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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 44.1901 (Nr. 523-535)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16554#0127
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Meggendorfers Humoristische Blätter.

U9

„Lassen Sie jetzt diese Utopien," meinte nun der Stations-
ches ganz dienstlich, „unterschreiben Sie hier den geheimen Lrlaß
wegen der lvechselbesetzung; da ich aber Ihre sreie Zeit mög-
lichst wenig verkürzen will, so wollen Sie sich erst beim Signal
auf Ihren posten begeben."

Mayer lächelte verständnisinnig: er hatte gesiegt; wie auf
verabredung wurde das Thema nicht weiter berührt, und an
dem so gefürchteten Tage fuhr er richtig nach Tuchberg. Die
Geschichte konnte zwar für alle Beteiligten ein sehr böses Lnde
nehmen, aber, Gptimist durch und durch, wollte er an einen
schlechten Ausgang gar nicht denken.

Dazu wurde er aber in Tuchberg gezwungen, als er abends
den perron betrat und nur mehr die rasch verschwindenden
Schlußlaternen des Schnellzuges sah . . . .

Und er mußte nach Zwednitzl Tin toller Gedanke durch-
fuhr ihn: lvie wenn er sich auf den Hofzug schmuggelte? Das
Abspringen dort war ja gefahrlos, da der Zug wegen des zu
erstattenden Raxportes ganz langsam fuhr. Gedacht — gethan.
Lr trat in den Schatten eines pseilers, als sich der jDerron von
den zum Lmpfang befohlenen jdersönlichkeiten zu füllen begann.
Als der lfofzug geräuschlos einfuhr, schlüpfte er schnell über
das Geleise und warf einen orientierenden Blick über den Zug.
Beim vorletzten lvaggon waren die Fenster nicht verhängt das
war also sicher der lvagen für die Suite. Lange über-
legen konnte er überhaupt nicht, denn der Zug setzte sich
schon wieder in Bewegung. Er trat auf die unterste
Stufe und drückte sich gegen die lvand,die Fahrt währte
ja kaum eine halbe Stunde und unser Nayer hatte schon
ganz andere Fahrten hinter sich.

Lr lachte vergnügt in sich hinein, nun war das Spiel
gewonnen. jAötzlich schob sich die Salonthüre zurück und
ein vielfach besternter lserr trat, gemütlich eine Tigarette
rauchend, zum osfenen Fenster. Ietzt galt es aber alle
Geiftesgegenwart zusammennehmenl Auf einen solchen
Zwischenfall war lNayer nicht gefaßt gewesen.

Sichtlich erstaunt sah der Fremde den Beamten
in voller Unisorm auf dem Trittbrett stehen, und fragte
ihn in ziemlich hartem Französisch, warum er denn die
Fahrt so mitmachen müsse. lNayer salutierte und sprach
slink von erhöhter Geschwindigkeit, großem Gefälle,
von nie beftandenen vorschriften über das Reisen
fremder lNonarchen, gebrauchte dabei sehr oft das
lvort Lxcellenz, so daß der alte kjerr höchst befriedigt
mit dem Aopfe nickte, und die Sicherheit bei einer
solchen Fürsorge, als eine unbedingte hinstellte. lNayer
atmete auf, denn er wußte jetzt zweierlei: erstens war
die alte Lxcellenz wahrscheinlich der kukuruzische Lisen-
bahnminister, denn er verstand von der Tisenbahn gerade
so viel, wie ein lNops von Sanskrit, und zweitens war
kein „Bädeker" im lvaggon, so heißt nämlich im Lisen-
bahnjargon das Oirektionsorgan, das den p. t. lserr-
schaften mitqegeben wird, um sie auf alles Interessante
in der zu durchfahrenden Strecke aufmerksam zu machen.

Die Unterhaltung wurde sehr animiert, aber schon
näherte sich der Zug Zwednitz. Nayer wies auf das
Tnde seines „Dienstes" hin, was der alte lferr sehr
bedauerte und sich artig eine visitenkarte erbat. Ietzt
xassierte der Zug den Linfahrtswechsel der Station,
lNayer sprang ab und ftürmte voraus zur Ausfahrt. —

Nun muß ich aber die Leser nach Zwednitz zu-
rückführen, zur Zeit, als Mayer hätte kommen sollen.

Lauter emxfing den einlausenden Schnellzug, dem
aber nicht lNayer, sondern der „prophezeite" Revisor
entstieg. Dieser stürzte sosort ins Telegraphenbureau und
fragte dann den Stationschef mehr, als zehn lveise hätten

beantworten können, so daß ihm kein Augenblick Zeit übrig
blieb, seine Nachgiebigkeit zu verwünschen und einen Ausweg
aus der Alemme zu suchen.

Lfastig nahm er die Revision vor, da kam schon der lsofzug;
er ging neben dem Insxektionswagen her, erstattete die Meldung
über den Zugsverkehr — und dann war alles vorüber. j)n
gedrückter Stimmung ging es wieder ins Bureau. lvie aus dem
Boden gestampft, stand plötzlich Nayer vor ihm und rapportierte
die anftandslose Ausfahrt, — Lauter traute nicht seinen Augen.
lvie war Mayer a tempo gekommen?

Als der Revisor weggesahren, löste Mayer schnell das
Rätsel. Lauter vergaß darüber ganz sein Lieblingswort, meinte,
Akiba könne sich jetzt „heimgeigen" lassen, denn so was sei
doch noch nicht da gewesen, er wolle aber „Feitel" heißen,
wenn das kein schlechtes Ende nähme. llebrigens könne er der-
gleichen nur als verbrecherischen Mutwillen oder als mutwilliges
verbrechen bezeichnen und wisse überhaupt von nichts.

Mayer beruhigte ihn mit dem feierlichen versprechen, in kfin-
kunft alles zu vermeiden, was vielleicht zu einer so traurigen
Namensänderung Anlaß geben könnte, und nachdem sich alle
unverbrüchlich Schweigen gelobt — weibliche peisonen waren
glücklicherweise nicht anwesend — begaben sie sich zur wohl-
verdienten Ruhe. — (Forlsetzung nächste Seite).

Die verfeblte Änlfellungskur.

„Also die Scheidungsstunde ift gekommen, adieu liebe Marille!"

„Leb wohl, Männchen, ich hoffe, daß Dir die Aur in Marienbad
gut bekommt und daß Du in sechs lvochen recht schlank heimkehrst."
 
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