Aleggendorfers Humoristische Blätter.
Mach berühmlen Muffern.
— „Dein Bruder veitel xorträtiert jetzt?"
— „Ia, der reine Aonterfeiteles!"
— 8lorv".
ans TrLger, der jdrivatsekretär des reichen Privatgelehrlen
v. Lstrow, war heute im Stadium einer gelinden ver-
zweislung. Ich bitte die liebe Leserin, diesen Seelen-
zustand unseres kselden einstweilen nicht zu vergessen, bis ich sie
mit den nötigen Nebenumständen vertraut gemacht habe. bsans
war nämlich eigentlich absolvierter Lhemiker, und hatte, da er
nebenbei ein armer Teusel war, die Sekretärstelle nur aus Not
angenommen, ohne es iibrigens bisher bereut zu haben. Die
Lamilie seines Brotgebers wohnte in einer herrlichen villa,
weitab von der staubigen Straße des Alltags; die Leute hatten
ihn sehr gerne und dieser Zuneigung schloß sich auch die älteste
Tochter des ksauses, die schöne Tlsa an, ein Ausbund von Lieb-
lichkeit, Temperamcnt und — Verwöhntheit. Lr wußte, daß
er sie auch zur Frau bekommen wiirde, wenn sie nur wollte —
denn Elschen hatte bei ihren Lltern schon weit närrischere
Dinge durchgesetzt, als die Lseirat mit einem Manne, den sie
liebt. D?as er aber eben nicht wußte, war, daß der kleinen
verhätschelten Dame sein srisches, kameradschaftliches wesen über-
aus wohl behagte, bloß daß sie es ihm nicht zeigte. N?ozu hätte
man sonst seinen weiblichen Stolz?
Aber nun wollen wir sehen, warum sich ksans im Stadium
einer gelinden Verzweiflung befand. kseute Abend war in der
villa Tanzsoiree zu Ehren des Namenstags Elsas und
morgen lliittag sollte er sich dem Fabrikanten Aronau in B.
j)unkt ^2 Uhr vorstellen. Zweck: Anstellung als Fabrikleiter.
Die Geschichte hatte aber eine Menge ksaken.
„k'ast — sloxv".
Lrster ksaken: Rronau war ein seltsamer Nann,
der auf Piinktlichkeit und persönlichen Lindruck großes
Gewicht legte.
Zweiter ksaken: Der Lilzug, der von der nächsten
Station nach B. fuhr, ging um S Uhr morgens ab.
Dritter ksaken (der wesentlichste): ksans hatte einen
überaus gesunden Schlaf. Ich glaube, wenn man ihm
sein Bett mitten in der Schlacht bei Gravelotte aufge-
schlagen und mit den nötigen Spitzenvorhängen gegen
die zudringlichen Geschosse geschützt hätte — er wäre
nicht aufgewacht.
vierter ksaken: In der villa Lstrow pflegte selbst
die Dienerschaft erst um s Uhr aufzustehen. Lür beson-
dere Zwecke besaß ksans zwar einen lVecker, eine Uhr
mit impertinent hoher Stimme, den er sich vor Zeiten
in einem großen Laden nach langwieriger Probe aus
Dutzenden von ähnlichen Ularterinstrumenten ausgewählt
hatte. N)enn er diese Uhr auf eine eigens hierfür kon-
struierte hohe Blechschüssel placierte und dicht neben das
Uopfpolster stellte, konnte er mit einiger Sicherheit da-
rauf rechnen, im Laufe von einigen Ukinuten während
des Alarms zu erwachen. Aber leider ging dieser
Mecker (fünfter ksaken) — wie er mit Schrecken be-
merkte — zu langsam. Das wäre zu regulieren ge-
wesen und unser Sekretär wußte ganz wohl, daß man
zu diesem Behufe bloß den kleinen ksaken — dieser ist
hier nicht mitzuzählen — auf der Rückseite nach rechts
oder links zu rücken hatte, um die Uhr schneller oder
langsamer gehen zu lassen. Aber das N?erk war eng-
lisches Fabrikat, neben dem ksaken stand darum bloß
,,tg.8t" und ,,slovr", und ksans verstand (siebenter ksaken)
— nicht englisch.
