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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 46.1901 (Nr. 549-561)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16556#0030
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26

Neggendorfers Humoristische Blätter.

Der kluge Uarr.

uf einer weit entlegenen Insel lebte einst ein Rönig,
der hörte eines Tages von einem auf der Brust mit
seltsamen Areuzen und Sternen geschmückten Seefahrer,
daß ferne in dem N)eltteil der Aultur und reineren Menschlich-
keit die Aönige verdienste ihrer Unterthanen mit solcherlei Aus-
zeichnungen belohnten, die man an seinen Rock hänge und Mrden
nenne. Da er nun zugleich ein sehr liebevoller und weiser
Lserrscher war, so sandte er einen Minister aus, um diese Sache
zu studieren, und befahl ihm, solche Abzeichen mitzubringen.
Nach einem Iahre kehrte dieser zurück und brachte ganze Aisten
voll der schönsten Areuze, Bterne und Bänder mit, die er
in jenen sernen Ländern nach den Vriginalmustern hatte
sabrizieren lassen. Der Aönig war entzückt und begann alsbald,
diesen slimmernden Schmuck an seine Getreuen auszuteilen.

Bald strotzten die ganze Lsosgesellschast der Insel, dann die
übrige Beamtenschaft, schließlich auch viele andere von diesen
neuen kostbaren Anhängseln, ja nach einigen Iahren war gar
keiner mehr übrig, der nicht einige Grden sein genannt hätte.

Aber da nun dort die Leute noch recht wie die Ainder waren,
so wurden sie, weil die einen mehr Auszeichnungen erhielten
als die andern, aufeinander eifersüchtig, und allerlei Neid und
ksaß kamen unter ihnen auf und im Gesolge damit auch andere
Leidenschaften und Untugenden, von denen sie srüher nichts
gewußt hatten. Dazu thaten sie jetzt vieles Gute nicht mehr
wie vordem um der Sache selbst willen, sondern um eine neue
Auszeichnung zu erhalten. So war der Aönig selbst bald von
ganz anderen Ulenschen umgeben, die es nicht mehr so treu und
aufrichtig mit ihm meinten, sondern sich ihm nur angenehm zu
machen suchten, um ihn zur Dankbarkeit zu stimmen. Doch hielt
man dies alles sehr geheim und der Aönig merkte nichts von
diesen Ueränderungen in seinem Lande. Bo suhr er weiter sort,
den schönen sremden Schmuck zu verteilen, bis schließlich alle
Aisten geleert waren.

lvas nun? Diesem Uebelstande hätte ja leicht abgeholfen
werden können; aber den Aönig betrübte ein anderes, dem nicht
so leicht abzuhelfen war: die meisten seiner Unterthanen hatten
gar keinen jAatz mehr aus ihrem Anzug sür weitere Grden.
Er wollte aber doch auch sernerhin Auszeichnungen verleihen,
er war es nun einmal so gewohnt und es vertrieb ihm seine
vormittage so angenehm. So war er denn in großer ver-
legenheit. Die weisen seines Landes um Rat zu sragen, hielt
ihn eine eigentümliche 5cheu ab. Auch waren diese neuerdings
alle weit hinaus an die Grenzen gezogen, so daß es lange ge-
dauert hätte, bis sie selbst oder ihr Bescheid da gewesen wäre.

Da kam ihm von einer unerwarteten Seite ksilse.

Der kjosnarr, den der Aönig zwar in letzter Zeit nicht mehr
so liebte wie früher, bemerkte seine Betrübnis und wußte ihm
den Grund davon zu entlocken, ja der Aönig sragte ihn sogar,
ob er keine Abhilse wisse.

Da besann sich der Narr etwas, dann sxrach er: „Ich
wüßte dir, o Aönig, wohl einen Rat, aber ich sürchte, in Un-
gnade zu sallen, wenn ich ihn sage."

„U)as es auch sei, es sei dir verziehen und sürstlich be-
lohnt, wenn es wirklich hilft," antwortete der Aönig.

