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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 36.1899 (Nr. 419-431)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16697#0060
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Aleggendorfers Humoristische Blätter.


welch einsache vorkehrungen genügen mürden, u,n gastfrcund-
liche Talcntc an kleinen Aindern zu erproben.

Man sieht, ich besasz cin durch kcinerlei Sachkcnntnis ge-
trubtes Urteil über die Aufgabcn, vor dcren Lösung das Schick'-
sal mich gestellt hatte.

Dcr zweijährige ksans meldete sich jetzt zum lvort, indem
er wicder zu weinen anfing. Lr hatte rechtz es war hohe
Zeit, die Görcn unschädlich zu inachcn und sie zu Bett zu
bringen. Ich nahin ihn also auf den Arm, seinen Brudcr Aurt
an die lsand und strcbte so meiner nahegelegenen wohnung
zu. Unterwegs zog lsänschcn sämtlichc Register und brülltc
in allen Tonarten, was ich als Zeichen des Mißfallens über
die mir gegen ihn angemaßto Gewalt auffaßte. Dazwischen
lallte er einige worte, deren Bedeutnng inir dunkel blieb und
crst nachträglich klar wurdc. Ich bcschleunigtc iiieinc Gangart
niid hoffte, sobald ich dic Gcsellschaft erst im Lette wüßte, auf
die Unterstützung des in dcr Bcruhigung der lieben Aleinon
unübertroffenen Sandmannes. Der kam zwar auch, aber da
er kleinc Ainder offcnbar besser kannte, wie ich, erst viel später
und nach Lrledigung ciniger kloiner Formalitäten.

In meincm Schlafzimmer angelangt, stellte ich ^ans auf
den Boden und machtc Licht, um mich dann mit einem Schlage
mittcn in dic Ainderstube versetzt zu sehen. ksans stand da,
dic Aermchen vom Aörpcr gestrcckt, die Fingerchen gespreizt
iind immer kläglicher schreiend. Aurt war der vollendete Ge-
gensatz. Lr hüpfte triumphierend um sein Brüderchen herum
und deutete mit einer Art liebloser Schadenfreudc auf die kleine
Iaminergestalt. Ietzt dämmertc es aber doch in mir, und ich
bezweifeltc nun nicht mehr, daß ich vor der gleichcn Lntdcckung
stand, die tvilhelm Busch bserrn „Anopp" nach vergoblichcn
versuchen, scin schreiendcs Aind zu beruhigen, machcn läßt
und die er niit folgenden versen andeuteti

„Va auf cinmal wird es heiter,

Anopp begibt sich ciligst wciter
tlnd bemcrkt nur dieses noch i
Li potztausend, also dochl"

Ich überlegte, ob ich mich nicht auch „eiligst weiter be-
gcben" d. h. meinc lvirtin wccken und ihr tsans mit denselben
lvorten vorstcllen sollte, mit welchcn der Graf seiner Gemahlin
den frommen Anecht Fridolin präsentiert hat:

„Dies Aind, kein Lngel ist so rein,

Laßt's Lurcr ksuld empsohlen sein."

Allein dic gute Frau war ftocktaub; ich hätte sie niemals
wach gekricgt und außerdem wäre sie nachts fiir ein lebendes
Bild mit begleitendem Text kaum zu habcn gewescn. Ich trat
also selbst der Angelegcnheit näher nnd stclltc, wie der Iurist
sich ausdrückt, den objektivcn Thatbestand fest. Ls war dcr
F'all Anopp.

Sofort gelobte ich mir, daß einmal meine eigenen Ainder
vor ihrer Aonfirmation keine Schokolade erhalten würdcn.

Ueber die nächste halbe Stunde will ich den Schleier decken,
deiin die jungen Utütter könnten sonst von mir lernen, und
das möchte ich nicht. Genug, Lsans lag endlich, in eine seidene
Unterjacke von mir gehiillt, in der er aussah, wie ein mit der
Toga vorzeitig bekleideter kleiner Römer, in ineinem Botte und
schlief alsbald einen öchlaf, wie ihn eben nur ein ganz reines
Gewissen ermöglichcn kann. Nun kam Aurt an die Reihe.

Ukan wird es mir nachfühlcn können, daß ich ihn zunächst
mit argwöhnischen Blicken betrachtet hatte, als er sich die ganze
Zeit über lautlos vcrhielt, zumal ich ein Anhänger der Theorie
von dcr „Duplieität der Fälle" bin. Darunter versteht man be-

kanntlich die sich zuweilen einstellende Lrscheinung, daß seltene
Lreignisse mit einem Ulale doppelt auftreten. Ich war deni
klcinen tlnlturmenschen doch recht dankbar, als er mein stati
stisches INaterial hiesür nicht riin cine Nunmier vermehrt hattc.
Bald lag er dcnn auch neben seinem Brüderchen im sriedlichen
lVetteifer um eine geruhsame Nacht.

