die Mühe gegeben,
den Brief wegzuschließen, da bereits für den nächsten Morgen
die Reise geplant war, und was man offen vor sich liegen sieht,
vergißt man bekanntlich nicht so leicht, als was den Blicken
verborgen ist.
Da hielt nun die hübsche Frau den schrecklichen Brief, der
ihr Leiden bis in die kleinste Einzelheit beschrieb, in ihren
pändenI Und dieser brummige Sanitätsrat war ihr gegenüber
nie mit der Sprache herausgerückt, hatte ihr niemals reinen