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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 44.1901 (Nr. 523-535)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16554#0056
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Meggendorfers L-)uinoristrsche Blätter.


Redakteur: „5ind 5ie schon wieder da?"

Dichter: „Ia, ich habe nur einen kleinen Exilog zn meinen
Gedichten geschricben."

Redakteur: „Schön! Wird denselben nachfolgen."

Dichter: „Dichterwelt, vu bist gerächtl"

C. A. H.

Der erste Auß.

„Einen Rater so zu hintergehen, das Rertrauen, das cr
entgegenbringt, so schmählich zu täuschen, ist eine Aeckheit —
ich kann Ihnen aufrichtig sagen, ich habe wenigstens von
Ihnen eine bessere Meinung gehabt. lvahrhaftig — das habe
ich gehabt." Der alte Lserr war ganz außer sich und mußte
sich setzen.

Ivalter sah ein, daß es das Gescheiteste wäre, weiter gar
keine Ausflüchte mehr zu machen und der lVahrheit, koste es,
was es wolle, die Ehre zu geben.

Aber anstatt daß die Aufregung des alten Lserrn sich ge-
legt hätte angesichts des tief reuevollen Geständnisses, schien
sie sich eher noch zu steigern. Lr brummte gar nicht mehr vor
sich hin, sondern starrte mit geöffnetem Munde den unglück-
lichen lvalter an. Und als dieser geendet hatte, war es der
Rat, der sxrachlos geworden zu sein schien. „Aber kserr, Sie
soll ja doch . . . .", das war vorerst alles. „Also anstatt zu
studieren, wie er mir feierlich versprach, schläft dieser Lümmel
von einem ksugo wie ein Nilxferd und Sie, anstatt mich hievon
zu verständigen, wie es Ihre pflicht gewesen wäre, küssen meine
Tochterl Li, ei, ei, was ist denn das für ein gröbster Unfug,
der da getrieben wird .... mein bferr, Sie soll wirklich der
oder jener . . . . und davon hat das dumme Ding mir
keine Silbe gesagt, obwohl sie sonst jeden psifser-
ling zu ratschen pflegt . .

lvalter konnte in diesem weihevollen Augenblick nicht um-
hin, das einfältigste Gesicht zu schneiden, das er in seinem
ganzen Leben zu stande brachte.

Demnach hatte ja Bertha nur ihren Bruder und nicht ihn
verklagt, er selbst sich so schmählich in die Tinte geritten. . . .
Gh, lvalterl N)ar er vorher sich wie ein Lsel vorgekommen,
so mangelte ihm jetzt überhaupt jede Bezeichnung — es war
ja gar nicht auszurechnen, wie blöd er da hineingetappt war!

Linige Stunden später saß er bereits in einem Schnellzug,
der ihn von der 5tätte seiner namenlosen Blamage hinweg-
führte. Lr fühlte sich entsetzlich unglücklich über seinen ersten
Ruß.

Linige Iahre später, lvalter war inzwischen Assessoc ge-
worden, durchschritt er, auf der Urlaubsreise begriffen, die
wunderoollen Rubenssäle der Münchner Pinakothek. Da saßen
in bunter Reihe Rünstler und Rünstlerinnen vor den Bildern
und konterfeiten nach kserzenslust darauf los. Unter ihnen
ein sehr hübsches Mädchen, welches, als er im Fluge das lverk
betrachtete, an dem es arbeitete, ihm unwillig den Rücken drehte.

Lr hatte sie aber dennoch erkannt, es war seine erste
unglückliche Liebe, Bertha ksiendl, deren vater in die bsauptstadt
versetzt worden war.

lvohl zitterte ihm das lferz ein wenig und das Blut
drängte sich ihm gewaltig in den Ropf, aber er überwand die
augenblickliche 5cheu und trat ganz nahe an die 5taffelei heran.

„verzeihen Sie, gnädiges Fräulein, ich habe so lange auf
die Gelegenheit gewartet, mich zu entschuldigen, daß ich sie
nicht ungenützt vorübergehen lassen will."

Sie erhob sich tief errötend. „kferr walter, wenn ich nicht
irre?"

Lange Zeit stand er vor ihr und erzählte ihr, wie schreck-
lich er damals gelitten habe. Auch bei ihr schienen sich einige
peinliche Lrinnerungen an dieses Lreignis zu knüpfen, denn
sie ging rasch darüber hinweg.

von dieser Stunde an beschloß er in einer merkwürdig
schnellen Sinnesänderung seinen Urlaub in München zuzubringen.
Lr entwickelte ein geradezu erstaunliches verstcindnis sür die
Malerei und für den Dienst der Schönheit im allgemeinen und
eines Mittags, da überraschte ihn die lvahrheit des Satzes,
daß alles auf Lrden wiederkehrt. Dieselbe Stille wie damals
in der Laube, dasselbe einförmige Geräusch des Schnarchens,
das von dem Diener herrührte, der aus dem Diwan sein Schläf-
chen hielt und dieselben blitzenden Augen, die sich neckisch in
sein Lserz bohrten.

Und er fühlte sich wieder von derselben unwiderstehlichen
Gewalt gepackt, wie damals — er mußte den roten Mund
küssen, ob er wollte oder nicht.

Nur insofern war die Situation nicht ganz die gleiche,
als Bertha weder nach ihm schlug, noch um Lsilfe rief, sondern glück-
strahlend als seine Braut Arm in Arm mit ihm den Saal verließ.

verantwortlicher Redakteur: Max Schreiber. Druck von I. F. Schreiber, beide in Lßlingen bei Stuttgact.
In Desterreich-Ungarn für Lserausgabe und Redaktion verantwortlich: Robert Mohr in lvien I.
Verlag von I. F. Schreiber in München und Etzlingen.
 
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