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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 40.1900 (Nr. 471-483)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20911#0029
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Meggendorfers Humoristische Blätter.


Uette Uffame.

Richter: „5ind Sie schon vorbestraft?"
Angeklagter: „öelbstverständlich l"

Der A'rimaöonnenjäger.

^umorerke von Tristail Mendonis.

omuald Ziegenspeck war ein pechvogel par excellence,
das Stichblatt vieler böser Scherze, kseldentenor a. D
^ und sxäter Musiklehrer von Beruf. Aus seiner Visi-
tenkarte war frcilich nur das letztere zu ersehen, wie überhaupt
ein geheimnisvolles Dunkel bei ihm alles verschleierte, was man
auf amtsdeutsch als das vorleben und den Lharakter eines
Menschen zu bezeichnen xflegt. Als ich ihn kennen lernte, hatte
der ansxruchslose Musentempel, wo Romuald an seinen bunten
Liedern bis zu der schwindelnden ksöhe des zweifach durchstrichenen
0 emxorgeklettert sein wollte, ihin längst „a. D." gesagt.
Reidische Seelen meinten, eben wegen des „Schwindel"-L und
suchten so auf lästerliche lVeise „das Erhabene in den Staub zu
ziehen," was Romuald gewaltig wurmte, da er, wie alle Sänger,
den Staub nicht leiden mochte. Er selbst, der gute Iunge, sxrach
nicht gerne von den Gründen seiner Fahnenslucht. Aus halben
Worten, bitteren Reflexionen, ließ er nur erraten, daß eine
semmelblonde fdrimadonna seines Lebens Unstern war. Zn
Dingsda hatten sie gemeinsam Theater und Publikum beherrscht,
Lorbeeren gepflückt und Schulden gemacht. Sie war sein Abgott,
sein Glück und sein Fluch gewesen. Den letzten Rock hätte er
für die seidenhaarige Sirene hingegeben — wenn ihm das Recht
darüber zu verfügen noch zugeftanden wäre. Ia, auszischen,
ausxfeifen, mit Aexfeln bewerfen, hätte die blöde Menge ihn
dürfen, und er wäre vor die Rampe getreten, um — mit der
ksoheit eines Märtyrers zu rufen: „Nur zu, nur zul Sie
glaubt an mich, meine süße, meine göttliche Nimosa, denn wenn
sie auch schlechte Zähne hat, ihr Lserz und ihr Geschmack sind
gut. Und solange „sie" mit ihrem xerlenden Sopran mir aus

dem vogelstimmeregister zujauchzt: „Ich lie-i-i-i-i-be Dichl —
so lange ist mir alles andere wurstl" . . Und er bewies es auch.
Als eines Unglückstages Schön-Mimosa Rontrakt und Treue
brach und mit einem reichen ungarischen Schweinezüchter durch-
brannte, wie die nächstbeste Soubrette dritter Güte, ohne Ge-
wissensbisse, ohne Absänedsgruß, nur mit kfinterlassung unbe-
zahlter Schulden, einer alten f)uderquaste und eines Billetdoux
an den Direktor, enthaltend die versicherung: „Ich kohme ni
mer kvider!" da zerschellte der Romuald, der schwergekränkte
Troubadour, siuchend seine Leier, brach den Rontrakt ebenfalls und
zog dem Schweinezüchterliebchen in die pußta nach. Für dieses
zahlte der Mäcen auf . . . ödy das ganz bedeutende jdönale —
nicht so für Romuald. Da trat die Ratastrophe ein. In solchen
Augenblicken heißt es, sich elastisch zeigen, oder untergehen.

Freund Ziegenspeck entschied sich für das erstere. lVie ein
fröhlicher Gummiball hüpfte er von Leidensstation zu Leidens-
station, aus einer Sxhäre in die andere geschleudert, bald hinaus,
bald hinab, jeden j)usf xarierend, unverdrossen und geduldig,
sogar mit einer gewisfen hoffnungsvollen kseiterkeit.

Als unsere Lebenspfade sich kreuzten, war Romuald Vertreter
einer unbekannten Brauerei, die dünnes, blondes lVeidenruten-
bier erzeugte und ihrem Rexräsentanten die provision meist
schuldig blieb. Durch die Niederträchtigkeit seines Gesöffes hin-
durch erkannte ich schon damals das goldene kserz des ehemaligen
Mpernhelden, der bis an seines Lebens Ende stets derselbe
blieb. Gutmütig bis zur kfilsiosigkeit, sanft und züchtig, wie
ein junges lNädchen nach veralteten Begriffen, emsig, still-
vergnügt und jederzeit bereit, gefopxt zu werden — so war
kferr Ziegenspeck in jeder Lage seines phasenreichen Lebens. Und
mit ihm unverändert blieb das j)ech, das ihn seit jenem semmel-
blonden Nlißgeschick unbarmherzig von Alippe zu Rlixpe gängelte.

lVas er auch immer unternahm — und er versuchte sich
in mancher Branche rechtmäßigen Lrwerbs — auf einen grünen
Zweig ließ ihn sein j)ech, nicht kommen. Lrst war er das
lverkzeug eines renommierten Imxreffario, hernach Faktotum
in der Rorkstöpselfabrik der Brüder kfaberschwipel, dann Diurnist
bei einer Eisenbahn, hierauf der Reihe nach Thef einer Theater-
agentur, vorleser und Souffleur, bis er zurückkehrte zu seiner
ersten Gönnerin und Liebe, der edlen Sangeskunst. Zwar nicht
als Sängerheros, der er einst gewesen, nein, nur als schlichter
j)ädagoge, der die Devise auf sein Banner setzte: Ich werde
der Bühne wiedergeben, was ich ihr geraubtl —

Das war nun freilich nicht wörtlich zu verstehen, denn
einen zweiten Ziegenspeck zu der ksöhe eines Aünstlerdaseins
und des hohen L emporzulotsen, war gar nicht Romualds
Traum. Er wollte Leonoren, Gretchen, Brunhilden
und Sieglinden ziehen, die seinen Ruhm mit tadellosem
Ansatz und kräftiger Tonfülle in Dur und Moll hinausschmettern
sollten in die welt, ihr zu verkünden: es lebt ein Specialift
in j)rimadonnen.

Linst führte uns der Zufall irgendwo zusammen, nachdem
wir uns geraume kveile nicht gesehen hatten.

„Sieh dal Freund Ziegensxeck," rief ich ihn an, „was
machen die Geschäfte, und wie geht's?" — Mein Romuald sah
erst ein paarmal scheu um sich, als wollte er nur mir allein
verraten, wie man den Stein der kveisen konstruiert, dann
rieb er sich vergnügt die kfände und raunte mir vertraulich zu:
„Ganz wunderbar — . . . „sie" ist gefundenl"

Ich wußte damals nur, daß er sein Zimmerchen aus dem
Lrlös bescheidener kNusikstunden schuldig blieb und sich, was die
verköstigung betraf, auf Grund eines von mildherzigen Men-
schen zusammengestellten Rundsxeisebillets an verschiedenen Frei-
tischen schlecht und recht ernührte. Doch von dem konzentrier-
ten Streben seines Lhrgeizes war mir noch nichts bekannt
 
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