Aleggendorfers Lfumoristische Biätter.
95
Lange Wochen waren vergangen, Grimmer hatte längst den Brief und die
gute Fee vergessen; da fand er eines Tages auf seinem Bureautische ein Dekret, mit
welchem er „in Anerkennung seiner ausgezeichneten verwendbarkeit" zum Bureau-
Lhef ernannt wurde. Lr war starr vor Lrstaunen. Er war sich immer gleich
geblieben, und jetzt auf einmal diese Anerkennung! Die neidischen Aollegen wit-
terten Unratz aber er schwur, daß er selbst nicht wisse, wie er dazu komme. Tnd-
lich, es blieb nichts anderes übrig, mußte er sich bei dein Geheimen Regierungsrat
Direktor Bolram, mit dem er seit Iahren nicht in Berührung gekommen, vor-
stellen und bedanken. Bei dieser Gelegenheit hoffte er auch den Grund seiner
plötzlichen Besörderung, durch die er ein „gemachier Mann" wurde, Zu erfahren.
vergebens. Der lherr bserr Direktor war sehr freundlich, sehr gütig, lobte immer
wieder Grimmers Fähigkeit und Tüchtigkeit, die doch schon älteren Datums war,
aber über die Ursache der unverhofften Lrnennung war nichts herauszubringen;
es konnte angeblich kein Würdigerer gefunden werden. Schließlich bemerkte der
Herr Direktor, er sei gewohnt, jeden neu ernannten Amts-Vorsteher einmal bei
sich zu Tische zu sehen; kjerr Grimmer möge also die Güte haben, am nächsten
Sonntag sein Gast zu sein. — „Aha!" dachte Grimmer, als er wieder draußen
war, „er will mich kennen lernen, mir lvinke und Instruktionen geben, der Ljerr
Direktor . . . ."
*
In glücklichster Stimmung und mit gehobener Brust betrat Grimmer am
Sonntag die Wohnung des kjerrn Direktors. Lr wurde mit großer Auszeichnung
emxfangen. Der kjerr Direktor und dessen Tochter Laura wetteiferten in Auf-
merksamkeit und die Liebenswürdigkeit gewann einen förmlichen Schimmer von
kjerzlichkeit. kjerr Grimmer war entzückt, ja es wurde ihm völlig warm unter
der weste. Ietzt kam ihin die Bedeutung seiner neuen lvürde klar zum Bewußt-
sein: er war „gesellschaftsfähig" geworden. Aber auch der lveltmann in ihm
erwachte. Nur konnte er noch immer nicht begreifen, wie gerade er zu der An-
erkennung gekommen. Der kjerr Direktor war ihm immer fremd gewesen, ein-
siußreiche Freunde hatte er keine. Die kjauswirtin, d. h. die schöne Tochter des
bserrn Direktors, war doch nur ein hausbackenes Frauenzimmer — jdardon —
ein artiges Fräulein, korrigierte sich in Gedanken der IVeltmann gewordene therr
Grimmer — das sich liebenswürdig gab, weil Papas Beispiel es so forderte.
Laura kannte ihn doch so wenig, wie er sie. — Doch halt! Diese elastische Gestalt,
diese herrlichen Zöpfe — hatte er die nicht doch schon wo gesehen? Dder neckte
ihn eine zufällige Aehnlichkeit? Alle lvetter! — aber nein, es ist nicht möglich.
Die vortreffliche Mahlzeit wurde mit heiteren, sxrühenden Reden köstlich
gewürzt. von dienstlichen Angelegenheiten kein lvort. kjerrn Grimmer überkam
ein Gefühl wohliger Behaglichkeit. Der duftige lvein wirkte mit — er löste auch
die Zunge des Gastes. Leichte Mtz- und Scherzworte siogen nur so herüber —
hinüber. kserr Grimmer richtete einige feine Aomxlimente auch an Fräulein
Lauras Adresse. Damit war er aber auf dem Punkte angelangt, wo man ihn
haben wollte.
„Sie sind aber, wie ich gehört habe, ein schrecklicher Weiberfeind," scherzte
der Direktor mit feinem Lächeln.
„V, nur ganz akademisch, kserr Direktor!" antwortete leicht betroffen ab-
wehrend Ljerr Grimmer, der lveltmann, „Frauenschönheit und Frauentugend weiß
ich sehr wohl zu schätzen."
„Li, ei! Seit wann denn?" fragte nun Fräulein Laura schelmisch.
„Ich habe es immer so gehalten; meine Freunde haben mich nur ver-
leumdet," erwiderte bjerr Grimmer kühn.
„Das denke ich mir auch," bemerkte gütig der bjerr Direktor.
„Ich glaube aber doch, der bjahn hat das erste Alal gekräht," versetzte Laura
schalkhaft. „Der ZVechsel Jhrer Gesinnung kann doch nur neuesten Datums sein."
bjerrn Grimmer wurde heiß. „Sie thun mir unrecht, verehrtes Fräulein l
Sie verkennen mich . . ."
„bsahahal" lachte Laura, „der Ljahn hat zum zweiten Male gekräht."
Der bjerr Direktor lachte still in sich hinein, das Gesicht so weit als mög-
lich zum Teller neigend.
„welcher bjugo Grimmer ist nun der rechte," xlatzte Laura xlötzlich heraus,
„jener, welcher diesen Brief geschrieben hat, oder der, welcher als unser lieber Gast
hier sitzt?" Dabei hielt sie Grimmer triumxhierend seinen Brief vor die Augen.
l^err Grimmer verfärbte sich. Er war gefangen.
Die veränderlen Schuhe.
Ein Ainderstreich.
„Marie, ich muß schnell fort, wo sind
meine Schuhe? —
Ietzt bin ich aber schon bös — in einer
halben Stunde geht der Zug.