Die einfachste Lösung wäre nun wohl die gewesen,
wenn ksans nach der Soiree, die ja gewiß nach Mitter-
nacht endigte, bis zum Abgang des Zuges wach ge-
blieben wäre. Aber das hinderte eben der achte ksaken
— ich versxreche feierlich, daß es der lehte ist — und
der besteht darin, daß ksans, sonst ein strammer und
schneidiger Iunge, ein gar erbärmlicher, schlottriger
Geselle wurde, wenn er nicht geschlafen hatte. Der strengc
Fabrikant hätte einen solchen Sxitalbruder schnurstracks heimge-
schickt. Uian wird also zugeben, daß unser kseld einige Ursache
hatte, der Lntwicklung dcr Dinge, die für seine Lxistenz maß-
gebend sein konnte, mit einigem Bangen entgegenzusehen.
Lin leise ksoffnung knüxfte er noch an den Abend selbst
— vielleicht fand er unter den Gästen jemand, der ihm die
Ulorte deuten konnte. Der Anfang war nicht viel versprechend
— er kam mit seinen Fragen übel an. Darum war er, selbst
während er mit Llsa am Arm promenierte, recht nervös und
zerstreut. Die Aleine xlauderte allerliebst, er hörte aber kaum
hin, was sie sichtlich konsternierte. „Wie gefällt Ihnen die
schöne Lngländerin?" fragte sie endlich. Lr bekam einen Ruck
durch den ganzen Aörper, daß sie befremdet zu ihm aufsah.
„Die dort mit den goldblonden ksaaren." — „Der muß ich mich
vorstellen lassen!" xlatzte er heraus. „Bitte sehr!" sagte Elsa
pikiert und ließ seinen Arm los.
Es war aber gar nicht so leicht, bei der umschwärmten
Uliß anzukommen und Lsans mußte ihr, um sein Ziel zu er-
reichen, sogar die (guadrille widmen, die er stillschweigend für
Llsa aufbewahrt hatts. Aber kaiim waren die letzten Alänge
der sechsten Figur verrauscht, eilte er in sein Zinnner hinauf,
richtete den Alarmzeiger auf Uhr, den Regulator auf „sast"
und begab sich dann wieder in den Tanzsaal. Elsa war nirgends
zu sehen. Lndlich fand er sie in der Nische eines Nebenzimmers,
gereizt und erbittert, ja abstoßend, was er sich ansangs nicht
Mach berühmlen Muffern.
— „Dein Bruder veitel xorträtiert jetzt?"
— „Ia, der reine Aonterfeiteles!"
— 8lorv".
ans TrLger, der jdrivatsekretär des reichen Privatgelehrlen
v. Lstrow, war heute im Stadium einer gelinden ver-
zweislung. Ich bitte die liebe Leserin, diesen Seelen-
zustand unseres kselden einstweilen nicht zu vergessen, bis ich sie
mit den nötigen Nebenumständen vertraut gemacht habe. bsans
war nämlich eigentlich absolvierter Lhemiker, und hatte, da er
nebenbei ein armer Teusel war, die Sekretärstelle nur aus Not
angenommen, ohne es iibrigens bisher bereut zu haben. Die
Lamilie seines Brotgebers wohnte in einer herrlichen villa,
weitab von der staubigen Straße des Alltags; die Leute hatten
ihn sehr gerne und dieser Zuneigung schloß sich auch die älteste
Tochter des ksauses, die schöne Tlsa an, ein Ausbund von Lieb-
lichkeit, Temperamcnt und — Verwöhntheit. Lr wußte, daß
er sie auch zur Frau bekommen wiirde, wenn sie nur wollte —
denn Elschen hatte bei ihren Lltern schon weit närrischere
Dinge durchgesetzt, als die Lseirat mit einem Manne, den sie
liebt. D?as er aber eben nicht wußte, war, daß der kleinen
verhätschelten Dame sein srisches, kameradschaftliches wesen über-
aus wohl behagte, bloß daß sie es ihm nicht zeigte. N?ozu hätte
man sonst seinen weiblichen Stolz?
Aber nun wollen wir sehen, warum sich ksans im Stadium
einer gelinden Verzweiflung befand. kseute Abend war in der
villa Tanzsoiree zu Ehren des Namenstags Elsas und
morgen lliittag sollte er sich dem Fabrikanten Aronau in B.
j)unkt ^2 Uhr vorstellen. Zweck: Anstellung als Fabrikleiter.
Die Geschichte hatte aber eine Menge ksaken.
„k'ast — sloxv".