Da blinzelte der Lsofnarr und begann: „Du bist unglücklich,
o Aönig, weil du niemand mehr durch einen Mrden auszeichnen
kannst, denn erstens hast du keinen mehr und zweitens haben
die meiften deiner Unterthanen keinen jdlatz mehr sür weitere.
Nun gut, du hast bis jetzt die Menschen ausgezeichnet, indem
du ihnen Grden gabst, versuch' es von jetzt ab sie auszu-
zeichnen, indem du ihnen Grden nimmst."

„Bist du toll?" wars da der Aönig ärgerlich ein.

„Ich meine es ernstlich, und ich halte es für gut und mög-
lich," suhr jener sort. „Lrwäg' es nur mit mirl Der fremde
Schmuck ist bei uns so allgemein geworden, daß schon oft Ainder
mit so gestalteten Muttermalen zur lVelt kamen und vielleicht
bald schon richtige Grden aus Vererbung mitbringen werden.
So nimm' denn ruhig den Menschen im vollen Grdensschmuck
als den normalen, den gewöhnlichen Menschen an, und laß
verkünden, der stehe künftig deinem lserzen am nächsten, der
eine sreie Brust dir zeigen könne; darum werdest du deinen
Getreuen sortan je nach Verdienst eines dieser Schmuckstücke
nach dem andern nehmen und jede solche „Grdensentziehung"
im Amtsblatt als össenlliche Lhrung bekannt geben."

Der Aönig blieb auf diese Rede lang sprachlos vor Staunen
und Zweisel.

„Aber gesetzt, die Sache hätte Erfolg, sie würde so aufge-
nommen, wie du meinst," wandte er dann ein, „da würde ja
in ein xaar Iahren dieselbe Verlegenheit eintreten wie jetzt,
indem dann sast alle die höchste Auszeichnung vollständiger
Grdenslosigkeit HLtten, also auch wieder nicht mehr weiter aus-
zuzeichnen wären?"

„Dann, o Aönig," erwiderte der Narr schlau lächelnd,
„bleibt dir ja noch immer übrig, die Sache wieder umgekehrt
einzusühren, und so kannst du diesen lVeg beliebig oft hin und
dann wieder zurückgehen — salls sich nicht, wenn der Fall ein-
tritt, den du im Auge hast, die Meinungen darüber geändert
haben." —

Lange zögerte der Aönig. Aber schließlich befolgte er doch
den Rat seines Narren, weil er keinen andern Ausweg sah.
Und siehe — ihin war geholsenl Sofort hatte sich die neue,
veränderte Anschauung eingebürgert. Viel hatte dazu beige-
tragen, daß der Aönig auf den Rat seines lsofnarren gleich bei
der Verösfentlichung der Neuerung den höchsten lvürdenträgern
einige Grden allergrößten Formats genommen hatte, so daß
diese gleich mit sehr großen freien Stellen auf der Brust para-
dieren konnten. Alsbald lernte man allgemein, die Sache mit
anderen Augen ansehen, und wie die Menschen srüher, so lange
sie noch iiberflüssigen jdlatz hatten, ihre Auszeichnungen recht
breit nebeneinander gehängt hatten, um möglichst viel Raum
mit ihnen zu bedecken, so schoben sie sie jetzt möglichst nahe an-
einander, um die gegenteilige lVirkung zu erzielen und mit
sreien Stellen xrunken zu können.

Der Aönig war überglücklich und belohnte seinen Narren
glänzend. Line Frage aber stellte er nachträglich noch an ihn.
„Sag' mir, mein lieber Narr, wie bist du nur auf einen so
merkwürdigen Gedanken gekommen, ohne zu befürchten, daß die
Menschen meine neue Verfügung als kjo hn ausfassen könnten?" —
„Die Menschen?" lächelte der Narr. „Die Menschen, o Aönig,
fassen nichts als ksohn auf, was den einen vor dem andern
auszeichnet und ihn in den Augen der Menge über einen andern
stellt; denn die Menschen, o Aönig, sind — Menschenl"
 
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