Line Zeit lang stand ich vor dem Bett und betrachtete
stolz dieses Lrgebnis meincr ungewohnten kvirksamkeit. Als
ich mich umdrehte, fielen meine Blicke auf lsänschcns am Bo
den liegende Toilette, der ich bis dahin keine Beachtuna qe-
schenkt hatte.

Jch nahm ja nicht an, daß Frau Ukarie gerade von an-
genehmen vorstellungen umgaukelt sei, wenn sie sich den Auf-
enthalt ihrcr Sprößlingc in meinem Iunggcscllenheime aus-
malte, aber an die lvirklichkeit reichte ihrc Linbildungskraft
bestiinmt auch nicht entfernt heran. Die Möglichkeit, daß sie
etwa mit dem Gedanken begnadet sein könne, sür Lsans anderc
Bokleidungsstücke mitzubringen, erkannte ich daher alsbald fiir
eine Ausschweifung meiner erhitzten phantasie. Ich beschloß
aber, am anderen Alorgen meiner kvirtin zu kündigen, die in
ihrer beneidenswerten Taubheit unerreichbar blieb, und in doren
Behausung ich mir vorkam, wie ein Schiffbrüchiger, der sich
mit zwei kleinen Aindern auf einc einsame Insel gerettet hattc.
Alsbald machte ich denn auch eine Lntdeckungsreise und zwar
in das mir bis dahin unbekannte Aüchengebiet und dort fand
ich alles, was ich brauchte, um ksänschens Rückkehr in die
menschliche Gesellschaft vorzubcrciten.

Nun cntfaltete ich cine Thätigkeit, die wohl selbst für
Ben Akiba noch den Rciz dcr Ncnheit gchabt haben würdc,
der blasiertc alte lserr hätte scin cwigcs „Ls ist alles schon
dagewesenl" diesmal sicherlich unterdriickt.

So gegen Mitternacht durftc ich mein lverk als vollendet an-
sehen, worauf ich es vor dem Allchensenster dem Spiel der lvinde
anvertrautc und mich dann auf meinem Sofa so gut einrichtete,
wie es eben ging. Zuvor jedoch revidierte ich meine beidcn
Schutzbefohlenen, und obwohl ich sie in völlig einwandsfreier
verfassung fand, raubte mir „den gold'nen Schlaf des Zweifels
gift'ger Zahn" bis gcgen Morgen. Aber auch im Traume
sollte sich mein verhängnis sortsetzen. Ich träumte, ich sci
Bursche bei einem verheirateten Gfsizier und gerade in mcinem
Lseimatsdorfe auf Urlaub, als ich plötzlich in eincr Depesche den
Befehl zur schleunigen Rückkehr erhielt, da das Aindermädchen
erkrankt sei, worauf ich in meiner verzweiflung zu desertieren
beschloß. Als ich eben über die Grenze wollte, erwachte ich;
cs war sechs Uhr. Um diese Zeit pflegte meine lvirtin ihrem
ambrosischcn Lagcr zu entstcigen, und ich freute mich wie ein
Schusterjunge auf die verschiedcnen Ueberraschungen, die ihrer
warteten. Davon waren in der That die Spuren, die ich von
meiner nächtlichen Thätigkeit in dcr Aüche hinterlassen hatte
und nnn gar die vor dcm Fcnster flatternde Aindcrgarderobe
siir die auf Vrdnnng und Reputation pcinlich bedachte, ahnungs-
loso Frav eine ganz artige Dosis.

Aaum hatte ich sie in ihrer Aüche rumoren gehört, als
sie auch schon bei mir crschien, ksänschens bsüllen als corpus
ckslicti in der bsand. Auf ihrem Gesicht spiegelte sich eine Art
trauriger Lnttäuschung ab, wie etwa bei einem alten Alassen-
lehrer, der seine ganze pädagogische Lrfahrung mit einem
Schlage erschüttert sieht, weil er seincn brävsten Schüler, dcn
Stolz seines S^stems, auf verbotenen lvegen betroffen hat.
Ich hätte die Frau gerne noch etwas zappeln lassen, aber ich
wolltc bis zur Ankunft der Ulama keine Zeit verlieren und so
legte ich unter Ueberreichung von Lrichs Depesche eine General-
beichte ab. Ulit größerem Lrfolge hätte ich einem Anaben
Robinson Lrusoes Abenteuer nicht crzählen können. Sie nahm
mir die kvorte vom Nlundc und spendete mir cin bewundern-
 
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