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Meggendorfers Humoristische Blätter.
Verwandte Seeten.
lfred vernachläßigte seine Schulaufgaben. Lr hatte be-
reits zwei „Vierer" aus dem Lateinischen bekommen
und war stets so zerstreut, daß man ihm alles zweimal
sagen mußte, bis er es hörte. Niemand konnte sich erklären,
wo diese Zerstreutheit herrührte und es lag doch so nahe auf
der bfand: Alfred war verliebt. —
vor acht Tagen machte er die xersönliche Bekanntschaft der
bsolden. Er hatte Zwar früher schon oft bei der Töchterschule
auf sie gewartet, hatte aber nie Gelegenheit, sich ihr zu nähern.
Lndlich schlug die Stunde der Lrlösung I Lin guter Freund
weihte Alfred in das Geheimnis ein, daß in der Vorstadt viel
besseres Lis wäre, als auf dem städtischen Lislaufxlatze. Um
sich von der Richtigkeit dieser Angabe zu überzeugen, nahm
Alfred seine Schlittschuhe und steuerte dem gexriesenen Grte zu.
Als er dort ankam, war ihm, als HLtten sich die Pforten
der Glückseligkeit geöffnet: das erste lebende wesen, das er dort
erblickte, war — sie l Freilich sah er bald darauf die Tante,
aber nun konnte ihn nichts mehr abhalten. Nit mutigem
Lserzen trat er vor die vergötterte hin, nannte mit höflicher
verbeugung seinen Namen und bat, sie über die sxiegelnde
Fläche führen zu dürfen. welch bsochgefühl schwellte seine
Brust, als er, das geliebte lvesen zur Seite, über die Flliche
glitt I
„Fräulein kaura, wenn Sie wüßten, wie sehr ich mich nach
diesem Augenblick gesehnt habe l" flüsterte Alfred der Kleinen
ins Dhr und drückte salbungsvoll ihre lhand. Seine lvorte
wurden inniger und als er merkte, daß auch Laura wärmer
wurde, machte er ihr eine schüchterne Liebeserklärung. Nun
fing auch Laura zu beichten an; sie gestand, daß auch sie sich
schon lange nach seiner Bekanntschaft gesehnt habe.
Alfred wurde nun auch mit der Tante bekannt, auf die er
einen sehr guten Eindruck machte. Lr küßte ihr in zuvorkom-
mendster lveise die lfand, wofür sie ihn einen „feinen jungen
lserrn" nannte. Alfred wußte sich bei der guten Tante derart
einzuschmeicheln, daß er seinen Liebling sogar nach kfause be-
gleiten durfte. Nun kam für Alfred jene goldene Zeit, wo
alles aufgeht vor Freude und Lntzücken, wo man alles viel
schöner sieht als andere Menschen, wo das lferz gegen alle
irdischen Beschwerden gefeit ist und von Glück so überquillt,
daß für kleinliche Sorgen kein Raum mehr bleibt. Lin solches
Glück kann selbst durch zwei lateinische vierer nicht getrübt
werden.
Laura kam jeden zweiten Tag aufs Lis und Alfred natür-
lich auch. In der als lvärmestube dienenden Bretterbude wurden,
wenn die Tante nicht gerade in unmittelbarer Nähe war, gar
heiße Aüsse gewechselt und gar feierliche Schwüre geschworen.
Und nun kam der Sonntag, wo weder am Gymnasium noch
an der Töchterschule Unterricht war. Alfred glaubte, er könne
vor Ungeduld die Aeit nicht erleben und erwischte den dritten
vierer aus dem Lateinischen.
Am Sonntag wusch Alfred sich dreimal Koxf, bfals und
Ghren und nahm, als er sich das ksaar scheitelte, ein Lineal
Zur Lfand, um mit geometrischer Genauigkeit vorzugehen. Lr
nahm seine schönste Lsalsbinde, reinigte seine Lsandschuhe mit
Benzin und bog sich ein Sxitzentaschentuch der Mama bei.
