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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 32.1898 (Nr. 367-379)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20912#0142
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^32

Meggendorfers Humoristische Blätter.


ineyer schon bis an den lsals hicr und nun konnnt Ihr noch
mit Luern Imitationen! Latzt uns lieber machen, bas; wir
in die „Thiirinqer" konnnen und ein Tucher'sches stiir-
zen. Dieser Schollnieyer wird immer „jras;licher" init
seinein „Ins Lcbenjreifen."

Das Tucher'sche war delikat und bei Grellinann
battc sich insolgedessen, als die Freunde nach einein
viertelstiindchen von einander schieden, die siir gewöhn-
lich eigene iiberniutige Stiininung so zieinlich wieder
cingefundeiu „tvenn ich nur inal dcin 5choll»ie^'er
einen Possen spielen könnte. Ls iniißte aber was aus
dein Leben jejriffenes, was belebtes sein!" ttnd der
Sekundaner Grellmann versank, während er niit den
Schritten eines Lseißhungrigen nach biause stiefelte, in
ticfe Gedanken, die allniählich, nach allerlei Anzeichen
zu schließen, sehr unterhaltende und heitere sein niußten i
er lachte wiederholt laut auf und schwenkte den Stock
mit der riesigen ksirschgeweihzaeke aus eine fiir die ihm
Begegnenden gefahrdrohende Iveise — fast als wenn
er den Takt zu einer heinilichen Musik schlüge . . .

„Famos — fanios!"

Zu bsause, als die INaina ihm das warm gestellte
Essen herbeigetragen, schlang er die sechs ungeheuren
Alöße und das Stiiek Sauerbraten sonst sein Leib-
essen - ganz teilnahnislos hinein und wiegte sich dabei
fortwährend, wie in änßerst angenehinen Gedanken,
auf deni Stuhle hin und her, nur zuweilen „sainos,
famos!" vor sich hin murnielnd und sogleich nach deni
Lssen in seinc Stube verschwindend. Lr hatte seinen
s>lan! Zetzt nur das Ganze nochnials überdenken
und die Linzelheiten feststellen. „Famos, sanios!"

Und nieniand vorher was davon niitteilen — auch
den nächsten Freunden nicht! Linen natürlich ans-
genominen, ^ritzschen, seinen intinistcn Freund. Dieser
niußte zur Uiitwirkung herangezogen und deshalb also
vorher unterrichtct werden. Aber weiter auch keinen!

5ehr gut traf es sich, daß er noch niemand — Fritz-
schen wieder ausgenoinnien - davon gesagt hatte,
daß er seit sechs kvochcn einen Tanzstundenkursus
besuchte. So würde es umsoinehr iiberraschen. Und
ganz vortrefflich kani auch das zupaß, daß die 5ekunda
einen Leyerkasten bcsaß, den er selbst jüngst crst repar-
iert hatte und der zu den Tanzübungen in der Ulasse
gedreht ward, die neuerdings der gefällige Uerr 5taps,
der Turnlehrer, den kserren Zckundanern statt des
langstieligen Turnens beibrachte. Ts traf alles so gliick-
lich zusaninien, daß die 5ache spielend und wie von
selbst sich niachte.

Und nun wollte er sogleich an den „Oortrag" gehen,
der ihm für nächsten Uuttwoch früh zehn Uhr von
Schollmeyern aufgegeben worden war. Die wahl des
Themas stand ihm frei — und das war's ja eben,
was ihn aus die Idee gebrachti Das Thenia, was er
diesmal behandeln würde, war „janz aus dem Leben
jejriffen" — das sollte selber 5chollme^er zugeben
müssen! Und fiir die „Belebung des 5toffes" sollte
gleichfalls gesorgt werden. —

Der Unttwoch und die zehnte 5tunde war heran-
gekommen. vollzählig und summend wie ein Bienen-
schwarm saß bereits die 5ekunda versammelt. Unter
der Bank des Primus Fritzsche stand ein dunkler,
kastenartiger Gegenstand, nach welchem einigemale die Blicke
des etwas nervös dreinschauenden Grellmann hinirrten.

