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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 44.1901 (Nr. 523-535)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16554#0137
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Meggendorfers Hurnoristische Blätter.

l29

P. D. S.

Der Aritik, die der vorgesetzte über den Untergebe-
nen gefällt hatte, folgte die Aritik des Untergebenen
über den Oorgcsetzten: „Ls fällt inir gar nicht ein,
bestreiten zu wollen, daß unser Aonnnandeur ein äußerst
tüchtiger Mffizier und ein hcrvorragender Beamter ist,
aber von der poesie und der Litteratur hat er nicht die
leiseste Ahnung. 5ein Urteil und sein verbot machen
es mir unmöglich, meinen Aonradin an die Bühnen zu
versenden, aber ich denke nicht daran, die s)oesie ganz
aufzugeben. Ich dichte ruhig weiter, ich nehme ein
pseudon^m, das ich niemand verrate und dann dichte
ich nicht nur für mich, sondern auch für die Meffentlich-
keit — die Aritik wird ja dann zeigen, ob ich nicht doch
Talent befitze."

Lr suchte einen Verleger und er fand einen solchen,
nachdem er sich verpstichtet hatte, die ganzen Druck- und
versandtkosten für die erste Auflage seiner „Lferzens-
melodien", die er unter dem uom äe Zuerre „j?. F. Tiffer"
veröffentlichte, aus eigener Tasche zu bezahlen.

Das geschah und wenig lvochen später erschien
das Buch, das äußerlich einen sehr hübschen Lindruck
machte. Auf wunsch des Autors wurde es zahllosen
Zeitungen zur Besprechung übersandt und ungeduldig
wartete pfeiffer auf die Aritiken.

Aber die kamen nicht — er schrieb an die Redak-
teure, er schrieb an ein litterarisches Bureau, das Aus-
schnitte aus allen Zeitungen der welt liefert, er bezahlte
vorläufig die Zusendung von hundert Aritiken im vor-
aus — aber es half alles nichts, die Aritiken blieben
aus.

Endlich, endlich hatte der Lsimmel ein Linsehen und
eines Norgens entdeckte er in einer der in der Garnison
erscheinenden Zeitungen eine Besprechung seiner Lserzens-
melodien. Für einen Augenblick lähmte ihn der freudige
Schreck, dann sprang er auf und schloß die Thüren
seines Zimmers ab, damit kein Unberufener ihn bei
dem Lesen stören könne, dann ergriff er die Zeitung.

„Selten," so begann der Schreiber, „selten, nein wir
dürfen wohl sagen: noch nie ist uns ein solches Talent
der Talentlosigkeit begegnet, wie in dem verfasser der
kserzensmelodien, der nach Angabe des verlegers in
unserer 5tadt wohnen soll. N)ir können das nur be°
dauern, denn die persönliche Bekanntschaft mit dem Autor
könnte vielleicht den einen oder den anderen verleiten,
das Buch nicht nur zu kaufen, sondern auch zu lesen
und vor letzterem namentlich können wir nicht eindring-
lich genug warnen." In dieser Tonart ging es weiter,
und als der arme Uichter - Leutnant bei dem letzten
lvort angekommen war, das da lautete: „erbärmlich,"
packte ihn nicht nur die verzweiflung, sondern auch die
lVut gegen den Aritiker, der sich nicht scheute, seinen
vollen Namen „Dr. j)aul Berger" unter sein gehässiges
und ungerechtes llrteil zu setzen.

„Rache will ich nehmen, Rachel" knirschte der her-
untergerissene Dichter, „Rache, blutige Rache l"

Zuerft wollte er dem Aritiker seinen Sekundanten
schicken, dann wollte er ihn mündlich zur Rede stellen,
dann wollte er ihm schriftlich seine Ansicht auseinander
setzen — ja, was wollte er nicht alles? Aber schließlich
that er von allem, was er sich in der ersten Erregung
vornahm, nichts, denn er mußte immer bedenken, daß
er Gfstzier war, er durfte auch dem Redakteur gegen-
über sein jdseudonym nicht lüften, wenn er nicht nur in
des Teufels, sondern auch in die Aüche des lferrn Vbcrst

Der Taucher nnd die Ri.ren.
 
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