Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 42.1900 (Nr. 497-509)

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.20909#0066
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
58

Meggendorfers Humoristische Blätter.

Die bösen Machöarskinder.


2

4

später immer dreister und aufdringlicher werdend, ein schlimmes
Gesxenst die Junggesellenbude des bserrn Rentier heimsuchte. Oieses
Gespenst machte sich schließlich so breit und starrte ihm so unheimlich
aus allen tVinkeln entgegen, daß er Reißaus nahm, unter dem 5chutze
eines nahe gelegenen Wirtshauses seine Stunden verbrachte und nicht
eher den Weg nach bsause antrat, als bis er sich durch eine bestimmte
Anzahl Münchener den nötigen N7ut und die erforderliche Bettschwere
verschafft hatte. Der böse Geist, der sich bei ihm eingenistet hatte, war
das Gesxenst der Langeweile, das schon so manches Unheil auf dem Ge-
wissen hat, wenn Gespenster überhauxt ein Gewissen besitzen.

Und je älter ^err Griesler wurde, desto sühlbarer ward ihm die
Leere zu bsause; aber als Iunggeselle aus Prinzip suchte er diesem unge-
mütlichen Zustande auf hunderterlei Art und Weise abzuhelfen, nur
beim einzig richtigen Lnde xackte er die Sache niemals an . . . . aus
Prinzix nicht. Somit war es nicht weiter zu verwundern, daß kserr
Griesler seine Anwesenheit zu ksause auf das allernotwendigste Nlaß
beschränkte. Frau Thilde sah mit tiefer Betriibnis die fortschreitende
Lntartung ihres Mieters. was konnte ste dafiir, daß ihr bserz so leb-
haft an allem teilnahm, was tserr Bernhard that oder unterließ? Gott,
wenn man Iahre lang so dicht bei einander wohnt, wenn man eine
Witwe !n den besten Iahren ist und das Sorgenkind bisher ein so
ordentlicher, braver, netter, lieber kserr ohne Aind und Aegel war . .
. . . da macht sich so ein bißchen Teilnahme ganz von- selbst.

Lange trug sich Frau Thilde mit der Absicht, ihm einmal etwas ins
Gewissen zu reden. Er fühlte sich einsam, ganz recht; aber ist das ein
Grund, unsolide zu werden? Sie sühlte sich auch einsam und wurde
doch nicht unsolide. Schließlich . . . . sie wollte ja gar nicht davon
sprechen, wie sehr er sich selber damit schadete; aber es gibt vielleicht
doch eine Menschenseele, der er tiefen Aummer bereitet und die sich
baß härmte um seinen lockeren wandel.

Frau Thilde überlegte immer noch, ob sie es wagen dürfe, einmal
in dieser Weise mit ihrem auf Abwege geratenen Mieter zu reden,
als etwas ganz Unerwartetes geschah. Lserr Bernhard Griesler war
eines Morgens mit etwas schwerem Aopf aufgestanden und überdachte
in ziemlich katzenjämmerlicher Stimmung seine Lage. Lr war unzu-
frieden mit sich selbst; das Leben, das er jetzt fiihrte, behagte ihm
gar nicht; aber was wollte er thun? Da klingelte es und der Postbote
brachte ihm einen Brief. Das war ein Lreignis für ihn. Nachdem
er Umschlag, Aufschrift, Poststemxel und so weiter eingehend genug
geprüft hatte, öffnete er das Schreiben und las. Ls stammte von
einer Nichte zweiten Grades, die er als kleines Aind oft auf seinen
Armen gehalten hatte und die ihm auch später, wenn er einmal ein paar
wochen im kfochsommer auf dem Lande bei ihrer Ntutter, die sich einige
Groschen durch Sommergäste mit bescheidenen Anspriichen zu verdienen
suchte, jedesmal viel Frcude gemacht hatte. vor zwei Iahren war es
das letzte Mal gewesen, daß er draußen auf dem Dorfe war. Damals
stand das kleine Nichtchen vor der Uonfirmation, sie mußte jetzt also
wohl etwas über fünfzehn Iahre alt sein. Lin fleißiges, riihriges,
gewandtes Aind mit bescheidenen Ulanieren war's immer gewesen, das
den ganzen kjausstand der meist kränklichen Ulutter fast ganz allein be-
sorgte; imnier thätig, ein praktischer Uoxf, und immer fröhlich und heiter.
Ietzt allerdings war's schwer, lustig zu sein. Ulathilde, so hieß die zweit-
gradige Nichte, schrieb ihm, daß ihre Nlutter fiir alle Lwigkeit von
allem Leiden befreit sei, und daß sie der liebe Gott zu sich genommen
habe, und daß sie, so schwer es ihr auch siele, doch unter fremde Leute
gehen müsse, und daß ste' nach der Stadt kommen und dort „in Dienst
gehen" wolle. Db der kserr Dnkel, der stets so gut zu ihr gewesen,
nicht ein gutes Wort fiir sie bei einer ihm bekannten Familie einlegen
möchte? Er würde gewiß einige empfehlende kvorte für ihre haus-
wirtschaftlichen Tugenden übrig haben.

Zuerst bedauerte kserr Griesler lebhaft den Tod der lieben guten
Frau, sodann bedauerte er noch viel lebhafter, daß das junge Ding, die
 
Annotationen