Lrster ksaken: Rronau war ein seltsamer Nann,
der auf Piinktlichkeit und persönlichen Lindruck großes
Gewicht legte.
Zweiter ksaken: Der Lilzug, der von der nächsten
Station nach B. fuhr, ging um S Uhr morgens ab.
Dritter ksaken (der wesentlichste): ksans hatte einen
überaus gesunden Schlaf. Ich glaube, wenn man ihm
sein Bett mitten in der Schlacht bei Gravelotte aufge-
schlagen und mit den nötigen Spitzenvorhängen gegen
die zudringlichen Geschosse geschützt hätte — er wäre
nicht aufgewacht.
vierter ksaken: In der villa Lstrow pflegte selbst
die Dienerschaft erst um s Uhr aufzustehen. Lür beson-
dere Zwecke besaß ksans zwar einen lVecker, eine Uhr
mit impertinent hoher Stimme, den er sich vor Zeiten
in einem großen Laden nach langwieriger Probe aus
Dutzenden von ähnlichen Ularterinstrumenten ausgewählt
hatte. N)enn er diese Uhr auf eine eigens hierfür kon-
struierte hohe Blechschüssel placierte und dicht neben das
Uopfpolster stellte, konnte er mit einiger Sicherheit da-
rauf rechnen, im Laufe von einigen Ukinuten während
des Alarms zu erwachen. Aber leider ging dieser
Mecker (fünfter ksaken) — wie er mit Schrecken be-
merkte — zu langsam. Das wäre zu regulieren ge-
wesen und unser Sekretär wußte ganz wohl, daß man
zu diesem Behufe bloß den kleinen ksaken — dieser ist
hier nicht mitzuzählen — auf der Rückseite nach rechts
oder links zu rücken hatte, um die Uhr schneller oder
langsamer gehen zu lassen. Aber das N?erk war eng-
lisches Fabrikat, neben dem ksaken stand darum bloß
,,tg.8t" und ,,slovr", und ksans verstand (siebenter ksaken)
— nicht englisch.
Die einfachste Lösung wäre nun wohl die gewesen,
wenn ksans nach der Soiree, die ja gewiß nach Mitter-
nacht endigte, bis zum Abgang des Zuges wach ge-
blieben wäre. Aber das hinderte eben der achte ksaken
— ich versxreche feierlich, daß es der lehte ist — und
der besteht darin, daß ksans, sonst ein strammer und
schneidiger Iunge, ein gar erbärmlicher, schlottriger
Geselle wurde, wenn er nicht geschlafen hatte. Der strengc
Fabrikant hätte einen solchen Sxitalbruder schnurstracks heimge-
schickt. Uian wird also zugeben, daß unser kseld einige Ursache
hatte, der Lntwicklung dcr Dinge, die für seine Lxistenz maß-
gebend sein konnte, mit einigem Bangen entgegenzusehen.
Lin leise ksoffnung knüxfte er noch an den Abend selbst
— vielleicht fand er unter den Gästen jemand, der ihm die
Ulorte deuten konnte. Der Anfang war nicht viel versprechend
— er kam mit seinen Fragen übel an. Darum war er, selbst
während er mit Llsa am Arm promenierte, recht nervös und
zerstreut. Die Aleine xlauderte allerliebst, er hörte aber kaum
hin, was sie sichtlich konsternierte. „Wie gefällt Ihnen die
schöne Lngländerin?" fragte sie endlich. Lr bekam einen Ruck
durch den ganzen Aörper, daß sie befremdet zu ihm aufsah.
„Die dort mit den goldblonden ksaaren." — „Der muß ich mich
vorstellen lassen!" xlatzte er heraus. „Bitte sehr!" sagte Elsa
pikiert und ließ seinen Arm los.
Es war aber gar nicht so leicht, bei der umschwärmten
Uliß anzukommen und Lsans mußte ihr, um sein Ziel zu er-
reichen, sogar die (guadrille widmen, die er stillschweigend für
Llsa aufbewahrt hatts. Aber kaiim waren die letzten Alänge
der sechsten Figur verrauscht, eilte er in sein Zinnner hinauf,
richtete den Alarmzeiger auf Uhr, den Regulator auf „sast"
und begab sich dann wieder in den Tanzsaal. Elsa war nirgends
zu sehen. Lndlich fand er sie in der Nische eines Nebenzimmers,
gereizt und erbittert, ja abstoßend, was er sich ansangs nicht