Nun war alles in bester Grdnung, nur eines machte ihm
Sorgen: er hatte kein Geld und wollte seiner Angebeteten doch
so gerne ein kleines Angebinde überreichen. Seitdem nämlich
vom Lserrn professor ungünstige Nachrichten einliefen, hatte
ihm Paxa das Taschengeld entzogen. Nun stand er ohne Geld
vor dem wichtigsten Augenblicke seines Lebens I Doch er wußte
sich zu helfen: er ließ der guten Mama eher keine Ruhe, bis
sie endlich Lrbarmen fühlte.
„wie viel brauchst du?" fragte sie.
„Nur zwanzig Pfennig, süße Mamal" beteuerte Alfred.
Die Mama fand aber kein kleineres Geld und so mußte
Alfred versxrechen, von fünfzig j)fennigen dreißig wieder zu-
rückzubringen. Mein Gott, was hätte Alfred nicht alles ver-
sxrochen I Nun musterte er nochmal schnell seine Toilette und
betupfte sich zwischen Mund und Nase mit Tusche und Gckergelb.
Sodann nahm er seine Schlittschuhe und eilte seinem Glücke ent-
gegen. Unterwegs kaufte er für sein kserzblättchen um zwan-
zig jdfennig verzuckerte Mandeln und für sich um zehn j)fen-
nig Ligarretten.
Nun erschien Alfred auf der Bildfläche. Sofort hatte er
„sie" erblickt — aber welche Ueberraschung wurde ihm zu teill
Lin schneidiger Gberleutnant führte sie — seine Laura — an
der bfand.
Im ersten Augenblicke war Alfred wie gelähmt. Dann
fühlte er sein Blut so ungestüm zum bserzen dringen, daß er
glaubte, ersticken zu müssen. „Und wie freundlich er mit ihr
thutl" Lin rasender Schmerz überkam ihn und schnürte ihm
mit eisernen Fingern die Rehle. Das j)aar kam nun dicht an
ihm vorüber und Laura warf ihm einen sreundlichen Blick zu,
für welchen er jedoch kein Verständnis hatte. „Also auslachen
will sie dich auch noch, nachdem sie dich so erbärmlich verraten I"
schrie sein blutendes Lferz in wahnsinnigem Schmerze — „die
Schlange I" Seine Augen wurden feucht, so daß er nichts mehr
sehen konnte, aber mit Gewalt hielt er die Thränen zurück:
sie ist nicht wert, daß man um sie weint — die Falsche! Und
die Tante ist heute gar nicht da; wahrscheinlich sind sie schon
verlobt, daß sie so allein herumlaufen dürfen. Es war kein
Zweifel mehr; der süße Traum war ausgeträumt l
Alfred machte sich beklommen auf den Lseimweg; da be-
gegnete er einem Schulkollegen.
„Du, Schmidt, hast du die lateinische Aufgabe schon ge-
macht?" fragte Alfred.
„Ia," sagte Schmidt.
„Darf ich sie morgen abschreiben?"
„Meinetwegenl"
„Also servusl"
„Zervnsl" — —
Gott, wie hatte er sie geliebtl Lr hatte ihr sein auf-
richtiges, treues Lferz angeboten und sie hatte ihn so schändlich
verraten. Da gibt es nur ein Mittel: einen Revolverl !Vas
hätte er auch noch zu suchen auf dieser erbärmlichen IVelt? —
Aber dann hatte er wieder mit sich selbst Mitleid und dachte
an die vexzuckerten Mandeln, welche er ihr verehren wollte.
„G, sie hätte sie nicht verdient, die Falschel" Lr öffnrÄ die
Düte und aß und seufzte und freute sich, daß Schmidt ihm ver-
sprochen hatte, die lateinische Aufgabe abschreiben zu dürfen.
Als er zu ksause angekommen war, verkroch er sich in den
dunkelsten lVinkel, zündete sich eine Ligarretts an und weinte
gar bitterlich. Er dürfte ungefähr zwanzig Minuten so gesessen
sein, als er das Geräusch nahender Schritte vernahm. Sofort
warf er die Ligarrette in den Gfen und verbarg sein verweintes
Gesicht. Die Mama hatte ihn in seinem lvinkel entdeckt.
„Alfred, hast du mir die dreißig jdfennig zurückgebracht?"
fragte die Gute. °
„Da sind zwanzig l" sagte Alfred, ohne aufzublicken.
„Aber das scharfe Auge der Mama hatte schon bemerkt,
daß da etwas nicht in Drdnung war.
