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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 30.1897 (Nr. 340-353)

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Nr. 348
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https://doi.org/10.11588/diglit.28506#0089
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Meggendorfers Humoristische Blätter.

85

Wie das Glück blind wurde.

von Alois E. Tluchor.

I eber der heiligen Stadt Benares glänzte der Pimmel im
Demantschimmer seiner Sternenheere, und in den klaren
Fluten des Ganges spiegelte sich die ganze unbeschreib-
liche Pracht. Die Bewohner aber lagen in tiefem Schlafe.
„Schi" — — flog von: Zenithe abwärts eine bläulich
schimmernde Sternschnuppe, schwebte einige Augenblicke über
der schlafenden Stadt und senkte sich sanft hernieder. Aber es
war keine Sternschnuppe; es war das Glück, das sich herabließ
zur Erde. Raum hatte es den Erdboden berührt, erhielt es
die Gestalt eines wundersam schönen Weibes. Sein Antlitz
war blendend weiß wie der ewige Schnee des pimalaya, nur
seine Wangen schimmerten in sanfter Röte, wie der erste pauch
des Morgenrotes. Weiche, seidenglänzende Schuhe umhüllten die
niedlichen Füße, welche auf einer kristallenen, in allen Regen-
bogenfarben schimmernden Angel ruhten.
Leise klingend rollte die Äugel durch die Gassen der Tempel
und Priesterpaläste dahin, und das überirdische Weib schwebte
über ihr. Die neue Bewohnerin der Erde suchte eine Perberge;
aber alle Thüren waren verschlossen, wer konnte auch wissen,
daß das Glück gerade einkehren wollte? Sie rollte lange, lange
fort und lenkte auf bambusumschattetem Pfade tief in das
Dickicht der Dschungeln ein, wo sie vor einer ärmlichen pütte
anhielt, die zwischen vier Bambusstämmen hoch über der Erde
in: winde schwankte, wie das Nest eines Vögleins im Röhricht.
Aeine Leiter und keine Stiege war zu sehen.
Das wunderbare Weib schwebte auf der Ar^stallkugel empor,
und betrachtete sich das Innere der pütte. In der einzigen
Stube war nichts zu sehen, als ein schlichtes Lager, ein Wasser-
krug und ein päuflein Früchte, während die kristallene Äugel
unter ihren Füßen gleich einer Seifenblase zerfloß, trat sie ein
und streckte sich auf das ärmliche Lager.
Sie lag in: ersten Schlummer, als ein Mann vorsichtigen
Schrittes der pütte sich näherte. Er zog eine schmale Bambus-
leiter aus den: Dschungel, wo sie versteckt gewesen, legte sie an
die wand der pütte und klomm zur Thür hinan.
Aaum aber hatte er den Vorhang gehoben, als er über-
rascht, staunend und erschrocken innehielt.
Berauschender Duft, süßer als der Atem der Lotosblumen,
quoll ihm entgegen, und schimmernd in nie geahnter Schönheit
sah er ein Weib auf seinem Bette schlummern. „Allmächtiger
Brahma" murmelte der Betroffene, „schütze gnädig mein Paupt,

daß kein Brahmine erfährt, eine Bajadere habe unter meinem
Dache geruht." — Da hob die Schlummernde ihre Lider und
sah ihn: freundlich lächelnd und bittend zugleich ins Gesicht.
„Fürchte Dich nicht", sprach sie, „ich bin zu Deinem peile bei
dir eingekehrt: die päuser der Reichen waren geschlossen."
„warum schläfst du nicht bei Deinen ^Schwestern im Be-
reiche Deines Tempels?" fragte der Arme; „schöne Bajadere,
weißt Du denn nicht, daß ich ärmster Paria grausam verstümmelt
werde, wenn es die Priester erfahren, daß ich Dich beherbergte?"
„Ich bin keine Dewadasi und werde nicht entweiht durch
Deine pütte, mich kennt kein Brahmine, und kein Tempel ist
mein peim. Ich komme aus dein Reiche der Seligen, die
hoch über dem Sternenmeer der Milchstraße wohnen. Ich bin
,das Glückß nach dem die Menschheit seufzt, und bin zu Euch
gekommen, um Eure wünsche zu erfüllen, Euch glücklich zu
machen, und Du armer Paria, dessen gastliche pütte mein erstes
Gbdach ist, sollst der erste sein, der das Glück sein nennt. Ich
will nicht von Deiner Seite weichen. Ich will für Dich schauen,
nenne mich ,Aksü; ich will Dich lieb haben wie einen Bruder,
und ,Bhratar^ sollen meine Lippen Dich nennen. Unsichtbar den
andern — so oft dies nötig — will ich Dich geleiten auf allen
Deinen Wegen, will die geheimsten Deiner Wünsche Dir ab-
lauschen und sie erfüllen."
„Ich aber bin wunschlos" erwiderte der Mann. „Pier, wo
ich, fern von Benares, im Schutze Brahmas als Nachbar der
Tiger und Riesenschlangen im Dickicht der Dschungeln Hause,
kennen mich die andern pindus nicht, und ich kenne ihre Be-
dürfnisse nicht, noch ihre wünsche, willst Du bei mir weilen,
so bleib solange es Dich freut; kümmere Dich aber nicht um
mich und laß Dich im Schlummer nicht stören." — Müde wie er
war, streckte er sich auf den Boden seines Gemaches zum
Schlummer hin.
Am nächsten Morgen ging er mit Aksi an das Gangesufer,
um Bananen zu sammeln, willig watete er in den Uferschlamm,
für das liebliche Weib eine Lotosblume zu pflücken, die sie be-
gehrte. Dabei stolperte er über eine im Schlamm verborgene
goldene Urne, die mit herrlich geschliffenen Rubinen, Smarag-
den und Diamanten gefüllt war. — —
Als tags darauf die Sonne über Benares aufging, sah sie
eine reiche Indierin gefolgt von einen: Paria durch die Straßen
wandeln. Bhratar war der Sklave des Glückes, denn es erwarb
 
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