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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 31.1897 (Nr. 354-366)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20913#0097
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Meggendorfers Hunioristische Blätter.

89

„Nun, Hcrr Doktor, haben Sie jetzt schon zu thun?"
IungerArzt: „V, jetzt kann ich mit meiner Praxis

Der Alops.

Humoreske von MuiM.

^sHeine Lltern haben mir ein beträchtliches vermögen
I I hinterlassen. Nachdem ich meine humanistische Exi-
^ ^ stenzberechtigung durch das obligate Abiturienten-
examen bewiesen hatte, stand mir nichts im Mege, der meiner
wanderlust die Ziigel schießen zu lassen. So bin ich nber
Deutschlands Grenzen gezogen, habe Frankreich durchwandert
und die Schweiz, nnd bin schließlich eingebrochen in die bella
Ztalia; dort habe ich mich stauncnd begeistert für die werke
des jdinsels und des Meißels. An Zahren älter als die
meisten Söhne der alw.a rnater ins vaterland zuriickgekehrt,
zog ich auf eine westdeutsche Universität, um mich der Annst-
geschichte zu widmen. Ueber Praxiteles, polyklet, Myron etc.
las damals ein professor, welcher die „Fünfzig" um einiges
überschritten haben mochte, den man aber auf den ersten Blick
für alter zu halten geneigt war. Die vorlesungen des Katheder-
königs zeichneten flch vor andern auf demselben Gebiete da-
durch vorteilhaft aus, daß trotz aller „wissenschaftlichen Behand-
lung" doch warmes Gefühl in ihnen lag und sie zu Ieiten
von heller Begeisterung überstrahlt wurden. Ich faßte ein
gewisses Znteresse für den alten kserrn. Meinen Nachbar im
Uolleg, einen Sohn meiner Universitätsstadt, interviewte ich
über die Privatverhältnisse meines weisen. Der sagte mir
lächelnd: er ist ein verdrehter, alter Iunggeselle; eine alte
Wirtschafterin veralimentiert ihn und außer ihr bildet ein
Mops das lebende Inventar seines ksauses; er bringt ihn
jeden Morgen mit auf die Universität und füttert ihn mit
wurflhäuten, die von seinem Frühstück herstammen. Vb-
gleich nun darin nichts Eigentümliches liegt, daß ein alter
Iunggeselle sich eine alte wirtschafterin hält, noch auch, daß
er seinen Mops mit Wursthäuten füttert. es umgekehrt vielmehr
entschieden bemerkenswerter gewesen wäre, so interessierten
mich diese kleinen Mitteilungen doch außerordentlich; ich weiß
nicht, warum. Vielleicht weil ich selbst ein ksundefreund bin.
Das Möpslein entdeckte ich eines Morgens beim Universitäts-

pedell, welcher zu ihm, so lange der Professor seine vorlesungen
hielt, eine vormundschaftliche Stellung einnahm. Ls war kein
gewöhnlicher Mops. Seine vorfahren hatten entschieden ver-
schiedenen ksundegeschlechtern angehört. Bald wurde ich ihm
mit meiner Frühstückssemmel tributär; er erkannte mich unter
der Menge heraus und empfing mich mit Sprüngen und
Schwänzeln, seinen Teil so sicher erwartend, wie weiland der
selige Minotauros seine Vpfer.

Lines Tages war ich auf dem wege nach bsause. Als
ich eine Seitenstraße passierte, sah ich ein Rudel sxringender,
pfeifender, johlender Buben und gewahrte, näher gekommen,
einen Mops, an dessen Schwänzchen ein kleiner Gummiluftballon
befestigt war. Das Tierchen, durch diese ihm unerklärliche Ver-
änderung seiner körperlichen Beschaffenheit auf das bsöchste
erregt, suchte sich unter klagendem Bellen von dem Segler
der Liifte zn befreien; dabei gab es natürlich die wunderlichsten
Sxrünge zum Gaudium der ihn umringenden Meute, die ihn
an schneller Flucht verhinderte. Aaum aber hatte mich der
ksund bemerkt, als er unter freudigcm Gebell, den Ballon nach
sich ziehend, die Uette der ihn peinigenden Rangen durchbrach
und auf mich losstürzte. Ich erkannte nun in dem Gexlagten
meinen kleinen Universitätsfreund; schnell befreite ich ihn von
dem siatternden Gegenstande seines Uummers und trieb die
Rangen auseinander. Des professors wohnung kannte ich.
Rasch eilte ich dahin. Ich klingelte; eine alte, ehrwürdige,
damenhaft aussehende, behaubte Lrscheinung öffnete mir die
Thüre und stürzte in demselben Momente, ohne auf mich Rück-
sicht zu nehmen, auf das Möpslein los, es an sich reißend.
„Da bist Du endlich, Schnänzchen," rief sie wieder und wieder,
„wo warst Du denn, Du Schelml" Nun bemerkte ich erst, daß
die würdige Matrone angenscheinlich kurz vorher geweint hatte
und auch jetzt lagen noch zwei dicke Thränen auf ihren roten,
runden Wangen, wie zwei Regentroxfen auf einem Borsdorfer
Apfel. „Ach, entschuldigen Sie, mein kserr," rief sie xlötzlich
lebhaft, „aber wie kommen Sie zu unserem ,Schnänzchen'?
Unser kserr Professor ist außer sich und läuft schon seit einer
Stunde durch die ganze Stadt; sogar die ,venus° hat er im
Stich gelaffenl" was letzteres zu bedeuten hatte, blieb mir
natürlich völlig nnklar, aber ich stand der bsaubendame Rede
und Antwort. Sie dankte mir im Namen des bserrn professors
iu den wärmsten Ausdrücken, während ich mich, da ich Lile
hatte, von dem Mops verabschiedete und die ehrsame Matrone
in ihrem thränenfeuchten Gliick allein ließ, nachdem ich ihr
meinen Namen genannt hatte.

Am nächsten Tage stellte ich mich natürlich dem Professor
nach dem Uolleg vor. Der alte lherr war sehr geriihrt und
lud mich so herzlich ein, ihn zu besuchen, daß ich seiner Lin-
ladung Folge leistete. Bereut habe ich es nicht. Ich fand in
ihm einen nicht gewöhnlichen Geist, der allem Guten und
Schönen zugethan war und ein Gemüt so warm, daß er es
häufig unter scheinbarer Uälte zu verbergen suchte, in der Furcht,
mißverstanden zu werden. Auch die Redewendung der alten
Dame: sogar die venus hat er im Stich gelassen, wurde mir
nun klar. Neben dem Schreibtische des Professors stand die
herrliche, mediceische venus lebensgroß, in eitel carrarischem
Marmor. Jhr Besitzer verriet mir, daß er sie zum Gegen-
stande seiner Sxezialstudien gemacht habe. Lr beschäftigte sich
mit der Lösung des bekannten problems, was die Göttin wohl
in ihren ksänden gehalten haben mochte. Lr glaubte auf dem
richtigen wege zu sein. Seine Gründe war er im Begriff in
einer Broschüre niederzulegen. — Frau Müller, so hieß die ehr-
same psiegerin meines Freundes, hatte mich übrigens, als
Retter Schnäuzchens, sehr bald in ihr kserz geschlossen. So oft
sie mir die Thüre öffnete, begrüßte sie mich mit Nicken und den
freundlichsten Blicken von der welt; die Uopfstreifen ihrer
 
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