Meggendorfers Humoristische Blätter.
Verwandte Seeten.
lfred vernachläßigte seine Schulaufgaben. Lr hatte be-
reits zwei „Vierer" aus dem Lateinischen bekommen
und war stets so zerstreut, daß man ihm alles zweimal
sagen mußte, bis er es hörte. Niemand konnte sich erklären,
wo diese Zerstreutheit herrührte und es lag doch so nahe auf
der bfand: Alfred war verliebt. —
vor acht Tagen machte er die xersönliche Bekanntschaft der
bsolden. Er hatte Zwar früher schon oft bei der Töchterschule
auf sie gewartet, hatte aber nie Gelegenheit, sich ihr zu nähern.
Lndlich schlug die Stunde der Lrlösung I Lin guter Freund
weihte Alfred in das Geheimnis ein, daß in der Vorstadt viel
besseres Lis wäre, als auf dem städtischen Lislaufxlatze. Um
sich von der Richtigkeit dieser Angabe zu überzeugen, nahm
Alfred seine Schlittschuhe und steuerte dem gexriesenen Grte zu.
Als er dort ankam, war ihm, als HLtten sich die Pforten
der Glückseligkeit geöffnet: das erste lebende wesen, das er dort
erblickte, war — sie l Freilich sah er bald darauf die Tante,
aber nun konnte ihn nichts mehr abhalten. Nit mutigem
Lserzen trat er vor die vergötterte hin, nannte mit höflicher
verbeugung seinen Namen und bat, sie über die sxiegelnde
Fläche führen zu dürfen. welch bsochgefühl schwellte seine
Brust, als er, das geliebte lvesen zur Seite, über die Flliche
glitt I
„Fräulein kaura, wenn Sie wüßten, wie sehr ich mich nach
diesem Augenblick gesehnt habe l" flüsterte Alfred der Kleinen
ins Dhr und drückte salbungsvoll ihre lhand. Seine lvorte
wurden inniger und als er merkte, daß auch Laura wärmer
wurde, machte er ihr eine schüchterne Liebeserklärung. Nun
fing auch Laura zu beichten an; sie gestand, daß auch sie sich
schon lange nach seiner Bekanntschaft gesehnt habe.
Alfred wurde nun auch mit der Tante bekannt, auf die er
einen sehr guten Eindruck machte. Lr küßte ihr in zuvorkom-
mendster lveise die lfand, wofür sie ihn einen „feinen jungen
lserrn" nannte. Alfred wußte sich bei der guten Tante derart
einzuschmeicheln, daß er seinen Liebling sogar nach kfause be-
gleiten durfte. Nun kam für Alfred jene goldene Zeit, wo
alles aufgeht vor Freude und Lntzücken, wo man alles viel
schöner sieht als andere Menschen, wo das lferz gegen alle
irdischen Beschwerden gefeit ist und von Glück so überquillt,
daß für kleinliche Sorgen kein Raum mehr bleibt. Lin solches
Glück kann selbst durch zwei lateinische vierer nicht getrübt
werden.
Laura kam jeden zweiten Tag aufs Lis und Alfred natür-
lich auch. In der als lvärmestube dienenden Bretterbude wurden,
wenn die Tante nicht gerade in unmittelbarer Nähe war, gar
heiße Aüsse gewechselt und gar feierliche Schwüre geschworen.
Und nun kam der Sonntag, wo weder am Gymnasium noch
an der Töchterschule Unterricht war. Alfred glaubte, er könne
vor Ungeduld die Aeit nicht erleben und erwischte den dritten
vierer aus dem Lateinischen.
Am Sonntag wusch Alfred sich dreimal Koxf, bfals und
Ghren und nahm, als er sich das ksaar scheitelte, ein Lineal
Zur Lfand, um mit geometrischer Genauigkeit vorzugehen. Lr
nahm seine schönste Lsalsbinde, reinigte seine Lsandschuhe mit
Benzin und bog sich ein Sxitzentaschentuch der Mama bei.
