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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 32.1898 (Nr. 367-379)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20912#0041
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Meggendorfers Humoristische Blätter. 3s

Innner dersetbe.

Äaialer Drucksehler.

Mcin tsund, deutsche Bulldogge, bissig zu verkaufen.

tsubermiiller, Förfter.

von L v. Murnail.

auschendes Beisallgeklatsch erfüllte die Räume des bis
auf den letzten platz besetzten Lircus Linarelli und
der Llown Dobb^, welchem dicser Beifall fiir seine
treffliche Leistung galt, bedankte sich bei dem Rcsidenz-jdublikum
durch cinige Salto mortale, mit welchen er die llianege vor- und
riickwärts durchmaß. Aaum war er jedoch verschwunden, als
jene Stille eintrat, welche die höchste Spannung der Zuschauer-
menge zu verraten pslegt.

„^marusimrkLckL, die indische Schlangenkönigin" lautete
die solgende Nummer des Programms, woraus die Residenzbe-
wohner vor Neugierde brannten. War doch seit einigen Tagen
die Lokalpresse voll der Reklame für den neucn Stern der
llianege; ein ganz vorzüglicher Ruf ging der Schlangenkönigin
voraus. Schönheit und Grazie, Unerschrockenheit und Ualt-
blütigkeit im verkehr mit den unheimlichen Reptilien wurden
an ihr in hohem Uiaße gerühmt und die Aunde, ^.mnrusim-
rlrLclL entstamme eincm indischen Fürstenhause trug nicht wenig
dazu bei, die Spannung des Publikums zu erhöhen. lvunder-
volle indische Gewändcr erwarteten die zahlreich anwesenden
Damen zu schen, die lherren aber, ja nun, die freuten sich eben
auf den Anblick eines schönen lveibes.

Zwei mit kostbaren Teppichen verhüllte Kisten wurden
durch die Nianegediener herbeigebracht, das gesamte Stallpcrso-
nal bildete feicrlich Spalier und die Uiusik sxielte eine nicht
minder seierliche lveise.

^murLsimrkiückL erschien.

Freudiges Stauncn auf allen Gesichtern. Ia fürwahr, die
kühnen Erwartungen warcn übertroffen von dieser wunder-
baren Lrscheinung. Lin Flüstern des Lntzückens ging durch den
ganz-m Lircüs; selbst auf jenen platzen znnächst dem Lingang
vom Stalle her, wo die Uniform vorherrscht, verschwand der
ungläubige Ausdruck von den Gesichtern der Söhne des Uiars
und eitel Freude und lvohlgesallen war allüberall wahrzu-
nehmen.

^murLsimrüLckü war aber auch eine wunderbare, geradezu
märci^enhaste Lrscheinung. Schlank von chigur, von herrlichem
Ebenmaß der Glieder, die sie mit außerordentlicher Grazie zu

bewegen wußte, ungckünstelt und jugcndfrisch entzückte sie das
lferz des Beschauers. Aus ihrem schönen Antlitz blitzten ein
paar schwarze Augensterne, in die zu schauen gar wohl ge-
fährlich sein mochte.

Reiches Gewand aus Seide und Gold, vielfach mit köst-
lichen Steinen bcsetzt, schmiegte sich decent den edlen Körper-
formen an; große goldene Ringe wiegten sich an den kleinen
Ghren und eine einfache goldene Spange hielt das blauschwarze
lhaar zusammen.

Uiit wahrhaft fürstlicher lvürde und Anmut hantierte das
entzückende lvesen mit den gleißenden Schlangen, die in lang-
samen, graziösen lvindungen um des Uiädchens Aörper sich
ringelten, eine nach der andern, bis ihre Uiasse ein Gewicht er-
reicht haben mußte, zu dessen Tragung die Aräfte ejnes lferku-
les nötig erschienen. Aber ohne sichtliche Anstrengung ertrug
lVmuiasimrkLcks. die schauerliche lebende Last und bewegte sich
unter ihr scheinbar ungczwungen, nach dem Takte der Ulusik
dcn reizenden Aörper hin- und herwiegend. Als sie nun gar
mit einem Griff die fesselnde Spange vom lsaupte entfernte,
so daß das reiche, schwarze lsaar in wogendcr Flut über den
Rücken sich ergoß gleich einem lNantel, da brach die schauende
lNenge in lauten Beifall aus; die Schlangenkönigin hatte das
kserz des publikums erorbert, die neue Numiner hatte ihre
Iugkraft (auch hier) bewährt und Direktor Linarelli rieb sich
vergnügt die lsände: das war etwas, womit man einige lvochen
lang ein volles lsaus erzielen konnte.

Unter den Besuchern der vorstellung war besonders einer,
dem die Schlangenkönigin es angethan, der Privatdocent an
der hiesigen Universität Dr. Alfons Stülpnagel, der den folgen-
den Nummern des Programmes wie geistesabwesend folgte und
nach dcr vorstellung stumm und in sich gekehrt unter seinen
Gefährten im Restaurant saß. Die Unterhaltung drehte sich
begreislicherweise um die eben gesehene Lircusvorstellung und
kam bald genug auf die Schlangenkönigin. Alle waren einig
in Bewunderung der reizenden Lrscheinung, nur in Bezug auf
die Abstammung wurden Zweifel geäußert. Doch Dr. Stülp-
nagel war in diesem Punkte Autorität; hatte er doch sechs
volle Iahre seines Lebens im schönen Indien verbracht, wo er,
der Sanskritgelehrte, Studien halber weilte; und daß er heute
noch mlt glühender Begeisterung der herrlichen Vrte gedachte,
wo er unter den Aindern des Landes infolge seiner Sprach-
kenntnis und sonstigen angenehmen persönlichen Ligenschaften
viele Freundschaft genießen dnrfte, konnte kaum jemand
wundernehmen. Lr war es, der mit der ganzen lvucht seiner
Ueberzeugung die Rassenechtheit der Inderin verfocht und mit
antropologischen Beweisgründen ins Treffen rückte. lsatte doch
die liebreizende Lrscheinung höchst angenehme Lrinnerungen in
ihm wachgerufen, ihn zurückversetzt in jene seligen Tage, die
er in Benares am Ufer des heiligen Stromes verbrachtl Ia,
ganz und gar so waren die schönen Töchter der höheren Stände
Indiens zu schauen, der nämliche dunklc Teint, die gleichen be-
rückenden Glutaugen, dieses wundervolle Lbenmaß der Glieder;
kurz, an der Lchtheit war nicht zu zweiseln, und daß die lserr-
liche einem Fürstengeschlecht entstammt, lag durchaus nicht außer
Bereich der Uiöglichkeit.

Tag für Tag war der Lircus Linarelli ausverkauft, Tag
für Tag übte ^murusimrüLckL die Schlangenkönigin ihre An-
ziehungskraft auf die Residenzbevölkerung aus. Unter die täg-
lichen Besucher der vorstellungen gehörte Dr. Alsons Stülp-
nagel; ihm lag die schöne Inderin Tag und Nacht im Sinn,
ihr widmete er die zärtlichsten Sonetten in der blütenreichen
Sxrache ihrer lseimat, begleitet von Blumenarrangements, die
seiner Börse cmxfindlichen Schaden zugefügt haben würden,
wäre seine finanzielle Situation weniger günstig gewesen als
fle es in der That war.
 
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