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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 36.1899 (Nr. 419-431)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16697#0090
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Meggendorfers Humoristische Blätter.

kferr Mcirmchen <e,„Lisenbal,ncoupsbcireiknd)i „Gestatlen die l^erren gütigst, daß ich hicr irgcndwo sdiatz nehme?"

Die Martinsgans.

er Direktor des Gymnasiums in F, Lhristian Leisepomp,
war ein gefürchteter Schulmonarch, auf dessen rund-
lichcm, würdevollem Gesicht nur selten ein freundliches
Lächeln spielte, wenn cr in den Alasscn oder aus dem Schulhose
erschien, so daß jeder, vom selbstbewußten Primaner bis zum
iriLnsa deklinierenden Sextaner herab, sich, wenn es irgend an-
gängig war, schcu an ihm vorbcidrürkte. Sobald er aber die
von den Schulräumen zu seiner Dienstwohnung führende Treppe
hinaufgestiegen war, ging mit ihm eine veränderung vor, nach
der ihn scine Gymnasiasten kaum wieder erkannt hätten. Dann
war Lhristian Leisepomp nicht mehr der allmächtige Gewalt-
haber, aus dessen Mienen die ängstlichen Primaner an jcdem
Morgen ihre Wetterprognose für seine Unterrichtsstunden ge-

wannen, sondern er war plötzlich ein beschcidener, fast demütiger
Mensch geworden, der sich als ein ganz nebensächliches, gewisser-
maßen im Wege stehendcs Individuum vorkam. Und das war
er auch, bis ihm am folgenden Morgen die Schulglocke lieblich
in die Vhren klang und ihm das Bewußtsein seiner Lxistenz-
berechtigung für einige Stunden zurückgab.

In jenen oberen Regionen herrschte nämlich seine ihm vor
wenigen Iahren erst angetraute Gattin Amalie als despotische
Gebieterin. Er hatte sie als „spätes Mädchen" in einem kleinen
Badeorte konnen golcrnt und ihr kurz entschlossen die würde einer
Gymnasialdirektorin angetragen, die sie gnädigst acceptiert und
alsbald auch angotreten hatte. Ls schien aber, als wolle ste
ihren ganze Iahre hindurch verhaltenen Groll gegen das schnöde
 
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