Nun war alles in bester Grdnung, nur eines machte ihm
Sorgen: er hatte kein Geld und wollte seiner Angebeteten doch
so gerne ein kleines Angebinde überreichen. Seitdem nämlich
vom Lserrn professor ungünstige Nachrichten einliefen, hatte
ihm Paxa das Taschengeld entzogen. Nun stand er ohne Geld
vor dem wichtigsten Augenblicke seines Lebens I Doch er wußte
sich zu helfen: er ließ der guten Mama eher keine Ruhe, bis
sie endlich Lrbarmen fühlte.
„wie viel brauchst du?" fragte sie.
„Nur zwanzig Pfennig, süße Mamal" beteuerte Alfred.
Die Mama fand aber kein kleineres Geld und so mußte
Alfred versxrechen, von fünfzig j)fennigen dreißig wieder zu-
rückzubringen. Mein Gott, was hätte Alfred nicht alles ver-
sxrochen I Nun musterte er nochmal schnell seine Toilette und
betupfte sich zwischen Mund und Nase mit Tusche und Gckergelb.
Sodann nahm er seine Schlittschuhe und eilte seinem Glücke ent-
gegen. Unterwegs kaufte er für sein kserzblättchen um zwan-
zig jdfennig verzuckerte Mandeln und für sich um zehn j)fen-
nig Ligarretten.
Nun erschien Alfred auf der Bildfläche. Sofort hatte er
„sie" erblickt — aber welche Ueberraschung wurde ihm zu teill
Lin schneidiger Gberleutnant führte sie — seine Laura — an
der bfand.
Im ersten Augenblicke war Alfred wie gelähmt. Dann
fühlte er sein Blut so ungestüm zum bserzen dringen, daß er
glaubte, ersticken zu müssen. „Und wie freundlich er mit ihr
thutl" Lin rasender Schmerz überkam ihn und schnürte ihm
mit eisernen Fingern die Rehle. Das j)aar kam nun dicht an
ihm vorüber und Laura warf ihm einen sreundlichen Blick zu,
für welchen er jedoch kein Verständnis hatte. „Also auslachen
will sie dich auch noch, nachdem sie dich so erbärmlich verraten I"
schrie sein blutendes Lferz in wahnsinnigem Schmerze — „die
Schlange I" Seine Augen wurden feucht, so daß er nichts mehr
sehen konnte, aber mit Gewalt hielt er die Thränen zurück:
sie ist nicht wert, daß man um sie weint — die Falsche! Und
die Tante ist heute gar nicht da; wahrscheinlich sind sie schon
verlobt, daß sie so allein herumlaufen dürfen. Es war kein
Zweifel mehr; der süße Traum war ausgeträumt l
Alfred machte sich beklommen auf den Lseimweg; da be-
gegnete er einem Schulkollegen.
„Du, Schmidt, hast du die lateinische Aufgabe schon ge-
macht?" fragte Alfred.
„Ia," sagte Schmidt.
„Darf ich sie morgen abschreiben?"
„Meinetwegenl"
„Also servusl"
„Zervnsl" — —
Gott, wie hatte er sie geliebtl Lr hatte ihr sein auf-
richtiges, treues Lferz angeboten und sie hatte ihn so schändlich
verraten. Da gibt es nur ein Mittel: einen Revolverl !Vas
hätte er auch noch zu suchen auf dieser erbärmlichen IVelt? —
Aber dann hatte er wieder mit sich selbst Mitleid und dachte
an die vexzuckerten Mandeln, welche er ihr verehren wollte.
„G, sie hätte sie nicht verdient, die Falschel" Lr öffnrÄ die
Düte und aß und seufzte und freute sich, daß Schmidt ihm ver-
sprochen hatte, die lateinische Aufgabe abschreiben zu dürfen.
Als er zu ksause angekommen war, verkroch er sich in den
dunkelsten lVinkel, zündete sich eine Ligarretts an und weinte
gar bitterlich. Er dürfte ungefähr zwanzig Minuten so gesessen
sein, als er das Geräusch nahender Schritte vernahm. Sofort
warf er die Ligarrette in den Gfen und verbarg sein verweintes
Gesicht. Die Mama hatte ihn in seinem lvinkel entdeckt.
„Alfred, hast du mir die dreißig jdfennig zurückgebracht?"
fragte die Gute. °
„Da sind zwanzig l" sagte Alfred, ohne aufzublicken.
„Aber das scharfe Auge der Mama hatte schon bemerkt,
daß da etwas nicht in Drdnung war.