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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 40.1900 (Nr. 471-483)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20911#0094
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86

^Neggendorfers Humoristische Btälter.


kleiden, und trete in mein Schlafzimmer. „Also verloben wir
nns morgen mit Annchen." Es ist ja auch gerade Tonntag;
sür solche Zwecke recht passend. Daß Annchen herzhast „ja"
sagen wird, davon bin ich überzeugt; aber auch j)axa und Maina
werden ihren 5egen wohl nicht vorenthalten.

— „Also aus Morgen!" —

Nit diesem Gedanken schlafe ich ein. — — — — Aber
es ist kein ruhiger 5chlas, vielmehr ein erschöpstes bsindämmern.
Bald sehe ich mich im Frack vor meinem zukünstigen Schwieger-
vater stehen, dann kommt es mir wieder vor, als wär' ich aus
einer Lisenbahnsahrt eingeschlafen. Auch allerlei verworrene
Nelodien klingen in meinem Ohr: Donauwalzer, Rosen aus
dem Süden, — — Fatamorgana — — — — —

jdlötzlich fahre ich in die Ljöhe. — Ich hatte geträumt,
auf dem Lindenball hätte mir ein Aellner eine Schale mit
Fruchteis auf den Bchoß sallen lassen; aber es war bloß neben-
an mein Diener, der mit dem Aasfeeservieren etwas geräusch- j
voll umging.

Uebrigens, es ist heller Tag. Also rasch in die Aleider,
Gesicht und Arme in eisigem wasser gebadet, und nun sitze ich i
ganz munter am Frühstückstisch und lese die Zeitung. Nach- !
denklich lege ich das Blatt wieder weg, mein Blick war aus !
die verlobungsanzeigen gesallen.

Richtig! — Ich will mich ja heute verlobenl Natürlich;
man muß nicht nur anderen, sondern auch sich selbst wort halten.

* *

*

Es geht auf Mittag. Ich kleide mich mit besonderer
Sorgsalt an; der Ljemdkragen scheint etwas eng zu sein. Ich
wüßte wenigstens nicht, weshalb mir sonst das Blut zu Koxse
steigen sollte. —

„Wendt! Droschke erster —I"

Rurz daraus höre ich einen wagen vorsahren. Ich steige
gemächlich die Treppe hinab.

„Lennestraße Nr. zgo."

Fort geht es — dem Schicksal entgegen.

völlig ruhig sehe ich in den triiben Sonntagmorgen hinaus.
Die witterung war umgeschlagen. Die Straßen sehen aus,
als wenn es Schokolade geregnet hätte. Nom bedeckten Lsimmel
rieselt es lautlos hernieder. Ljalb Schnee, halb Regen. Die
Menschen, welche am wagenfenster vorüberhuschen, sind die
üblichen „Sonntagsmenschen". Sie scheinen sich sast alle in der
„Goldenen too" ausstasfiert zu haben.

Die Droschke rollt rasch und sast geräuschlos über den As-
phalt. Aus einmal verspüre ich ein merkwürdiges Klopfen in
der Brust. „Was ist denn das?" Sollte ich einen bserzsehler
haben? Unmöglich; ich bin doch beim Militär als völlig tauglich
besunden worden. Ich versuche mich über das sonderbare Ge-
sühl hinwegzutäuschen. Mein Blick sällt aus dem Droschken-
senster aus eine Straßenecke. „Tiergartenstraße." — Schon so
weit?I —

Das Lserzklopsen wird immer stärker. Za ja, es ist ja auch
keine Rleinigkeit, was ich vor habe; aber ich habe mir's doch
reiflich überlegt!

Lennöstraße ?o — ^02 — ;20 —. Meine Finger zucken
nervös; ich sange in Gedanken an, einen ksandschuh auszu-

ziehen, um ihn sosort wieder überzustreifen. Nich sriert. Merk-
würdig, ich habe zuerst gar nicht gemerkt, daß es kalt ist; aber
es ist ein sonderbarer innerlicher Frost. Ich wollte, ich könnte
jetzt einen tüchtigen Lognac trinken.

„Lennöstraße ^50 — t6o" — —

Zetzt weiß ich, wie es dem jungen Soldaten zu Mut sein
mag, wenn er ohne den Feind zu sehen und ohne einen Schuß
thun zu dürfen, ruhig im ärgsten Rugelregen im Gliede stehen
muß. —

Lennestraße ;80. Die Droschke hältl —

Tine große Ruhe ist über mich gekommen. Das Ranonen-
sieber ist vorbei; jetzt geht's ins Gefecht. Beim Gedanken an
diesen vergleich hätte ich dem Droschkenkutscher beim Bezahlen
beinahe ins Gesicht gelacht.

Der Numor ist wieder da, das kjerzklopsen vorbei. Also
vorwärts zur Attacke marsch, marschül-—

Uebrigens xrachtvolles Lntree, Randelaber, Smyrnatexxich,
Palmen, angenehme wärme. Ganz sröhlich steige ich die Treppe
empor. jAötzlich schlagen Aceorde an mein Ghr. In breiten
Tonwellen flutet mir die Guverture zum „Tannhäuser" entgegen.
Das kann nur „sie" sein.

Lseftig erschreckend, sahre ich zusammen. Der schrille Ton
einer elektrischen Glocke lärmt durch das ksaus. Ich hatte ganz
in Gedanken auf den Rnopf gedrückt. Drinnen verstummt die
Musik. Ich höre, wie eine Thüre geössnet wird. Die Sicher-
heitskette wird entfernt, und das niedliche Stubenmädchen mustert
mich mit sragendem Blick.
 
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