Die Thüre öffnetc sich mit einem Ruck eine plötzliche
5tille lrat cin in der ihm eigenen hastigen Weise schritt
professor 5chollinef>er mit dem iiblichen „Iuten
Ulorjen!" ins Zinimer, begrüßt vom Gegenruf der
ganzen Alasse.

Lr schien äußerst gut gelaunt, was sich dadurch
zeigte, daß er nicht auf dem Aatheder verweilte, sondern
vor demselben auf und abwanderte, und, nachdem er sich
mit der lfand dreimal übers Gesicht gefahren, im
freundlichsten Tone beganni „Zrellmann, wir wollen
nun Ihren vortrag entjegennehmen. lvas sür ein
Thema haben Sie jewählt?"

„Unter der 5pannung der ganzen Alasse erhob
sich Grellmann. 5ein^lsaupt mit dem buschigen lfaar
voll edlen Anstandes zurückwersend, erwiderte er in
verbindlichem Tonei „Die Tanzstunde!"

„Die Tanzstunde? Ich habe doch richtig
gchörtj?"

„Iaivohl, Iferr professor. Die Tanzstunde.
lvcnn dic Bove»iber-5türme nnd Bcbel dic Ulensch-
heit in die schiitzenden lfäuser treiben, wenn die 5pa-
ziergänge der Lrwachsenen, die 5piele der Ainder im
Freien sich auf die Ulittagsstunden zu beschränken
anfangen und gegen vier Uhr bereits die künstlichen
Lichter allerorts angczündet werden müssen, dann beginnt
sür die Iugend, die den Ainderschuhen cntwachsen,
eine schöne, reizvolle Zeiti die Zeit der Tanzstunde!
Zn cinem frcnndlich erhellten 5aale versammeln sich
um die Abendstunde eine Anzahl jugendlicher Gestalten,
in schwarzcn Röcken, in hcllen Tüllkleidchen "

so cntströmten in gefälligem Rhythmus die wohlgefügten
Perioden dem lNunde Grellmanns, während die 5pann-
ung der Alasse, bci dem, in einem G^mnasium nie
erhörten Thema, ins Ungeheure wuchs, nnd der pro-
fessor inimer schnellere und größere 5chritte machte,
ivobei sein Gesicht immerinehr init dein Ausdruck höcb-
sten Lrstaunens sich auf Grellmann richtete, und sich
immer häufiger mit der läand übers Antlitz suhr . . .

Grellmanns vortrag platscherte indcssen lustig
weiter. Der Redner, den ein eigentümliches Feuer zu
bcseeleu schien, ivar dahingelangt, unter lebhaften
Gesten und höchst eingehend die Anfangsstadien des
Tanzunterrichts zu schildern, und währenddessen
wie im Liser der Rede aus der Bank hervorge-
treten, wobei er sich einen lNoment nach dem hinler
ihm befindlichen Primus umsah, ohne indessen seinen
vortrag zu unterbrechen.

„Und so bleibt mir denn, nack der 5childerung
dor Figuren und der natiirlich nur höchst mangel-
haften Beschreibung der Tänze, nur noch iibrig ein-
gedenk der ewig-giltigen lvorte des lserrn Professors
5chollmcyer: ,Theorie - ist gar nichts ' praris
allesi' Ihnen die drei wichtigsten Tanzarten prak-
tisch vorzuführen. 5ie erlauben doch, lserr professor,
da es keiner von den lserren kann?!"

Bei diesen lvorten, auf welche unerwartet schrill-
tönend die Drehorgel einfiel, sodaß alle erstaunt sich
umwanden, sprang Grellmann auf den wie erstarrt
dreinblickenden 5chollmeyer zu und ihn schnell und
sest gleich einer Dcime umsassend, slog er mit dem
llusrusi „Lrstens lvalzer!" während die Dreh-
orgel den „Donauwalzer" anstimmte, mit dem Fassungslosen
durchs Zinimer, ihn erst nach zweimaligem Umtanz loslassend.
 
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