llsleggenöorfers Humoristische Blätter.
3s
Lebende Mtöer.
humoreske von Geurg Kresler.
enn man in dem posenschen Slädtchen ,r. irgcnd cinen
„Lserrn der Schöpfung" als ein tNuster der lfäus-
lichkeit und Mäßigkeit hinstellen wollte, so sagte man
oon ihini „Solide — wie Pietsch!"
„Sieh Dir einmal kserrn Pietsch an! Das ist ein Mannl
Der trinkt nicht, der raucht nicht, der blcibt abcnds hiibsch zu
ksause, der . . . ach Gott, wenn Du nur halb so wärstl" Das
war das stereotvpe Finale aller Gardinenprcdigten, die im Meich-
bild der Stadt A. vom Stapel liefen, wenn die Mitternacht
„schon näher zog" oder gar „frühmorgens, eh' die lsähnc krähten."
„Sieh Dir einmal lserrn sdietsch anl"
Lhristian August Pietsch, ein Iunggcsellc in höheren Se-
mestern, war Gntsrendant zu Massenhof bei X. und „hochgehalten
von seinem lserrn" wegen dcr peinlichen Sorgsalt, mit welcher
er der Buch- und Aassenfiihriing oblag. Eher hätte die Sonne
in Mtternacht stehen können, als eine salsche Ziffer in Pietschs
Nianual. Ia, man erzählte sich, er wäre einst in nächtiger
Stunde aus dumpfcn Träumen emporgefahrcn und hätte sich
iiber das lhauptbuch hergemacht, um eine Sicben auszugraben,
von der er geträumt hatte, daß ihr der (tzuerstrich fehlte, den
Pietsch der Deutlichkeit wegen nie vergaß! Lrst ums Morgen-
rot hätte er den dickleibigen Folianten mit einem tiefen Seufzer
der Erleichterung zugeschlagcn. Die invalide Siebcn existierte
nicht. Scit jener Zeit gab pictsch nichts mehr auf Träume.
Lhristian jdictsch stammte aus Grünberg in Schlesien, jencr
lDeinstadt des deuischen Mftens; aber in seinem Busen glomm
nicht ein F'ünkchen von Zartgefühl für das edle Blut dcr Traube,
das doch bekanntlich fließt, des lNenschen lferz zu erfreuen, und
auch der würzige Gerstcnsaft, wie überhaupt all die holdcn
Feuchtigkeiten, ohne welche nach den Begriffen so vieler die
wahre lkkanneswürde gar nicht zu dcnken ist, erfreutcn sich von
Seiten des lserrn Pietsch der nachdrücklichftcn Bichtachtnng.
Lin Glas lfimbeerlimonade war das Linzige, womit er seine
Lippen netzte, wcnn er wirklich einiiial in die Lage kam, „etwas
verzehren zu müssen."
Limonade war sein ganzes lvesen, und diese Limonaden-
haftigkeit erhob ihn in den Augcn der „besseren lsälften" in sü.
zum lNustcrmann, machte ihn zum Trumps-As aller Gardinen-
predigten.
lsatte Pietsch wegen seiner Gewissenhastigkcit bei seinem
Lhes, dem Rittmeister von lllassenhof, einen Stein im Brett,
so leuchtete ihm seiner lsäuslichkeit wegen nicht niiuder die
Gnadensonne der Schloßfrau, um so mehr, als Schloß lNassenhof
in der jderson lDolfgang lDockraths, des lsauslehrers, cin düsteres
pendant zu Lhristian, dem Limonadenhaften, beherbergte. lleber
jdietsch kam einfach nichts.
llnd doch — einmal kam etwas über ihn . . schrecklichl . . .
gräßlich l l . . entsetzlich I l l
Ieder lNensch wird mir zugcben, daß Schweineschlachten zu
den harmlosen und wiederholt schon dageweseneu Begebenheiten
gezählt werden darf; ebenso, daß das Mintervergniigen eines
ltriegervereins ini Grunde genommen jedes welterschiitternden
Lharakters entbchrt, und dennoch wurden diese beiden an sich
so unscheinbaren Momente zwei uach Dereinigung lechzende jdole,
die in unserem Freunde jdietsch eine für letzteren allerdings
„tragische" Auslösung stnden sollten.
j)n rüstete man sich zum lvintervergniigen des Arieger-
vereins.
