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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 36.1899 (Nr. 419-431)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16697#0017
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Mesgendorfers humoristische Blätter.

9

ver aufmerksame Villi.

„Seine Lxcellenz."

Lin Gefühl stiller Zufricdenheit und heiliger Ruhe überkam
uns, wie etwa den Karawanenfiihrer, der, in grüner Vase ge-
lagert, am sandgelben horizonte der wiiste die flammende
5onne versinken fleht. Dabei übte das Unbekannte des Drtes
einen Zauber auf uns aus; wir hatten eine Lmxfindung, wie
sie wohl ein Lntdecker haben mag, der zum ersten Male ein
fremdes Land betritt. wir zogen auch wirklich aus „Lntdeckungs-
reisen" aus; den Bädekcr hatten wir zu Hause gelassen und
gaben uns ganz der Freude eigencn Findcns hin; in der Um-
gebung unseres ksauptquartiers umherstreifend, nahmen wir die
Berichte der Rinder des Landes entgegen, die sie uns willig
über Schlöffer und Burgruinen, über alte Sagen und Aussichts-

„Seine Lxcellcnz."

vunkte erstatteten. Dicht bei unserem ksause auf
einer kleinen ksöhe, ganz im Grün junger Fichten,
in deren Zweigen vögel flatterten und sangen, den
Blicken verborgen, lag eine Bank, die ein vergessenes
Dasein führte. wir hatten sie zufällig aus unsern
wanderungen entdeckt und hüteten diese Lntdeckung
vor unsern Mitbewohnern wie ein Geheimnis, das
uns der Berggeist, der in dieser Gegend sein necki-
sches Spiel mitunter treiben soll, unter der Be-
dingung des Schweigens verraten hatte; wir nann-
ten diesen Plah „unser Nest." Täglich in der
Morgenfriihe zogen wir, nachdem wir uns versichert,
daß uns niemand belausche, dorthin in die ver-
borgenheit, von wo wir einen herrlichen Blick auf
unser ksaus, das Dorf und das weithingezogene
Thal entlang bis in die Lbene genossen; ich gab
mich dann einer intereffanten Lektüre hin, während
meine Frau die Kunst Raphaels betrieb und wir
beide den ganzen „Gcsellschaftsklatsch" vergaßcn. —
Die Mahlzeiten wurden in verschiedencn Zimmern
des ksotels, nicht in einem großen allgemeinen Saale
eingenommen; in dem einen hatte der wirt alle
Gäste vereinigt, die er zu den oberen Zehntausend
rechncte; da saß außer uns ein Rittergutsbesitzer
aus Mecklenburg, ein General a. D. mit einer lie-
benswiirdigen, unterhaltenden Frau, ein Gras nebst
Familie aus Schlesien, ein kandgerichtspräsidcnt
aus Gberfranken, ein Kommerzienrat aus Nürnbcrg;
wir waren alle im besten Linvernehmen, es galt
die stillschweigende voraussctzung, daß man sich nur
zu den Mahlzeiten sah, im übrigen jeder vom
andern ungestört unternahm, was ihm beliebte. Des
Abends saßen die verschiedcnen Familien aus der
veranda an besonderen Tischcn; dann stattete man
sich gcgenseitig Besuche nach Gclegenheit und Stim-
mung ab. „Reizendl" sagte meine kleine, lebhafte
Frau, „so leben wir für uns und doch nicht
ohne anderel"

Lines Tages standen wir früh auf unserem
Balkon und schauten in das von der Morgensonne
durchströmte, halb noch im Schattcn des gegeniiber-
liegenden Berges gelegene Thal; es war die Zcit,
wo die „neuen" Gäste von der eine Stunde ent-
fernten Bahnstation anzukommen pflegten. vor
der ksausthiir hielt ein wagcn, dem ein kserr und
zwei Damen, eine ältere und eine jüngere, ent-
stiegen. Meine Frau sticß ein leises „Mcin Gott I"
hervor. — „was ist dcnn, pussi?" sagte ich. —
„V Männchen, o Männchen, sichst Du nicht dort
Lrlkönigs Töchter am düsteren Brtl?" erwiderte
sie mit tragikomischer Miene; „diese drei da unten,
das ist der Präsident Müller mit seiner Frau und
seiner verheirateten Tochter, der Baronin . . . ., die ich von
der Schule her kenne; wir haben das Aleeblatt übrigens öftcr
in Bcrliner Gesellschaften, allerdings meistens mchr von weitem
gesehen; diese Familie ist ein ganzes Reservoir von vornehmen
Bekanntschasten, Geschichten und Neuigkeiten etc.; diese Pan-
dorabüchse wird sich schrecklich öffnen l Das Innere der ksäupter
dieser Damen wimmelt von Grafcn, Baronen, Prinzen, prin-
zessinnen, Geheim-Räten, Lxcellcnzen, Titeln, Vrden, Bezieh-
ungen zum Hof, Ansprachen fürstlicher personen, Aonversations-
phrasen, Koinplimenten I Iede Arawatte, jeder Blick. jedes
Räuspern solcher Personen ist diesen Leuten der Gegenstand
innigster Betrachtung, erschöpfender Lrörterungen, tagelanger
Unterhaltung, steten Bestrebens nach neuer Bekanntschaftl
 
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