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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 31.1897 (Nr. 354-366)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20913#0058
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50

Neggendorfers Hurnoristische Blätter.


Freundes in die schäumenden Fluten unseres hcimatlichen Flüß-
chens „Wien", aber hilfbereite Gassenjungen holten das Aleinod
gegen Geld und gute Worte wieder herauf.

In unserer lieben vaterstadt wiiteten im letzten Iahre
tagelang Regengüsse. während eines solchen Unwetters ging
einmal meiu Freund aus dem Amte nach bsause, seiner Ge-
wohnheit gemäß ohne Regenschirm, nur mit Lylinder und
Regenmantel bewaffnet.

Dröhnend prasselte der Regen auf den guten Lylinder
nieder, der rührte sich nicht und hielt wacker stand, eingedenk, daß
er von einem tapfern Kater stammte. Stolz
schritt mein Freund dahin; er war ffch be-
wußt, welches Kleinod sein lhaupt bedecke.

Lohne dafür zermalmte. Undankbarerl Du setztest dich auf
Deinen treuen Lvlinderl

So habe ich die Ulär erzählt von des Lylinders Glück und
Lnde. Iust eben jetzt, da ich schließe, erhalte ich einen Brief
von meinem Freunde, worin er mir meldet, daß er morgen mit
seinem zerknickten Liebling zu einem renommierten ksutmacher
gehen werde, um anzufragen, ob der ksut nicht etwa doch noch
repariert werden könne.

Möge ihm dieser sehnliche Wunsch in Lrfüllung gehenl

Ihm entgegen kam ein kserr, der
gegen Siurm und Regen mühselig kämpfte,
— der Armel Warum hat er keinen so
guten Lylinder? Als der kserr näher
kam, erkannte mein Freund in ihm seinen
hohen Vorgesetzten den jdräsidenten S . . .
und bceilte sich den ksut grüßend abzu-
nehmen. Aber wie wundersam leicht war
es meinem Freunde in der ksandl Er
besah das, was er in der ksand hielt
und fand, daß es nur die Urempe des
Lylinders war, der ksut selbst war von
der durch die Nässe erweichten Rremxe
losgetrennt und auf dem Aopfe sitzen
geblieben, was seinem kserrn das komische
Ansehen eines Persers oder, um in Luropa
zu bleiben, eines Bergknappen gab. Der
ernste jlräsident konnte ein Lächeln nicht
unterdrücken, mein Freund aber eilte
schnurrstracks zum nächsten ksutmacher
und ließ die getrennten Teile wieder ver-
binden.

Ich führte ineinen Freund letzten
Samstag abends in das Aonzert, welches
ein berühmter Violin-Dirtuose veranstal-
tete. Der L^linder ging natürlich auch
mit uns — als dritter im Bunde. —
Lr wurde in dem vortragssaale von mei-
nem Freunde auf den Anieen gehalten,
wie ein Schoßhündchen. In der Zwischen-
pause entfernte sich mein Freund, um ein
wenig.frische Luft zu schöpfen und stellte
indes den Lylinder auf seinen Sitzplatz,
nicht ohne mir feierlich das ksüteramt
aufzutragen. Da ertönte das Glocken-
zeichen, welches den Beginn des zweiten
Teiles der jdroduktion ankündigte. Alles
eilt auf die Plätze, die Nachzügler werden
mit Zischen empfangen, unter ihnen auch
mein Freund, der in peinlicher Verlegen-
heit auf seinen Stuhl sinkt. In demselben
Momente ertönt ein dumpfer Anall — aller
Augen richten sich auf uns, die Aunst-
enthusiasten zischen wiederum heftig, ob der
Störung und mein Freund eilt mit der
Miene eines Verzweifelten dem Ausgange
zu, in der ksand ein armes geknicktes
wesen tragend, das ihm zwanzig Iahre
treu gedient und das er heute zum

Wiirk.

— „Durch die Gewißheit, daß ich auf Ihre Liebe rechnen darf, ist mir ein
Stein vom kserzen gefallen."

Balleteuse: „ksaben Sie ihn gleich mitgebracht?"

verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck und Verlag von I. F. Schreiber in Lßlingen bei Stuttgart.

Geschästsstell^ tn Münchrn, Schubertstraste 6.
 
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