Da der verein unlängst in dcm Uöniglichen Distriktskom-
missar und Leutnant a. D. von Behringer eine äußerst rührige
Spitze crhalten hatte, so sollte einmal „etwas anderes als sonst"
gebotcn wcrdcn. Zohlreiche vorbesprechungen im kleinen Saale
des Schützenhauses hatten zur Ausstellung eines vielverhcißenden
Programms gefiihrt, und alle lvelt war voller Lrwartung.
Die Glanznummer des Festes sollten patriotische „lebende
Bilder" werden.
lver irgendwie „das Zeug dazu hatte," wurde vom Fest-
komitee beschlagnahmt, ja selbst nach dem llkusterknaben aus
Griinberg ftrcckte der vergnügungsausschuß seine Fangarme
aus, und wiewohl sich jdietsch mit lfändcn und Füßen sträubte,
unter die llumcn zu gchen, trug die ost erprobte Ueberredungs-
gabe des lustigen Aandidaten lvockrath den Sieg davon. pietsch
sagtc zu; er war bereit, für das Schlußbild die Rolle des
„heimkehrenden Landwehrmannes" zu übernehmen.
Nach mehreren Sonderiibungen fand am Sonnabend die
Generalprobe statt und nahni einen glänzenden verlaus. Die
„lebenden Bilder" bedeuteten thatsächlich den lföhepunkt aller
Darbietungen, und als nun gar das Schlußbild mit Pietsch als
„heimkehrendem Landwehrmann" in Scene ging, erfüllte ein
wahres Blütengestöber iiberschwänglichstcr Beifallsbezeugungcn
den Saal.
„Reizendl" „Lntzückcndl" „Feenhaftl" „Nein — dieser
Pietschl" „Bravol Bravo!" „lfoch Pietschl" „Bravol vu capo!"
lvie ein warnier Strom flutete es dem Landwehrmann
zum lserzen — Pictsch war begeistert.
Der vorhang fiel.
„Aoftüme anbehaltenl" scholl es nun von allen Seiteu. Die
Tische wurden zusammsngerückt, und lNimen und lNiminnen
Im Aeliauranl.
3s
Lebende Mtöer.
humoreske von Geurg Kresler.
enn man in dem posenschen Slädtchen ,r. irgcnd cinen
„Lserrn der Schöpfung" als ein tNuster der lfäus-
lichkeit und Mäßigkeit hinstellen wollte, so sagte man
oon ihini „Solide — wie Pietsch!"
„Sieh Dir einmal kserrn Pietsch an! Das ist ein Mannl
Der trinkt nicht, der raucht nicht, der blcibt abcnds hiibsch zu
ksause, der . . . ach Gott, wenn Du nur halb so wärstl" Das
war das stereotvpe Finale aller Gardinenprcdigten, die im Meich-
bild der Stadt A. vom Stapel liefen, wenn die Mitternacht
„schon näher zog" oder gar „frühmorgens, eh' die lsähnc krähten."
„Sieh Dir einmal lserrn sdietsch anl"
Lhristian August Pietsch, ein Iunggcsellc in höheren Se-
mestern, war Gntsrendant zu Massenhof bei X. und „hochgehalten
von seinem lserrn" wegen dcr peinlichen Sorgsalt, mit welcher
er der Buch- und Aassenfiihriing oblag. Eher hätte die Sonne
in Mtternacht stehen können, als eine salsche Ziffer in Pietschs
Nianual. Ia, man erzählte sich, er wäre einst in nächtiger
Stunde aus dumpfcn Träumen emporgefahrcn und hätte sich
iiber das lhauptbuch hergemacht, um eine Sicben auszugraben,
von der er geträumt hatte, daß ihr der (tzuerstrich fehlte, den
Pietsch der Deutlichkeit wegen nie vergaß! Lrst ums Morgen-
rot hätte er den dickleibigen Folianten mit einem tiefen Seufzer
der Erleichterung zugeschlagcn. Die invalide Siebcn existierte
nicht. Scit jener Zeit gab pictsch nichts mehr auf Träume.