95
Lange Wochen waren vergangen, Grimmer hatte längst den Brief und die
gute Fee vergessen; da fand er eines Tages auf seinem Bureautische ein Dekret, mit
welchem er „in Anerkennung seiner ausgezeichneten verwendbarkeit" zum Bureau-
Lhef ernannt wurde. Lr war starr vor Lrstaunen. Er war sich immer gleich
geblieben, und jetzt auf einmal diese Anerkennung! Die neidischen Aollegen wit-
terten Unratz aber er schwur, daß er selbst nicht wisse, wie er dazu komme. Tnd-
lich, es blieb nichts anderes übrig, mußte er sich bei dein Geheimen Regierungsrat
Direktor Bolram, mit dem er seit Iahren nicht in Berührung gekommen, vor-
stellen und bedanken. Bei dieser Gelegenheit hoffte er auch den Grund seiner
plötzlichen Besörderung, durch die er ein „gemachier Mann" wurde, Zu erfahren.
vergebens. Der lherr bserr Direktor war sehr freundlich, sehr gütig, lobte immer
wieder Grimmers Fähigkeit und Tüchtigkeit, die doch schon älteren Datums war,
aber über die Ursache der unverhofften Lrnennung war nichts herauszubringen;
es konnte angeblich kein Würdigerer gefunden werden. Schließlich bemerkte der
Herr Direktor, er sei gewohnt, jeden neu ernannten Amts-Vorsteher einmal bei
sich zu Tische zu sehen; kjerr Grimmer möge also die Güte haben, am nächsten
Sonntag sein Gast zu sein. — „Aha!" dachte Grimmer, als er wieder draußen
war, „er will mich kennen lernen, mir lvinke und Instruktionen geben, der Ljerr
Direktor . . . ."
*
In glücklichster Stimmung und mit gehobener Brust betrat Grimmer am
Sonntag die Wohnung des kjerrn Direktors. Lr wurde mit großer Auszeichnung
emxfangen. Der kjerr Direktor und dessen Tochter Laura wetteiferten in Auf-
merksamkeit und die Liebenswürdigkeit gewann einen förmlichen Schimmer von
kjerzlichkeit. kjerr Grimmer war entzückt, ja es wurde ihm völlig warm unter
der weste. Ietzt kam ihin die Bedeutung seiner neuen lvürde klar zum Bewußt-
sein: er war „gesellschaftsfähig" geworden. Aber auch der lveltmann in ihm
erwachte. Nur konnte er noch immer nicht begreifen, wie gerade er zu der An-
erkennung gekommen. Der kjerr Direktor war ihm immer fremd gewesen, ein-
siußreiche Freunde hatte er keine. Die kjauswirtin, d. h. die schöne Tochter des
bserrn Direktors, war doch nur ein hausbackenes Frauenzimmer — jdardon —
ein artiges Fräulein, korrigierte sich in Gedanken der IVeltmann gewordene therr
Grimmer — das sich liebenswürdig gab, weil Papas Beispiel es so forderte.
Laura kannte ihn doch so wenig, wie er sie. — Doch halt! Diese elastische Gestalt,
diese herrlichen Zöpfe — hatte er die nicht doch schon wo gesehen? Dder neckte
ihn eine zufällige Aehnlichkeit? Alle lvetter! — aber nein, es ist nicht möglich.
Die vortreffliche Mahlzeit wurde mit heiteren, sxrühenden Reden köstlich
gewürzt. von dienstlichen Angelegenheiten kein lvort. kjerrn Grimmer überkam
ein Gefühl wohliger Behaglichkeit. Der duftige lvein wirkte mit — er löste auch
die Zunge des Gastes. Leichte Mtz- und Scherzworte siogen nur so herüber —
hinüber. kserr Grimmer richtete einige feine Aomxlimente auch an Fräulein
Lauras Adresse. Damit war er aber auf dem Punkte angelangt, wo man ihn
haben wollte.
„Sie sind aber, wie ich gehört habe, ein schrecklicher Weiberfeind," scherzte
der Direktor mit feinem Lächeln.
„V, nur ganz akademisch, kserr Direktor!" antwortete leicht betroffen ab-
wehrend Ljerr Grimmer, der lveltmann, „Frauenschönheit und Frauentugend weiß
ich sehr wohl zu schätzen."
„Li, ei! Seit wann denn?" fragte nun Fräulein Laura schelmisch.
„Ich habe es immer so gehalten; meine Freunde haben mich nur ver-
leumdet," erwiderte bjerr Grimmer kühn.
„Das denke ich mir auch," bemerkte gütig der bjerr Direktor.
„Ich glaube aber doch, der bjahn hat das erste Alal gekräht," versetzte Laura
schalkhaft. „Der ZVechsel Jhrer Gesinnung kann doch nur neuesten Datums sein."
bjerrn Grimmer wurde heiß. „Sie thun mir unrecht, verehrtes Fräulein l
Sie verkennen mich . . ."
„bsahahal" lachte Laura, „der Ljahn hat zum zweiten Male gekräht."
Der bjerr Direktor lachte still in sich hinein, das Gesicht so weit als mög-
lich zum Teller neigend.
„welcher bjugo Grimmer ist nun der rechte," xlatzte Laura xlötzlich heraus,
„jener, welcher diesen Brief geschrieben hat, oder der, welcher als unser lieber Gast
hier sitzt?" Dabei hielt sie Grimmer triumxhierend seinen Brief vor die Augen.
l^err Grimmer verfärbte sich. Er war gefangen.
Die veränderlen Schuhe.
Ein Ainderstreich.
„Marie, ich muß schnell fort, wo sind
meine Schuhe? —
Ietzt bin ich aber schon bös — in einer
halben Stunde geht der Zug.