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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 32.1898 (Nr. 367-379)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20912#0128
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Meggendorfers tfumoristische Biätter.


vermißte, zusammen mit ihrem Dienstmadchen alles genau ab-
gesucht habe. Das Dienstmädchen sei nber jeden verdacht er-
haben; es köune nur kfanrieder selbst nach der Lntdeckung die
tlhr unter den Dosendeckel praktiziert haben. —

Auf diesen jdunkt war der Präsident beim Durchblättern
der Akten wieder aufmerksam geworden. Lr gedachte nun, den
Angeklagten zu überrumxeln und freute sich schon im Stillen.
wastl, dem das Fragen noch lieber war als das viele Blättern,
hatte argwöhnisch zugesehen. Es war ihm wie bei einem Ge-
witter nach dem letztgehörten Donnerschlag. Alles dunkel, schwüle
Stille — aber jetzt .... jehtl — Sogleich muß es wieder an-
fangenl — Füttl . . . Da bliht'sl . . . Buml — Mastl duckte sich.

Ghne von den Akten aufzublicken und unter dem Schein
ciner nur für seine Aollegen bestimmten Bemerkung sagte der
Borsitzende in halblautem, aber im ganzen Saal vernehmlichen
Tonei „Na, da lhanrieder die Uhr wieder zurückgsgeben hat,
ist die Sache ohnehin milder zu beurteilen. —" Dabei dachte
er: „Marte nur, Sxitzbube, wenn Du jetzt nicht widersprichst,
haben wir Dichl"

Aber da hatte er die Rechnung ohne den Ivastl gemacht. —
Wie ein verzweifelter schrie der: „Nix hab' i z'ruckgeb'n, 6err
Gerichtshofl — was i net g'nomma hab', dös kann i net
z'ruckgeb'n. — I woar's net, naa, dösmal ganz g'wiß netl"
„Solche Nerstocktheitl" — nmrmelte der vorsitzende entrüstet.
Dann schritt er zur Linvernahme der Zeugen.

Dieselben erhärteten eidlich ihre bereits in der vorunter-
suchung gemachten Angaben. —

»Ia, ja, Wastl, die Sach' schaut wirkli bös ausl" —

Der Staatsanwalt faßte alle Beweismomente zusammen und
beantragte die verurteilung lfanrieders. ksierauf wurde dem ver-
teidiger das lvort erteilt. Derselbe sprach brillant, wie ein
junger Gott. Lsätte er Geschworene vor sich gehabt, dann mußte
er siegenl — Aber rechtsgelehrte Richter in ihrer vorgcfaßtcn
Ukeinung zu erschüttern . . .
das ist ein ander Ding. —

!vas half es, daß er da-
rauf hinwies, die Uhr könne
von einem Dienstboten oder
einer sonstigen person schon
gestohlen gewesen sein, bevor
Lsanrieder zu Arbeit kam?...

Die Frau Dallmaier habe
vielleicht den verlust nicht
früher bemerkt. . . Später,
als sich der verdacht gegen
seinen unschuldigen Alienten
lenkte, habe der wirkliche
Dieb wahrscheinlich aus Reue
über die Folgen seiner That
heimlich die Uhr wieder hin-
gelegt —tvas half alles? —

Die Richter sahen sich
an und dachten: „Ia, wenn's
net der Lsanrieder wär'I —"

Die Zuhörer hinter den
Schranken hatte der Anwalt
überredet. Bravorufe ertön-
ten,als er seinplaidoyer schloß
und, einen flüchtigen Blick
nach künftigen Alienten ins
Publikum werfend, sich den
Schweiß von der Stirne
trocknete. —

Der vorsihende erteilte zunächst den vorlauten Bravorufern
einen scharfen verweis, dann fragte er den wastl in eincm
kalten Tone, aus welchem bereits das ,Schuldig° herausklang:

„Angeklagter, haben Sie selbst zu Ihrer verteidigung noch
etwas vorzubringen?"

Und der tvastl? — Solange der verteidiger sprach, hatte
er bewegungslos dagesessen, ein Bild des Iammers. Nur an dsm
Salzwasser, welches er sich manchmal aus den Augen wischte,
wenn sein Anwalt Tugenden an ihm pries, von welchen er selbst
bisher noch nichts gewußt hatte, konnte man merken, daß er an
den vorgängen Uberhaupt noch Anteil nahm. Doch bei der
letzten Frage des Präsidenten ging eine großartige veränderung
mit Ivastl vor. In seinen Augen leuchtete es hell auf . . .
Lin letzter bsoffnungsstrahll — Sein Gesicht zeigte den Ausdruck
eines Lrtrinkenden, der im Uioment des versinkens noch ein
vorüberschwimmendes Stämmchen entdeckt, nach dem er greift . ..

Sein fast nicht mehr funktiouierendes Gehirn durchzuckte es
plötzlich: „lfaltl . . . Natiirlil — Dös hat der verteidiger
vergess'n . . . Dös müss'n 's begreif'n . . . sie kenna mi ja
all mit'nander —"

Und mit kurzem Ruck von der Bank emporschnellend, rief
er mit vor innerer Lrregung halberstickter Stimme:

„Gans, hoher kserr Gerichtshof, ja oans hätt' i noch zu
sag'n . . . Schaun's, wenn i die Uhr g'nomma hätt', i hätt's
net wieder hing'legtl" —

Da überkam es wie eine höhere Lrleuchtung auch das
wohllöblicho Tribunal. Der lserr vorsitzende machte ein Gesicht,
als wenn ihm einer bewiesen hätte, daß zweimal zwei vier ist
und nickte vielsagend. Die lherren Beisitzer nickten mit. —

lvas war's? — Ein neues Indicium — allbezwingend
mit seiner Beweiskraft. — lvastl wurde freigesprochen.

Inr Klnb-Lokal dis .Bereins der Dicken'.

Line „schwere" Aufnahme-Prüfung.

verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck und verlag von I. F. Schreiber in Lßlingen bei Stuttgart.

Geschäflsflrllq in Münchrn» Schnbertflrstze 6.
 
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