Lhristian jdictsch stammte aus Grünberg in Schlesien, jencr
lDeinstadt des deuischen Mftens; aber in seinem Busen glomm
nicht ein F'ünkchen von Zartgefühl für das edle Blut dcr Traube,
das doch bekanntlich fließt, des lNenschen lferz zu erfreuen, und
auch der würzige Gerstcnsaft, wie überhaupt all die holdcn
Feuchtigkeiten, ohne welche nach den Begriffen so vieler die
wahre lkkanneswürde gar nicht zu dcnken ist, erfreutcn sich von
Seiten des lserrn Pietsch der nachdrücklichftcn Bichtachtnng.
Lin Glas lfimbeerlimonade war das Linzige, womit er seine
Lippen netzte, wcnn er wirklich einiiial in die Lage kam, „etwas
verzehren zu müssen."
Limonade war sein ganzes lvesen, und diese Limonaden-
haftigkeit erhob ihn in den Augcn der „besseren lsälften" in sü.
zum lNustcrmann, machte ihn zum Trumps-As aller Gardinen-
predigten.
lsatte Pietsch wegen seiner Gewissenhastigkcit bei seinem
Lhes, dem Rittmeister von lllassenhof, einen Stein im Brett,
so leuchtete ihm seiner lsäuslichkeit wegen nicht niiuder die
Gnadensonne der Schloßfrau, um so mehr, als Schloß lNassenhof
in der jderson lDolfgang lDockraths, des lsauslehrers, cin düsteres
pendant zu Lhristian, dem Limonadenhaften, beherbergte. lleber
jdietsch kam einfach nichts.
llnd doch — einmal kam etwas über ihn . . schrecklichl . . .
gräßlich l l . . entsetzlich I l l
Ieder lNensch wird mir zugcben, daß Schweineschlachten zu
den harmlosen und wiederholt schon dageweseneu Begebenheiten
gezählt werden darf; ebenso, daß das Mintervergniigen eines
ltriegervereins ini Grunde genommen jedes welterschiitternden
Lharakters entbchrt, und dennoch wurden diese beiden an sich
so unscheinbaren Momente zwei uach Dereinigung lechzende jdole,
die in unserem Freunde jdietsch eine für letzteren allerdings
„tragische" Auslösung stnden sollten.
j)n rüstete man sich zum lvintervergniigen des Arieger-
vereins.
Da der verein unlängst in dcm Uöniglichen Distriktskom-
missar und Leutnant a. D. von Behringer eine äußerst rührige
Spitze crhalten hatte, so sollte einmal „etwas anderes als sonst"
gebotcn wcrdcn. Zohlreiche vorbesprechungen im kleinen Saale
des Schützenhauses hatten zur Ausstellung eines vielverhcißenden
Programms gefiihrt, und alle lvelt war voller Lrwartung.
Die Glanznummer des Festes sollten patriotische „lebende
Bilder" werden.
lver irgendwie „das Zeug dazu hatte," wurde vom Fest-
komitee beschlagnahmt, ja selbst nach dem llkusterknaben aus
Griinberg ftrcckte der vergnügungsausschuß seine Fangarme
aus, und wiewohl sich jdietsch mit lfändcn und Füßen sträubte,
unter die llumcn zu gchen, trug die ost erprobte Ueberredungs-
gabe des lustigen Aandidaten lvockrath den Sieg davon. pietsch
sagtc zu; er war bereit, für das Schlußbild die Rolle des
„heimkehrenden Landwehrmannes" zu übernehmen.
Nach mehreren Sonderiibungen fand am Sonnabend die
Generalprobe statt und nahni einen glänzenden verlaus. Die
„lebenden Bilder" bedeuteten thatsächlich den lföhepunkt aller
Darbietungen, und als nun gar das Schlußbild mit Pietsch als
„heimkehrendem Landwehrmann" in Scene ging, erfüllte ein
wahres Blütengestöber iiberschwänglichstcr Beifallsbezeugungcn
den Saal.
„Reizendl" „Lntzückcndl" „Feenhaftl" „Nein — dieser
Pietschl" „Bravol Bravo!" „lfoch Pietschl" „Bravol vu capo!"
lvie ein warnier Strom flutete es dem Landwehrmann
zum lserzen — Pictsch war begeistert.
Der vorhang fiel.
„Aoftüme anbehaltenl" scholl es nun von allen Seiteu. Die
Tische wurden zusammsngerückt, und lNimen und lNiminnen
Im Aeliauranl.