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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 30.1897 (Nr. 340-353)

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Nr. 349
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https://doi.org/10.11588/diglit.28506#0097
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INeggendorfers Humoristische Blätter.

95

Da verneigte sich der weise vor seinem Herrscher und ging.
Sein Gebet aber blieb erfolglos.
Tschandaragupta spielte fort, unglücklich wie bisher, denn
das Glück saß ungesehen bei Bhratar, wendete die Würfel in
seinem Becher, daß sie die meisten Augen nach oben kehrten,
und lenkte seine Hand im Schach.
Schon war des Königs Schlafzimmer leer und all seine
Elephanten-, Rinder- und Schweineherden hatte er verloren.
Nun setzte er seinen Harem aufs Spiel, in dem hundert der
schönsten Frauen sich nach ihm sehnten. Auch seine Frauen
verlor er.
Verweint empfing jede ihren neuen Herrn, jede zitterte vor
ihm, und keine hatte ihn lieb.
Darob ergrimmt, kehrte Bhratar zurück zum Schachbrett;
aber der arme König hatte nichts mehr als Krone und Reich.
Auch diese setzte er ein, fiebernd nach dem Glück; wenn er ge-
wann, sollte Bhratar ihm alles herausgeben, was sein war.
Siebenmal ward die Mondscheibe voll und siebenmal ver-
schwand sie im Dunkel der Unendlichkeit, ehe es zum entscheiden-
den Zug kam.
Ganz Pataliputra war in höchster Aufregung, und die
Unzufriedenen im Reiche freuten sich auf den neuen König.
Die Nacht sank herab und hüllte das Fünfstromland in ihre
Schatten, und noch zögerte Tschandaragupta, eine Figur zu be-
rühren. Endlich that er den verhängnisvollen Zug und verließ
weinend den Saal und Palast. In derselben Nacht ging er
aus dem Reiche und war verschollen.
Bhratar ward König. Aber er konnte sich dessen nicht
freuen. Das Volk traute ihm nicht und die Fürsten sahen voll
Neid auf ihn; jeder wäre gerne selber König geworden.
Daß auch seine Frauen ihn nicht liebten, machte ihn trüb-
sinnig und reizbar. Die Herrschergeschäfte waren ihm lästig.
Zornerfüllt ging er umher und suchte nach Opfern, um
seine Mut zu kühlen.
Bei den großen Tigerjagden in den Dschungeln sah er mit
unmenschlicher Lust zu, wie mancher von den armen Parias,
welche die Bestien aus dem Dickicht stöberten, von ihren Krallen
zerfleischt wurde; er hatte längst vergessen, daß er selbst ein
Paria war, saß er ja doch im sichern Königsturm auf dem
Rücken seines weißen Elexhanten.
Dann überzog er seine friedlichen Nachbarn mit Krieg,
denn sein grimmer Uebermut kannte keine Grenzen. Das Glück
lenkte seine Heere, und Tausende sah er hinsinken auf dem
Schlachtfeld und verbluten.
Im ganzen Reiche jammerten die Mütter um ihre Söhne,
die Frauen um ihre Männer und das Volk begann gegen den
König zu murren.
Da trat eines Tages derselbe greise Brahmine, der seinen
vorfahr gewarnt, vor seinen Thron und redete ihn also an:
„Der Geist Brahmas hat mir befohlen, Dich, o König, zu
mahnen, daß Du gnädig der Weisheit Dein Ohr leihest
und Dein frommes Volk mit Liebe regierest."— „Alter Narr",
erwiderte Bhratar in zorniger Verachtung, „heb Dich hin-
weg von meiner Schwelle und laß mich ungeschoren I"
Der König aber suchte das Glück auf, welches soeben
sinnend auf der Marmortreppe seines Palastes stand und sehnen-
den Blickes durch den Bogen des Thores hinausblickte in die
sonndurchglühte Landschaft.
„Aksi!" redete der König barsch die Sinnende an, „höre,
was Du zu thun hast. Du versprachst ja, jeden meiner wünsche
zu erfüllen. Mir fehlt jetzt gar nichts, als die Liebe meines
Volkes, verschaffe mir die."
 
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